Berlin. Deutschland ist die führende Wirtschaftsnation der EU. Doch bei der Höhe des Mindestlohns sind andere EU-Länder in der Rangliste vorn.

Obwohl der Mindestlohn hierzulande zuletzt gestiegen ist, hinkt Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern deutlich hinterher. Das ist das Ergebnis des Internationalen Mindestlohnreports, den das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht hat.

  • Der deutsche Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde belegt aktuell im EU-Vergleich des WSI zusammen mit den Briten den sechsten Platz. In Großbritannien wird der Mindestlohn jedoch zum 1. April auf umgerechnet 9,93 Euro steigen.
  • Den höchsten Mindestlohn gibt es in Luxemburg (12,38 Euro).
  • Drei weitere westeuropäische Staaten haben inzwischen einen Mindestlohn von mehr als zehn Euro pro Stunde: Frankreich, die Niederlande und Irland – und liegen damit im EU-Ranking vor Deutschland.
  • Das Mittelfeld wird von Spanien angeführt. Dort liegt die Lohnuntergrenze lediglich bei 5,76 Euro, der Nachbar Portugal hat einen Mindestlohn von nur 3,83 Euro.
  • Am Ende der EU-Rangliste liegen die meisten osteuropäischen Länder. Schlusslicht bildet Bulgarien mit einem Mindestlohn von umgerechnet 1,87 Euro.
  • Unter den außereuropäischen Industrie- und Schwellenländern finden sich die höchsten Mindestlöhne in Australien (12,10 Euro) und Neuseeland (10,41 Euro).
  • Die Aufstellung berücksichtigt nicht die nordischen Länder, Österreich und Italien, in denen keine gesetzlichen Mindestlöhne existieren.

Deutschland hat den Mindestlohn spät eingeführt

„Deutschland hat den Mindestlohn erst ziemlich spät und auf relativ niedrigem Niveau eingeführt“, sagte Tarifexperte Thorsten Schulten, der maßgeblich an der Auswertung beteiligt war. Der deutsche Mindestlohn wurde Anfang 2015 mit 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. Zum 1. Januar 2020 wurde er auf 9,35 Euro pro Stunde .

Während die Untergrenzen in den 21 EU-Staaten und Großbritannien, in denen Mindestlöhne gelten, zuletzt im Schnitt um 6 Prozent stiegen, liegt Deutschland mit einer Erhöhung von gerade einmal 1,7 Prozent deutlich darunter. Rechnet man den Effekt der Inflation heraus, stiegen die Mindestlöhne EU-weit um 4,4 Prozent und hierzulande um 0,3 Prozent.

„2020 könnte Jahr des Mindestlohns werden“

Deutschlands Mindestlohn liegt zudem nach Berechnung der Studie bei 46 Prozent des mittleren Lohns. Experten sehen einen Mindestlohn, der unter 60 Prozent liegt, als armutsgefährdend an.

Insgesamt konstatiert das WSI aber einen EU-weiten Trend zu einer deutlichen Stärkung von Mindestlöhnen. „2020 könnte in Europa das Jahr des Mindestlohns werden“, heißt es im WSI-Mindestlohnbericht.

Der Mindestlohn steht auf der Agenda der EU-Kommission

Mittlerweile ist das Thema Mindestlohn auch auf der Agenda der EU-Kommission angekommen, die sich für eine EU-weite Regelung einsetzen will. Dabei geht es nicht um einen einheitlichen Lohn, da die Lebenshaltungskosten in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich sind. Stattdessen könnte es aber auf verbindliche Standards hinauslaufen.

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    „Eine EU-weite Anpassung könnte zu einer erheblichen Erhöhung der Löhne führen“, sagt Thorsten Schulten. Auf Deutschland berechnet, würde das etwa zu einem Mindestlohn von 12 Euro führen, wie ihn etwa die SPD und Gewerkschaften wie Verdi fordern. (dpa/bef)