Berlin. Die Umfragewerte der CDU/CSU sinken. Bei der Union wächst die Irritation über den Wahlkampf ihres Kanzler-Kandidaten Armin Laschet.

  • Für die Union geht es in den Umfragen derzeit immer weiter nach unten
  • Die Union verzweifelt an ihrem Kanzlerkandidaten
  • In der eigenen Partei zeigt man sich über Laschets Wahlkampf verwundert

Die Nerven sind dünn geworden. Auch wenn Armin Laschet bei Wahlkampfauftritten oft sein - stets leicht verschmitzt wirkendes - Lächeln aufsetzt, ist immer häufiger auch ein harter Zug in seinem Gesicht zu beobachten.

Laschet ist auf dem Weg in die „Todeszone“. So hat der frühere Grünen-Außenminister Joschka Fischer vor Jahren einmal das Kanzleramt bezeichnet und den Weg dorthin mit der Extrembergsteigerei verglichen: „Ich habe viele ‚Talente‘ dort oben im Eis festfrieren sehen.“

Ausdrücklich bezog sich Fischer damals auch auf Ministerpräsidenten: „Es ist ein Unterschied, ob man einen Fünftausender besteigt oder auf einem Achttausender in die ‚Todeszone‘ kommt.“ In Todeszonen kann man höchste Ziele erreichen – oder aber den politischen Tod sterben.

Laschet schlägt Häme in den sozialen Netzwerken entgegen

Wie gefährlich dünn die Luft ist, erlebt Laschet seit Wochen. In den sozialen Netzwerken wird er angegriffen und verhöhnt, sei es für sein unpassendes Lachen beim Auftritt des Bundespräsidenten im Hochwassergebiet, sei es für seine hilflose Reaktion auf einen Flutbetroffenen, der ihn wütend ansprach.

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Auf Twitter sorgt gerade ein Interview im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz für Empörung. In diesem hatte die ARD-Moderatorin Tina Hassel alle drei Kandidaten – Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz gefragt, wohin sie als Kanzlerin oder Kanzler ihre erste Auslandsreise unternehmen würden. Während Baerbock („Nach Brüssel“) und Scholz („Nach Paris“) ohne zu zögern konkret antworteten, wich Laschet aus. „Das würde ich erst dann machen, wenn es soweit ist”, sagte er. „Man kann es erahnen.“

Gemeint ist wahrscheinlich Paris: Laschet ist seit 2019 Beauftragter für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen, weiß um die Bedeutung die das deutsch-französische Tandem für das Funktionieren der EU hat. Trotzdem wirkte seine Antwort seltsam planlos.

Das Prinzip Laschet

In Wirklichkeit ist es nicht planlos. Es ist das Prinzip Laschet, das er schon im Vorfeld seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden praktizierte. Statt klar Position zu beziehen, bleibt er lieber im Ungefähren. Nicht polarisieren, nicht anecken, nicht in direkte Schlachten gehen.

In Thüringen nominiert die CDU einen ins Verschwörerlager abgedrifteten Ex-Verfassungsschutzpräsidenten? Wird weggeatmet. Nach der Hochwasserkatastrophe fordern Umweltaktivisten einen radikalen Kurswechsel in der Klimapolitik? „Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“, so Laschets Reaktion. Sein Kalkül: Die Mehrheit der Deutschen will Stabilität und Kontinuität, keine tiefgreifenden Veränderungen. Sie werden auch dann weiter die CDU wählen, wenn Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin ist.

In den Umfragen schmilzt der Vorsprung der Union

Es ist eine Strategie, die Laschet bei Merkel studieren konnte: die der asymmetrischen Demobilisierung. Statt mit neuen Reformprojekten und Ideen in die Wahlkämpfe zu ziehen, setzte sie auf das „Sie kennen mich Prinzip“. „Raute reicht nicht“, meckerte selbst die konservative FAZ im Bundestagswahlkampf 2017 in Anspielung auf Merkels typische Geste, nannte ihren Politikansatz „ideenlos“. Doch der Wahltag zeigte: Sie reichte doch.

Das ist bei Laschet aber keineswegs gewiss. In Umfragen schmilzt der lange Zeit komfortable Vorsprung der Union dahin. Selbst wenn sie knapp als erste ins Ziel ginge, könnte es für eine andere Dreierkonstellation reichen – ohne die Union. In der Partei macht sich Verzweiflung breit.

„Man kann den Eisberg sehen“, sagt ein Spitzenpolitiker in Anspielung auf den Untergang der „Titanic“: „Aber auf der Brücke heißt es: Wir sind doch auf Kurs.“ Wo das Problem liegt, darüber gehen die internen Analysen auseinander. „Das Kernproblem ist sein Stab“, sagt einer. An guten Vorschlägen mangele es nicht, eher an der Beratungsbereitschaft des Kandidaten, befindet ein anderer.

Sticheleien aus München

Hinzu kommen die Sticheleien aus München, wo CSU-Chef Markus Söder sich durch die Umfragewerte im Glauben bestärkt sieht, er wäre der Richtige für die Kanzlerkandidatur gewesen. Von einem Wahlkampf im „Schlafwagenmodus“ spricht er und prognostiziert ein „Wimpernschlagfinale“.

Laschet lässt die Kritik abperlen wie die Umfragewerte. Er hat sich eingebunkert, selbst Vertraute erreichen ihn kaum oder gar nicht mehr. Termine, die Potenzial für neue Angriffe haben könnten, werden vermieden. Die Liste der Ab- oder Nicht-Zusagen ist inzwischen lang. Dass Laschet nicht mit dem Youtuber Rezo sprechen wollte, der mit dem Video „Die Zerstörung der CDU“ einst Laschets Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer in eine schwere Krise stürzte, ist nachvollziehbar. Aber auch der VdK, der größte Sozialverband Deutschlands sowie diverse Medien erhielten eine Abfuhr.

Stattdessen besucht Laschet lieber einen Boxclub in Frankfurt oder trifft Tesla-Boss Elon Musk in seiner neuen Fabrik in Brandenburg. In einer gemeinsamen Pressekonferenz beklagten dort beide die deutsche Regulierungswut.

Laschet ist durch Aushalten vorangekommen

Das passt zu Laschets Programm eines „Entfesselungspakets“ für die Wirtschaft. Bei den deutschen Wählern, bei denen schillernde ausländische Milliardäre wie Musk eher gemischte Gefühle auslösen, dürfte es ihm nur begrenzt Stimmen bringen. „In letzter Zeit hat man sich gefragt: wird die Bahn bestreikt oder die CDU?“, fasst der CDU-Europapolitiker Dennis Radtke, ein langjähriger Wegbegleiter Laschets, die derzeitige Stimmungslage zusammen: „Wir sollten das allerdings nicht als Einladung zum Jammern verstehen, sondern als Mahnung, endlich mit Themen nach vorne zu gehen.“

Doch Laschet hat eine andere Erfahrung gemacht. Vorangekommen ist er sehr häufig in seiner Laufbahn nicht durch visionäre Vorstöße oder Auftritte, sondern durch Aushalten. So wurde er – entgegen aller Prognosen – Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, so besiegte er den für den CDU-Parteivorsitz von vielen favorisierten Friedrich Merz, so setzte er sich im Duell um die Kanzlerkandidatur gegen den scheinbar übermächtigen Markus Söder durch. Er weiß: Wenn er es am Ende zum Gipfel, ins Kanzleramt schafft, ist es zweitrangig, ob ihm dies als strahlender Sieger oder mit letzter Puste gelingt. Gefährlich wird es für ihn, wenn er es nicht schafft.