Erfurt. Die frühere Nationalspielerin Jennifer Pettke trägt in sich, was es braucht, um im Kampf gegen den Bundesliga-Abstieg punkten zu können. Das junge Volleyball-Team von Schwarz-Weiß Erfurt muss diese Erfahrungen erst sammeln.

Der Angriffsschlag von Maja Storck kommt mit Schmackes, diagonal mitten ins Feld. Jennifer Pettke kriegt gerade noch die Arme unter den Ball. Er wird zum Bumerang, geht übers Netz, dorthin, wo sechs Aachenerinnen bedröppelt aus der Wäsche gucken, wie er im Feld auftippt. Eine Not-Abwehr zum 14:9 im dritten Satz. Wenig später: 2:1, Aachen muss sich schütteln. Plötzlich ist er da: dieser Augenblick, in dem alles passt für die Erfurterinnen.

„Oh ja, ein unvergesslicher Moment“, schwärmt Jennifer Pettke. Die 30-Jährige strahlt dabei übers gesamte Gesicht wie an jenem 14. Dezember. Damals erwischt sie die Ladies in Black nicht nur mit ihrer „goldenen“ Abwehr auf dem falschen Fuß. Ihre Aufschlagserie im Tiebreak vom 8:13 zum 15:13 bildet das i-Tüpfelchen beim 3:2-Sensationssieg der Erfurterinnen gegen Aachens Spitzenteam.

„Wir haben gekämpft, wirklich alle hatten einen super Tag. Manchmal laufen solche Spiele einfach“, sagt sie. Die Erfurter Kapitänin denkt gern an den Abend. Er trägt über eine Enttäuschung wie beim 0:3 eine Woche später beim VfB Suhl hinweg. Er gibt Hoffnung, Bestätigung. Der einzige Sieg ist ein Schritt im Lernprozess, obwohl es zuletzt beim 1:3 in Vilsbiburg erneut zu keinem Erfolgserlebnis für den Vorletzten gereicht hat.

Viel Lob, oftmals wenig Zählbares

„Wir waren so dicht dran“, freut und ärgert sich Florian Völker zugleich. Mit Daumen und Zeigefinger zeigt der Schwarz-Weiß-Trainer jenes fehlende Quäntchen, das vorige Woche zu einem zweiten Satzgewinn nötig gewesen wäre. Nur einen Spalt lässt er frei. So eng waren die Sätze gewesen. Erneut viel Lob, erneut wenig Zählbares.

Jennifer Pettke, 1,86 Meter groß, sieht ihr Spiel im Rückblick weniger gut. Nervös sei sie gewesen, weil sie voller Vorfreude in die alte Heimat Vilsbiburg zurückkehrte; zur „Raben-Familie“, in der sie zwei schöne Jahre verbracht hat, ehe sie nach Erfurt kommt. Das Gefühl, gut aufgehoben zu sein, verschafft das Wohlfühlklima, das sie als Familienmensch so mag. Das schätzt sie nun auch in Thüringen. Aber sie wäre nicht sie, nähme sie aus der 1:3-Niederlage nicht das Positive mit: „Als Team haben wir echt gut gekämpft.“

Die Schwarz-Weißen um Kapitänin Jennifer Pettke bejubeln einen Punktgewinn. Gegen Aachen feierten sie sogar einen Tiebreak-Sieg. Er trägt, gibt Hoffnung im Kampf um den Klassenerhalt.
Die Schwarz-Weißen um Kapitänin Jennifer Pettke bejubeln einen Punktgewinn. Gegen Aachen feierten sie sogar einen Tiebreak-Sieg. Er trägt, gibt Hoffnung im Kampf um den Klassenerhalt. © Sascha Fromm

Frohsinn, das Nach-vorn-Schauen ist das Naturell der gertenschlanken Mittelblockerin. Verbunden mit der Gabe, eine harte Arbeiterin mit Führungsstärke zu sein. „Wir müssen zurückfinden zu der Leistung gegen Aachen“, sagt die Schwarz-Weiß-Älteste. Auch wenn sie weiß, dass es am Samstag unter Umständen mehr als die apostrophierte Leidenschaft braucht, um Schwerin so zu kitzeln wie die Ladies in Black.

