Wien. Unter Ralf Rangnick hat sich Österreichs Fußball weiterentwickelt. Das dürfte auch sein ehemaliger Zögling Julian Nagelsmann spüren.
Am Montagmorgen machte Ralf Rangnick mal wieder das, was er als Fußballtrainer besonders gerne tut: Der Nationaltrainer Österreichs kümmerte sich um den Nachwuchs. Am Tag vor dem Länderspiel gegen Deutschland am Dienstagabend (20.45 Uhr/ZDF) begrüßte Rangnick im Ernst-Happel-Stadion eine Schulklasse. Der 65-Jährige erklärte den Kindern, was er mit den Profis gleich im Abschlusstraining vorhabe. Anschließend überreichte er der Klassensprecherin ein signiertes Trikot. Fotos und Autogramme staubten am Ende alle Kinder ab
Schon in seiner Zeit bei 1899 Hoffenheim und RB Leipzig galt der Fußballlehrer, seit Mai 2022 Teamchef von Österreich, als Mann mit einem besonderen Auge für Talente – und für talentierte Trainer. 2006 hatte er als Hoffenheim-Trainer bei einem Nachwuchsspiel den jungen Fußballer Julian Nagelsmann beobachtet und seitdem Kontakt zu ihm gehalten. 2019 holte Rangnick als Sportdirektor von RB Leipzig den mittlerweile 32 Jahre alten Nagelsmann aus Hoffenheim und machte ihn zu seinem Nachfolger als Cheftrainer. „Wir hatten immer wieder Kontakt“, sagte Rangnick am Montagmittag, einen Tag vor dem vierten direkten Duell der beiden Trainer. „Ralf hat früh um mich gekämpft. Er hatte immer Vertrauen in mich. Ich habe ihm viel zu verdanken“, sagte Nagelsmann am Nachmittag.
Rangnick trifft erstmals als Trainer auf Deutschland
Nun stehen sich die beiden erstmals als Nationaltrainer gegenüber. Und die Ausgangslage hat sich komplett verändert. In den Zeiten, in denen sich Rangnick und Nagelsmann noch in der Bundesliga begegneten, war Deutschland in den Länderspielen gegen Österreich immer der klare Favorit. Das ist jetzt anders. Im letzten Testspiel des Jahres 2023 begegnen sich die beiden Nachbarn auf Augenhöhe. „Es ist ein brisantes, spannendes Duell. Auf Vereinsebene würde man es als Derby bezeichnen“, sagte Rangnick, der erstmals in seiner Karriere als Trainer einer Nationalmannschaft auf sein Heimatland trifft.
Dass Österreich am Dienstag nicht mehr als Außenseiter auf Deutschland trifft, hat auch mit Rangnick zu tun. In einer starken Qualifikationsgruppe mit Belgien und Schweden sicherte sich Österreich souverän das EM-Ticket. Seit November 2022 hat die ÖFB-Auswahl nur ein Länderspiel verloren – gegen Belgien. Zum Vergleich: In dieser Zeit verlor Deutschland sechs Spiele, zuletzt am Samstagabend in Berlin gegen die Türkei.
Harnik erklärt Entwicklung von Österreich
„Deutschland und Österreich haben sich in den vergangenen Jahren aufeinander zubewegt“, sagt auch Martin Harnik. Der 68-malige Nationalspieler Österreichs, der heute noch in der Oberliga Hamburg für die TuS Dassendorf spielt, hat so häufig gegen Deutschland gespielt wie kein anderer Österreicher in der Geschichte des bislang 39 Mal ausgetragenen Länderspiel-Derbys. Zwischen 2008 und 2013 hat Harnik allerdings auch alle seine sechs Spiele gegen Deutschland verloren. „Das war keine Schande. Wir waren damals noch nicht so weit“, sagt Harnik über die deutsche Hochzeit unter Joachim Löw, in der die DFB-Auswahl bei allen großen Turnieren mindestens ins Halbfinale kam, gekrönt durch den WM-Titel 2014.
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Doch in den vergangenen Jahren hat der kleine Nachbar aufgeholt, was auch daran liegt, dass Rangnick schon als Funktionär bei Red Bull Salzburg dem österreichischen Fußball seine Ideen vermittelt. „Österreich hat sich in vielen Bereichen verbessert und sich an die europäischen Spitzenmannschaften herangeschlichen“, befand auch Nagelsmann. Das verdeutlicht ein Blick auf das Mittelfeld, das Rangnick zur Verfügung steht. Konrad Laimer (Bayern München), Marcel Sabitzer (Borussia Dortmund) sowie Xaver Schlager, Christoph Baumgartner und Nicolas Seiwald (alle RB Leipzig) spielen allesamt bei deutschen Spitzenklubs. Hinzu kommt Kapitän David Alaba. Der Abwehrchef von Real Madrid sieht die Deutschen individuell aber noch stärker aufgestellt. „Sie haben Weltklasse-Einzelspieler“, sagte Alaba.
Spielt Havertz erneut als Linksverteidiger?
Einer davon ist Kai Havertz, dem Nagelsmann bereits nach dessen überraschender Premiere als Linksverteidiger gegen die Türkei eine Weltklasse-Leistung attestierte. Auch in Österreich könnte der Bundestrainer auf seine Idee mit einem zusätzlichen „Joker“ auf dem Feld setzen. „Es kann aber auch sein, dass ein anderer spielt. Kai ist gegen die Türkei viel gelaufen, hat viel wegverteidigt“, sagte Nagelsmann.
Nagelsmanns Förderer Rangnick hat die Idee mit Havertz offenbar gefallen. „Man hat in der Anfangsphase gegen die Türkei gesehen, welchen Fußball Julian spielen lassen will“, sagte er. „Ich bin überzeugt, dass Deutschland die Chance hat, eine richtig gute Euro zu spielen, weil sie die Spielerqualität haben und mit Julian einen absoluten Toptrainer.“
Rangnick will Österreich zur Turniermannschaft machen
Auch Österreich will mit Rangnick bei der EM weit kommen. Anders als bei der Heim-EM 2008, als die ÖFB-Mannschaft als Gastgeber nach einem 0:1 im Wiener Ernst-Happel-Stadion gegen Deutschland durch das berühmte Freistoßtor von Michael Ballack schon in der Vorrunde ausschied. „Wir waren damals noch nicht so weit“, sagt Harnik. „Im Kader standen nur drei Spieler, die im Ausland gespielt haben. Heute sind es wahrscheinlich nur drei Spieler, die noch in Österreich spielen. Daran sieht man, wie sich der Fußball in Österreich entwickelt hat.“
Damit es 2024 besser läuft als 2008, will sich Österreich nun zu einer Turniermannschaft entwickeln, wie der Zuversicht ausstrahlende Rangnick am Montag erklärte. Sollte auch dieses Vorhaben gelingen, wären Deutschland und Österreich endgültig auf Augenhöhe angekommen.