Erfurt/Saale-Holzland. Mehr als 25 Flüchtlinge aus Hermsdorf und etwa zehn Unterstützer waren am Freitag in der Landeshauptstadt zu Besuch. Warum es sie am Vormittag vor den Thüringer Landtag zog
Freitag, 9.45 Uhr, vor dem Thüringer Landtag in Erfurt: Es weht ein kalter Wind, der Himmel ist wolkenbedeckt. Hektisches Treiben herrscht nicht. In der Nähe des Eingangs zum Landtag stehen einige teure, schwarze Fahrzeuge deutscher Marken.
Ein Mann hat immer wieder die kleine Parkanlage direkt am Landtag im Blick. Im kurzen Gespräch stellt er sich als LKA-Mann vor. Ob bekannt ist, warum die ausländischen Männer hier im Park sind, wollte er wissen. Nachdem er erfahren hatte, dass sie eine Petition für die Schließung der Flüchtlingsunterkunft in Hermsdorf überreichen wollen, kommuniziert er per Funkgerät mit einer weiteren Person. Ob es ihm bei all seinem Tun um die Sicherheit von Barbara Gessler ging, der neuen Vertreterin der Europäischen Kommission in Deutschland, ist nicht bekannt. Sie jedenfalls war am Freitag zum Antrittsbesuch in der Landeshauptstadt zu Gast und sprach unter anderem über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und die anstehende Europawahl am 9. Juni.
Aus dem Saale-Holzland nach Erfurt: Flüchtlinge und Unterstützer kamen vor dem Landtag zusammen
Draußen im Park vor dem Landtag hatten sich allmählich etwa 25 bis 30 Männer zusammengefunden. Sie alle sind noch oder waren Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Hermsdorf, die wegen unzumutbarer Lebensumstände in der Kritik steht. Etwa weitere zehn Personen waren vor Ort, die sich in einer Unterstützungsgruppe organisieren und in regem Austausch mit den geflüchteten Menschen stehen.
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11.30 Uhr war die Gruppe mit Anja Müller (Die Linke) verabredet, der Vorsitzenden des Petitionsausschusses im Thüringer Landtag. Als diese unter anderem in Begleitung von Markus Gleichmann (Die Linke), Landtagsabgeordneter aus dem Saale-Holzland-Kreis, in die Kälte vor die Türen das Landtags trat, hatte sich die Gruppe bereits positioniert. Die Männer standen beisammen und hielten Plakate mit Aufschriften hoch wie „Menschlichkeit heißt nicht zu akzeptieren, wenn andere gedemütigt werden“, „Es ist mein Recht, wie ein Mensch zu leben“ und „Schließt die Lagerhalle – beendet ihren Betrieb!“. Sie zeigten auch Fotos von ihrer Unterkunft in Hermsdorf, so dass jeder sehen konnte, unter welchen Bedingungen sie dort derzeit leben müssen. Was auf ihren Plakaten steht, das haben sie selbst entschieden. Aufgeschrieben in ihrer Landessprache, übersetzt ins Englische und danach ins Deutsche, haben Helfer und Unterstützer die Plakate letztlich ausgedruckt und laminiert.
Zwei Frauen von der Unterstützungsgruppe der Flüchtlinge, die namentlich nicht benannt werden wollen, informierten Anja Müller zunächst über die Gründe für die Petition. Sie haben damals mitbekommen, dass Flüchtlinge in Hermsdorf in den Hungerstreik gingen, um auf die Zustände in der Lagerhalle aufmerksam zu machen. Die Zustände sind menschenunwürdig, sagen sie. Es sei wichtig, dass die Halle geschlossen wird – endgültig und jetzt!
Deshalb haben sie sich entschieden, eine Petition zu starten. Sechs Wochen lang wurden in Hermsdorf, aber auch in ganz Thüringen und deutschlandweit, Unterschriften gesammelt, 2300 sind es bis Freitag geworden. Davon seien 1500 Unterschriften handschriftlich erfolgt, die restlichen seien digital abgegeben worden. „Krass, das ist eine großartige Nummer“, kommentierte die Vorsitzende des Petitionsausschusses.
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Wie es jetzt weitergeht? Die Petition komme am 23. Mai auf die Tagesordnung des Petitionsausschusses. In diesem werde dann entschieden, ob eine öffentliche Anhörung noch in dieser Legislaturperiode erfolge. Die aktuelle Legislaturperiode endet am 1. September dieses Jahres mit der Landtagswahl. „Aber egal, wer danach im Ausschuss ist, diese Anhörung muss durchgeführt werden“, sagte Anja Müller.
Wie dringlich dieses Anliegen ist, machte ein Flüchtling deutlich, der während der offiziellen Übergabe seine Gedanken und Erlebnisse in seiner Landessprache schilderte. Ein anderer Flüchtling übersetzte auf Englisch, eine Unterstützerin auf Deutsch: Er lebe schon viele Monate in der Flüchtlingsunterkunft in Hermsdorf und ist sich sicher, dass die Menschen dort vergessen wurden, sagte der Mann. Er und auch die anderen wollen mit jemandem sprechen, aber niemand höre ihnen zu. Er wolle Deutsch lernen, habe aber keine Möglichkeit dazu. Im Camp gebe es keine sauberen Plätze, keine Ärzte und viele Bewohner seien krank und nehmen Drogen. Er sei nicht bei klarem Verstand, wenn er aufwache, weil er die ganze Zeit den Rauch einatme. Die Toiletten seien verdreckt, es gebe nur wenige Waschmaschinen für das ganze Camp. Das Essen sei schrecklich und sein Geld reiche nicht aus, um sich Nahrungsmittel zu kaufen. Nach Deutschland sei er gekommen, weil es ein demokratisches Land ist. Er wünscht sich, in Sicherheit leben zu können. Er sei nicht nach Deutschland gekommen, um sich von anderen mit Geld helfen zu lassen, sondern weil er sich selbst helfen wollte.
Fotostrecke zur offiziellen Übergabe der Petition: