Weimar/Dresden. Der Weimarer Bassbariton Oleksandr Pushniak ist auf dem Sprung zur Weltkarriere

Ein Kerl wie ein Baum. Ein Zwei-Meter-Riese, der schon kraft seiner Erscheinung Furcht einzuflößen vermag – und diese Aufgabe professionell auch gern übernimmt, allerdings nur auf der Bühne. Am DNT Weimar verkörpert Bassbariton Oleksandr Pushniak derzeit zwei Finsterlinge: den Kinderschreck Hotzenplotz und einen Alien, Wagners Holländer. Nun aber setzt der 40-Jährige zum wuchtigen Karrieresprung an. Mit Ende der Spielzeit wechselt er von Weimar nach Dresden, ins Ensemble der ruhmreichen Semperoper.

„Die Frau ohne Schatten“: ein Prestige-Projekt für die Semperoper

Dort ist er unlängst gelandet und wurde zur Osterzeit wie alle Protagonisten vom Publikum frenetisch gefeiert: Pushniak interpretiert Barak, den Färber, in der Neuproduktion von Richard Strauss‘ „Frau ohne Schatten“. Für die Dresdner ist dieser romantische Höhepunkt im Schaffen des ihrem Hause so innig verbunden gewesenen Komponisten ein Prestigeprojekt, zumal man dafür ein famoses Solistenquintett aufbietet und Christian Thielemann musikalische Sternstunden zelebriert.

Zwischen Eric Cutler, Camilla Nylund und Evelyn Herlitzius, die sich des sommers meistens in Bayreuth treffen, und neben der Färberin Miina-Liisa Värelä, der Isolde aus Glyndebourne, fällt ein Pushniak nicht sonderlich auf. Denn mit ihnen singt und agiert er auf Augenhöhe, als wär‘s ganz selbstverständlich: auf Weltklasse-Niveau. Die Dresdner spielen halt in einer anderen Liga – und das signalisiert, wohin für Weimars Riesen die Reise geht.

„Im Moment bin ich an der richtigen Stelle“, beschreibt er im Brustton der Zufriedenheit die Übergangssituation. Pushniak kennt die Wirkung seiner Physis, im persönlichen Umgang ist er dezent, freundschaftlich zugewandt – und viel zu bescheiden. Die Karriere? – „Für mich ist es wichtig, Kunst zu machen, nicht Geld“, erklärt er gelassen.

Gespenstischer Souverän im „Fliegenden Holländer“

Schon jetzt entwickelt der Ukrainer Sehnsuchtsgefühle nach der Kleinstadt, in der er seit 2018 zu Hause ist. „Weimar werde ich vermissen, weil es ein so einzigartiger Ort ist“, sagt er. Und weil er sich wohlfühlt im Kreise der befreundeten Kollegen am Nationaltheater. Dabei überragt er sie um Haupteslänge: Als Holländer singt Pushniak eine nahezu perfekte Partie, dominiert mit seiner volltönenden, agilen und ungemein klar artikulierten Stimme jede Vorstellung wie ein Souverän.

Als Fliegender Holländer imponiert Oleksandr Pushniak in Weimar.
Als Fliegender Holländer imponiert Oleksandr Pushniak in Weimar. © DNT Weimar | Candy Welz

Das wirkt gespenstisch, obwohl ihn Gastregisseurin Barbora Horáková in ihrer feministisch überambitionierten Lesart nur als gewöhnlichen Eindringling markiert, der sich die Erlösung stiftende Liebe Sentas mit Geld erkaufen will. Jegliche Gänsehaut-Magie des Romantisch-Mystischen bleibt auf der von Kapitän Daland befehligten Bohrinsel im Ölschlamm stecken.

Großen Spaß hat Pushniak, fürs kleine Publikum den Hotzenplotz in Andreas N. Tarkmanns Oper zu singen.
Großen Spaß hat Pushniak, fürs kleine Publikum den Hotzenplotz in Andreas N. Tarkmanns Oper zu singen. © DNT Weimar | Candy Welz

Ganz anders organisiert David Bösch in Dresden die beiden simultanen Welten in Hofmannsthals Märchen. Auch hier wohnt der schlicht-naive Handwerker Barak in einer banalen Gegenwart, in die Keikobads Geisterreich immer wieder mit optisch sinnlichen Akzenten – flirrenden Art-déco-Schatten oder einem fantastischen Falken-Symbol – eindringt. Und wenn der von seiner Ehefrau verprellte Gatte sich auf Feinripp, Fernseher und Flaschenbier zur Nachtruhe zurückzieht, fliegen ihm die Herzen des Publikums zu.

Dann ist er die zentrale Empathiefigur dieses Stücks – einer von uns. „Meine Aufgabe ist es, in der Rolle zu leben“, konstatiert Pushniak kühl. Mit der Regie findet ein Profi sich ab und hält seine Meinung zurück: Weil er ja auf der Bühne stehe, kriege er nie den Gesamteindruck zu Gesicht, argumentiert er diplomatisch. Beide Rollen wird er nächste Saison wieder singen, dann in Weimar als Gast. Dazu den Baron Scarpia in Elbflorenz und den Propheten Jochanaan an der Ilm.

Ein Heldenbariton braucht Zeit, um zu reifen

Und Wagner in Bayreuth? – Das hatte er schon. Kurz skizziert Oleksandr Pushniak seinen Werdegang: wie er als Kind zuerst Trompeter werden wollte und, als darüber sein Sängertalent entdeckt wurde, an der National Music Academy seiner Vaterstadt Kiew ausgebildet wurde. Ein paar vordere Plätze bei Wettbewerben – zumal dem für Wagnerstimmen in Karlsruhe – trugen ihm eine Einladung als Donner auf den Grünen Hügel 2013 ein und anschließend nach Hongkong: zum allerersten „Ring des Nibelungen“ in China unterm Dirigat Jaap van Zwedens.

Trotzdem nahm Pushniaks Berufsweg keinen ungesund steilen Verlauf. „Als Heldenbariton braucht man Zeit“, sagt er bloß. Und kein Wort davon, was das heißt: stete Arbeit, beharrliches Mühen. Nach ersten Engagements in Washington D.C. entschloss er sich, lieber im deutschen Ensemblesystem ein vielseitiges Repertoire zu erwerben, kam 2011 nach Braunschweig, acht Jahre später nach Weimar.

Kurwenal und Amfortas war er bereits, und man ahnt, wo‘s noch hinführt: Die drei Wotan-Partien im „Ring“ hat er schon für sich gelernt, aber noch nie auf der Bühne gesungen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Weit ist der Weg nach Walhall gewiss nicht mehr.

Nächste Auftritte: als Holländer am 3. und 26. Mai in Weimar, als Mönch in Verdis „Don Carlo“ ab 12. Mai in Dresden und als Barak erst wieder in der nächsten Spielzeit.