Berlin. Die Menschen im Iran haben Angst vor einem Krieg. Dennoch wehren sich viele gegen das Terrorregime. Wie sie leben, wie sie kämpfen.

Die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“ hat am Fundament des Mullah-Regimes im Iran gerüttelt. Nur mit massiver Repression, Gewalt, willkürlichen Festnahmen und massenhaft vollstreckten Todesurteilen konnte es die Menschen von der Straße wegholen und in ihre Häuser und Wohnungen zurückdrängen. Und nun, mehr als ein Jahr nach dem Höhepunkt der Bewegung, eskaliert der Konflikt mit Israel. Nach dem Angriff mit 300 Drohnen und Raketen auf Israel, die dank Iron Dome größtenteils abgefangen werden konnten, wächst die Angst im Iran vor einem Rückschlag.

Israel wägt nach Irans Angriff Optionen ab

weitere Videos

    Wie gehen die Menschen damit um? Und wie reagieren Deutsch-Iraner, die sich hierzulande eine neue Existenz aufgebaut haben, die sich aber massiv für die Freiheitsbewegung in ihrem Heimatland eingesetzt haben? Der vorsichtige Blick ins Land zeigt: Der Angriff auf Israel hat die iranische Gesellschaft erneut tief gespalten. Zwar gibt es nach Augenzeugenberichten Solidaritäts-Aktionen mit dem Regime, etwa auf dem sogenannten Palästina-Platz in Teheran. Doch die breite Opposition ist nach wie vor aktiv, auch außerhalb des Landes. Und zwar vor allem über soziale Netzwerke wie X (vormals Twitter) und Telegram, wo sie sich Anonymität erhoffen, wie ein Beobachter erklärt.

    Lesen Sie auch:Erzfeinde Israel und Iran: Woher der Hass kommt

    Dass der Widerstand lebt, bestätigt auch Shiva Rostami (Name aus Sicherheitsgründen geändert). Die über 70-Jährige hat schon 1979 als junge Frau gegen den Schah in Teheran demonstriert. In den 1980er Jahren floh sie mit Mann und zwei kleinen Kindern vor dem Mullah-Regime nach Deutschland. Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini reiste sie mehrmals immer wieder in den Iran, um die Freiheitsbewegung auf den Straßen zu unterstützen.

    Iranerin Shiva Rostami: „Der Hass auf die Mullahs treibt mich an“

    Schon vor mehr als einem Jahr berichtete sie dieser Redaktion von Gift, Gummigeschossen, willkürlichen Festnahmen und massiver körperlicher Gewalt gegenüber den Demonstrierenden. „Der Hass auf die Mullahs treibt mich an“, sagte sie damals. Inzwischen ist es für sie zu gefährlich geworden, erneut in den Iran zu reisen. Ihr bleiben aber die täglichen Nachrichten über WhatsApp und Telegram. Ihr Fazit über die Lage im Land: „Die Menschen stehen unter einem enormen Druck. Sie wollen so nicht mehr weiterleben.“

    Auch interessant:Der radikale Arm der Mullahs reicht bis nach Deutschland

    Tatsächlich leiden die Menschen derzeit unter einer massiven Wirtschaftskrise. Laut der Plattform „Statista“, die Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstituten zugänglich macht, lag 2023 die Inflationsrate bei 47 Prozent. Vor allem die Lebensmittelpreise schnellten in die Höhe.

    Ayatollah Ali Chamenei bestimmt den Kurs des Landes.
    Ayatollah Ali Chamenei bestimmt den Kurs des Landes. © AFP | -

    Wie die Lage der Menschen ist? „Viele hungern“, sagt Rostami, und lebten in Angst vor den Repressionen. „Ständig werden Leute umgebracht, die in Freiheit leben wollen“, sagt sie. Die Verzweiflung sei so groß, dass sich mitunter sogar Menschen einen Krieg mit Israel herbeisehnten, wenn dadurch das Mullah-Regime fallen könnte.

    Solidarität mit Israel: Davor hat das iranische Regime offenbar so große Angst, dass der Geheimdienst der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) bereits mit einer Erklärung reagiert hat, in der er drohte, gegen Bürger vorzugehen, die in ihren sozialen Netzwerken das „zionistische Regime“ unterstützen. Nutzer berichteten, sie hätten ihre Beiträge auf X entfernt, nachdem sie tatsächlich Telefonanrufe vom Geheimdienst erhalten hatten.

