Berlin. Ein Corona-Bonus wird sich für die Abiturienten 2020 rächen. Warum Lehrer und Schulen bessere Wege für gleiche Chancen finden sollten.

Ein Corona-Bonus für das Abitur 2020? Muss das sein? Klar, denkt man spontan. Logisch. Die armen Schüler können doch nichts dafür, dass sie ausgerechnet in dem Moment ihre Abiturprüfungen bestehen müssen, da in Deutschland der virale Ausnahmezustand herrscht. Ein bundesweiter Bonus, ein krisenbedingtes Schönheitslifting für die Abitur-Note – das wäre doch ein gutes Signal für einen Jahrgang, der trotz widriger Umstände eine lebensentscheidende Prüfung absolviert.

Bei näherem Hinsehen bekommt man jedoch Zweifel. Zuviel spricht dagegen.

Erstens: Nicht nur die Abiturienten hätten einen Bonus verdient. Sondern sämtliche Schüler und Auszubildenden, die aktuell in Prüfungsphasen stecken. Denn für jeden ändert sich gerade etwas – beim Unterricht, in der betrieblichen Praxis, beim Lernen zu Hause. Zweitens: Ein pauschaler Bonus kann schnell zu einem pauschalen Malus werden. Wird das Abitur bundesweit in einem bildungspolitischen Kraftakt um ein paar Punkte angehoben, bekommt ein ganzer Abiturjahrgang ein Etikett verpasst: „Die mit dem Corona-Bonus“. Das kann schnell so klingen, als sei das Abitur 2020 ein Abitur zweiter Klasse.

Kurzum: Ein offizieller, bundesweiter Corona-Bonus kann nur die Lösung sein, wenn alles andere gescheitert ist und das Abitur trotz aller Bemühungen sichtbar vom Durchschnitt der vergangenen Jahre abweicht.

Der eigentliche Corona-Jahrgang kommt ab 2021

Für die jetzigen Abiturprüfungen gilt deswegen: Lehrer, Schulen und Bildungspolitiker müssen einen besseren, einen eleganteren Weg finden, um Chancengleichheit herzustellen. Viele bewegen sich längst in die richtige Richtung: Sie können mit Rückendeckung aus der Politik die Spielräume der Notengebung so nutzen, dass dort, wo ein Nachteil erkennbar ist, Rücksicht bei der Bewertung genommen wird. Heißt: Sie können dafür sorgen, dass die Endnote keine gravierende Corona-Delle zeigt.

Julia Emmrich kommentiert
Julia Emmrich kommentiert © Reto Klar

Das gilt nicht nur für die aktuellen Abiturienten. Es gilt erst recht für diejenigen, die als nächste mit dem Abitur an der Reihe sind: die heutigen elften oder zwölften Klassen. Dieser Abschlussjahrgang wird am Ende der eigentliche Corona-Jahrgang sein: Während die jetzigen Abiturienten immerhin bis kurz vor Schluss eine normale Oberstufe erlebt haben, müssen sich deren Nachfolger an den Schulen auf einen monatelangen Ausnahmezustand einstellen.

Niemand kann derzeit sicher sagen, wie der Unterricht nach den Sommerferien aussieht. Solange die Abstandsregeln gelten ist normaler Schulbetrieb, bei dem sämtliche Schüler und Schülerinnen gleichzeitig im Gebäude unterrichtet werden, nicht denkbar. Die meisten Schulen stellen sich deswegen bereits jetzt auf eine lange Phase der Improvisation ein, in der digitaler Unterricht über weite Strecken den Präsenzunterricht ersetzen muss.

Die Folge: Jugendliche, die im Klassenraum aufblühen, die mit ihrer mündlichen Note schriftliche Schwächen ausgleichen wollen, haben es schwerer. Schüler, die die klare Tagesstruktur des Schulalltags brauchen, um sich zum Lernen zu disziplinieren, haben eklatante Nachteile. Und schließlich: Je mehr Leistungen zu Hause erbracht werden, desto schwerer ist es für die Lehrer zu kontrollieren, ob die Lösungen tatsächlich auch selbstständig entstanden sind. Das gilt nicht nur für die künftigen Abiturienten. Das gilt für alle Schüler.

Damit die Chancengleichheit durch Corona nicht unter die Räder gerät, muss es schnell Antworten geben: Wie kann der Schulalltag nach den Sommerferien laufen, damit der Unterricht mehr ist als ein riskantes digitales Experiment? Gibt es diese Antworten nicht oder werden sie nicht umgesetzt, wird spätestens der Abitur-Jahrgang 2021 einen Corona-Bonus brauchen, um an den Universitäten nicht durchzufallen.