Berlin. Die EU-Kommission wollte Firmen in die Pflicht nehmen für Menschenrechte und Klima. Doch ausgerechnet ein EU-Gremium funkte dazwischen.

Zwangsarbeit, Umweltzerstörung, miserable Arbeitsbedingungen: In vielen Ländern, wo Unternehmen aus der EU produzieren, werden nicht einmal Mindeststandards zum Schutz von Menschen und Umwelt eingehalten. Ein Gesetzesvorschlag aus der EU-Kommission soll dafür sorgen, dass Unternehmen aus der EU genau hinschauen, wie und mit wem sie im Ausland arbeiten und dafür auch Verantwortung übernehmen. Doch es gibt Gegenwind aus der Wirtschaft – und auch aus den Institutionen der EU selbst. Ein Report der Nichtregierungsorganisationen BUND, Friends of the Earth und Corporate Europe Observatory zeigt, wie unter erheblichem Druck von Wirtschaftslobbyisten der Gesetzentwurf für ein EU-Lieferkettengesetz verwässert wurde.

Eine zentrale Rolle spielt dabei laut Bericht, der dieser Redaktion vorliegt, der sogenannte Ausschuss für Regulierungskontrolle der EU (Regulatory Scrutiny Board, RSB). Grundlage für den Report sind interne Dokumente, zu denen die Organisationen auf Grundlage von Informationsfreiheitsrechten Zugang erhielten, und öffentliche Quellen.

Als sich im Herbst 2020 abzeichnete, wie ein EU-Lieferkettengesetz aussehen könnte, waren Menschenrechtler und Umweltorganisationen positiv überrascht, dass die Ideen der Kommission unter anderem starke Vorgaben zum Klimaschutz und konkrete Pflichten für Führungskräfte vorsahen. Doch Wirtschaftsverbände waren entsetzt und begannen, gegen die Vorschläge zu arbeiten.

EU-Lieferkettengesetz: Wirtschaftsverbände waren entsetzt

Bei der zuständigen Generaldirektion für Justiz und Verbraucher prallten sie dabei laut Report der NGOs weitgehend ab – und verlegten sich stattdessen auf ein neues Ziel: Den Ausschuss für Regulierungskontrolle.

Plant die EU-Kommission ein neues Gesetz, muss sie eine sogenannte „Folgenabschätzung“ vorlegen zu den Auswirkungen des Gesetzes, für die dieser Ausschuss grünes Licht geben muss. Billigt der Ausschuss diese Abschätzung nicht, folgt meist eine Überarbeitung des Gesetzentwurfs.

Im Fall des Lieferkettengesetzes, an dem die EU-Kommission seit einiger Zeit arbeitet, verweigerte der Ausschuss die Billigung zwei Mal und verlangte Änderungen, die in vielen Punkten den Interessen von Wirtschaftsvertretern entsprachen. Vor der ersten Ablehnung im Mai 2021 hatten schwedische und dänische Wirtschaftsverbände in Briefen an den Ausschuss mit Nachdruck darauf gedrungen, dass der Gesetzesentwurf geändert wird.

Verband feiert Änderungen als Erfolg seiner Lobbyarbeit

Die damalige Vorsitzende des RSB, Veronica Gaffey, hatte zudem Vertreter des großen französischen Industrieverbands AFEP getroffen, die mit dem Wunsch an sie herangetreten waren, über Regeln für Unternehmen zu sprechen. In einem vorbereitenden Email-Austausch, der den FUNKE-Zeitungen vorliegt, wies Gaffey darauf hin, dass Mitglieder des RBS keine einzelnen Gesetzesvorhaben mit Lobbyisten diskutieren dürfen.

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Aussagen von AFEP-Vertretern gegenüber Medien und ein inzwischen geänderter Eintrag auf der Website des Ausschusses weisen laut BUND-Report aber daraufhin, dass der Vorschlag für ein Lieferkettengesetz Thema war. Nachdem zweiten Veto des RSB verbuchte der Verband der dänischen Industrie (DI) die schwächeren Regeln des neuen Vorschlags als Erfolg seiner Lobbyarbeit.

Es sei schwer, die genauen Auswirkungen der Lobbyarbeit zu beurteilen, „aber es ist klar, dass sich die Interessen von Wirtschaft und RSB erheblich überschnitten haben“, heißt es im Report der NGOs.

EU-Lieferkettengesetz: Nur noch rund ein Bruchteil der Unternehmen erfasst

„Wir beobachten schon lange, dass der Ausschuss für Regulierungskontrolle eine sehr starke Schlagseite dahin hat, neue Regulierungen unternehmensfreundlich auszugestalten“, sagte Lia Polotzek, Leiterin Politische Planung beim BUND. Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus werde im Interesse der Unternehmen gehandelt, nicht im Interesse des Gemeinwohls. „An diesem spezifischen Fall kann man sehr gut nachvollziehen, was für ein problematisches Forum da geschaffen wurde.“

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Nachdem der Ausschuss zweimal Nachbesserungen gefordert hatte, sieht der aktuelle Vorschlag der Kommission laut NGO-Bericht vor, dass deutlich weniger Unternehmen vom Gesetz betroffen sein werden – statt 44.000 größeren Unternehmen sind nur noch 11.700 erfasst. Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette sollen nur noch für „etablierte Geschäftspartner“ gelten, was einen Teil von Geschäftsbeziehungen ausschließen könnte. Und auch die Vorgaben zum Klimaschutz sind deutlich geschwächt. So müssten Unternehmen nach diesem Entwurf zwar einen Vorschlag für Klimaschutzmaßnahmen machen, aber kurz-, mittel- oder langfristigen Ziele setzen und einhalten.

„Es führt letztlich kein Weg vorbei an der Erkenntnis: der RSB war der Schlüssel zur Strategie der Wirtschaft“, heißt es im Bericht der NGOs.