Halbes Nationalteam gastiert in Erfurt

Die Norddeutschen kommen mit dem Zug; mit dem Prädikat des zwölfmaligen deutschen Meisters, der am Mittwochabend in Finnland bei HPK Hämeenlinna das Achtelfinal-Hinspiel im CEV-Cup 3:1 gewann. Und der Vizemeister kommt mit der halben deutschen Nationalmannschaft. Sechs der sieben deutschen Spielerinnen im 14-köpfigen Kader berief Vereins- wie Bundestrainer Felix Koslowski in das Aufgebot für die am Ende knapp verpasste Olympia-Qualifikation. Im Hinspiel muss der haushohe Favorit den Schwarz-Weißen einen Satz überlassen und führt die Bundesliga aktuell an.

Die geballte Klasse ist für „Jenny“ Pettke bekanntes Umfeld. Speziell mit Kimberly Drewniok (Diagonal) und Anna Pogany (Libero) verbindet sie „eine unheimlich schöne Zeit“ im Nationaltrikot. Herzensgut und sehr fleißig beschreibt sie beide. Gleiches scheint sich anzuziehen.

Insgesamt 50-mal spielt die aus Leverkusen stammende Mittelblockerin zwischen 2014 und 2018 für Schwarz-Rot-Gold. Der Weg dorthin führt über Zweifel und den Rat, lieber die Sportart zu wechseln. Den Tipp bekommt das Mädchen seinerzeit, als es mit sieben in der Ballspielgruppe beginnt – dünn, schlaksig, etwas auf Kriegsfuß mit der Koordination von Händen, Beinen und dem Umgang mit Ball. „Aber ich wollte Spaß haben“, sagt sie sich – und macht weiter.

Erst der Abschluss, dann das Durchstarten

Das „Weiter“ wird ein steiler Aufstieg. Irgendwann. „Mit 15, 16 hat mein Körper verstanden: Das bringt etwas.“ Das viele Krafttraining schlägt step by step an. Erste Liga, zweite Liga. So richtig findet Jenny Pettke erst dann Gefallen daran, nachdem sie den Abschluss als Sport- und Gymnastiklehrerin und darauf aufbauend als Motopädin in der Tasche hat. Mit 24 startet sie richtig durch.

Leverkusen, Hamburg, Wiesbaden, Stuttgart, Vilsbiburg, zwei Europameisterschaften, eine WM – und nun Erfurt. Jennifer Pettke ist einer der „Grannys“, der „Omis“ mit Zuspielerin Clarisa Sagardia (30) beim jungen Team des Bundesliga-Vorletzten. Er kämpft erneut ums sportliche Überleben. „Wenn man es sportlich sieht, ist es nicht das einfachste Jahr“, gesteht die 30-Jährige, „aber ich fühle mich echt wohl hier. Ich glaube immer noch daran, dass wir die Klasse halten können“. Mit der Kroatin Barbara Dapic käme dabei noch neue Angriffsstärke hinzu.

Leidenschaft ist dabei eine Seite für die erfahrene Kapitänin. Als Ruhepol sieht sie sich, als eine, die alles im Blick habe. Und sie weiß, worauf es ankommt. Darauf, den Mumm zu haben, die Chance zu nutzen, wenn sie sich ergibt; auf das Selbstvertrauen und dann auch das Quäntchen Glück gegen übermächtig scheinende Konkurrenz. Bis es heißt: „Hey, wir können es. Wir sind ein starkes Team.“

Auch Gewinnen will gelernt sein.

Schwarz-Weiß Erfurt - SSC Palmberg Schwerin, Samstag, 17 Uhr, Riethsporthalle