    Der Großteil der Menschen glaubt den „Lügen“ des Regimes nicht

    Doch wie weit geht die Solidarität mit Israel tatsächlich? „Der Großteil der Iraner und Iranerinnen ist gegen das Regime und will nicht unter der islamistischen Mullah-Diktatur leben“, sagt Valerio Krüger von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Er bestätigt die katastrophale wirtschaftliche Situation, den Hunger und die Drangsalierungen, denen die Menschen ausgesetzt sind. Der Großteil der Menschen glaube den „Lügen“ des Regimes nicht, „daher stehen viele Iraner und Iranerinnen zu Israel“. Es sei zwar kein Massenphänomen, aber tatsächlich sei Anfang der Woche die israelische Flagge auf einer Brücke in Teheran geschwenkt worden. Und nach wie vor gebe es immer wieder Menschen, die protestierten, obwohl seit Ende des Ramadan die Revolutionsgarden wieder gezielt Jagd auf Frauen ohne Kopftuch machen.

    So erging es Sara (Pseudonym zu ihrem Schutz), einer junge Englisch-Lehrerin: Auf Telegram berichtet sie von ihrer vorübergehenden Festnahme auf dem Weg zur Arbeit. Sie trägt seit dem Tod von Jina Mahsa Amini kein Kopftuch mehr. Nun erwartet sie ein Gerichtsprozess. Eine andere Frau, die nicht mehr das Kopftuch tragen will, schreibt auf X: „Die Gefahr, in Gewahrsam der Sittenpolizei zu sterben, ist immer noch viel größer als das Risiko, bei einem möglichen Angriff ums Leben zu kommen.“

    Lesen Sie auch: „Iran wird zur Nuklearmacht“

    Egal, wie groß die Gefahr ist: Viele Iranerinnen und Iraner lassen sich nicht mehr vor den Karren des Regimes spannen. Diese Auffassung vertritt Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal gegenüber dieser Redaktion. Israels Zerstörung sei Staatsräson, das Ziel werde religiös und weltanschaulich begründet, doch die überwältigende Mehrheit der Zivilgesellschaft habe erkannt, dass das Regime Feinde im Ausland brauche, um sich zu legitimieren, so die Jesidin. Die Folge: Rufe wie „Frau, Leben Freiheit“ oder „Nieder mit der Islamischen Republik“ hätten die Slogans „Tod den USA“ und „Tod Israel“ abgelöst. Tekkal sagt: „Wo früher US- und Israel-Flaggen brannten, verbrennen Frauen heute bei Protesten ihr Kopftuch“.

    So weit geht Iran-Experte Cornelius Adebahr nicht. Für den Analysten und Politikwissenschaftler vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sei es zwar ein verständlicher Wunsch, dass das Regime verschwindet. Doch er könne nicht erkennen, dass es im Iran ein Gefühl gebe, man müsse jetzt in eine Konfrontation mit Israel einsteigen. „Wenn Israel iranisches Territorium angreift und es zu großer Zerstörung und Toten kommt, wird das auf jeden Fall kurzfristig das Regime stärken“, sagt er unserer Redaktion. Ein derartiger Angriff könne an die Einheit der Iraner appellieren – und dann würden die Erinnerungen der Menschen an den verheerenden Iran-Irak-Krieg in den 1980er Jahren wach. „Der Irak hat ja damals auch Iran angegriffen. Wenn Israel mit gleicher Münze zurückschlägt, wird es heftig, denn Iran hat keinen Iron Dome“, erklärt er. Was bedeute: „Alles, was auf Iran niederregnet, richtet Zerstörung an.“

    „Der Wunsch nach Freiheit ist groß. Der Wunsch nach Frieden ist größer“

    Pedram Emami lebt heute in Hamburg und ist Chef der dortigen Ärztekammer. Er hat den Iran-Irak-Krieg erlebt und floh mit seinen Eltern aus dem Land.
    Pedram Emami lebt heute in Hamburg und ist Chef der dortigen Ärztekammer. Er hat den Iran-Irak-Krieg erlebt und floh mit seinen Eltern aus dem Land. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

    Pedram Emami hat den Iran-Irak-Krieg erlebt. Er floh als Teenager mit seinen Eltern aus dem Iran. Es war die Zeit, als alle Jungen ab zwölf Jahren für die Front eingezogen wurden. Heute arbeitet der promovierte Neurochirurg am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf und ist Präsident der Ärztekammer Hamburg. Mit Blick auf die jüngste Eskalation sagt er: „Es gibt viel Resignation nach dem Motto: Alles, was kommt, ist besser als das, was ist. Viele denken auch: Schlimmer kann es nicht werden.“ Die Realität zeige aber: Schimmer geht immer. Bei aller Resignation müsse man sagen: „Der Wunsch nach Freiheit ist groß. Der Wunsch nach Frieden ist größer.“