Martin Debes begibt sich auf den Weltmarkt.

Der beste Verkäufer des Landes Thüringen, und daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen, stammt aus dem niedersächsischen Ort Osterholz-Scharmbeck. Niemand anderes außer Bodo Ramelow kann alle 92 Weltmarktführer aus dem kleinsten Freistaat aufsagen, wobei ich ihm diese Zahl ebenso unbesehen glaube wie die Behauptung, dass jede vierte in Deutschland verkaufte Glasflasche aus Thüringen kommt.

Wie jeder Werber ist Ramelow ein Meister der Superlative. „Wir haben die größte Keksfabrik Europas, wir haben den größten Pizzaofen Europas!“, rief er in der vorigen Woche aufs Neue. Und auch wenn ich nicht dabei war, sondern mich auf das Protokoll seiner Eckermänner aus der Staatskanzlei verlassen muss, so bin ich mir sicher, dass er dies völlig ironiefrei meinte.

Nun ließen sich die Reklamesätze als westdeutscher Paternalismus geißeln oder, das geht heutzutage immer, als kulturelle Aneignung. Doch wie andere Zugereiste, die dereinst in Frankfurt am Main oder Marbach am Neckar geboren wurden, ist auch Ramelow ganz und gar dem thüringischen Charme verfallen.

Wie könnte es anders sein. Nur hier gab es – tja, Bayern – das erste Reinheitsgebot für Bier und – sorry, Heidelberg – die erste deutsche Universität. Nur hier bekam die erste Republik ihre Verfassung. Nur hier wurde Bach geboren, Luther bekehrt, die Urburschenschaft gegründet, der Lohengrin uraufgeführt und das erste Planetarium gebaut. Und hier, klar, gibt es den einzigen linken Ministerpräsidenten in deutschen Landen.

Klassik, Frühromantik, Bauhaus, Reformation und natürlich die Windsors: Dies alles ließe sich nicht erklären ohne Thüringen, diesem eigenartigen Ensemble aus Wald, Feldern und Dörfern, von denen sich einige Städte nennen.

Was sich allerdings auch kaum ohne Thüringen erklären lässt, ist der Nationalsozialismus. Hier gab es die erste bürgerliche Regierung mit völkischer Tolerierung, die erste Regierung mit NSDAP-Beteiligung und das erste Konzentrationslager.

Und es scheint sich fortzusetzen. Nur hier wurde der NSU rekrutiert und hat ein rübergemachter Oberstudienrat aus Hessen zu seiner Barbarossa-Mission gefunden. Nur hier wurde Björn Höcke Spitzenkandidat und Landeschef der AfD, nur hier gründete er seinen Flügel, mit dem er die Partei auf seinen extremen Kurs nötigte, und nur hier will er, na klar doch, Ministerpräsident werden.

Überhaupt, die Regierungschefs. Einer, das war kurz nach dem letzten Weltkrieg, war plötzlich aus Weimar verschwunden und tauchte nach einigen Tagen im Westen wieder auf. Einer, das war nach dem Experiment namens DDR, wurde als angeblicher „Stasi-Clown“ weggemobbt. Einer wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt und einer trat drei Tage nach seiner Wahl unter allerlei Getöse zurück. Und einer, ich erwähnte ihn schon, wurde in summasummarum sechs von acht Wahlgängen nicht vom Landtag gewählt – und amtiert trotzdem seit bald zehn Jahren.

Die einzige deutsche Minderheitsregierung, wie könnte es anders sein, gibt es ebenso nur hier. Und nur hier beschließen CDU und FDP gelegentlich Gesetze mit der AfD, die sie ansonsten für total gemeingefährlich halten. Und: Hier gibt es den ersten und einzigen Landrat der AfD, der mürrisch dabei zuschaut, wie die Kollegen von der Union die Bezahlkarte einführen und Asylbewerber arbeiten lassen.

Zuweilen, ach was, ziemlich oft wünsche ich mir jene Zeit zurück, als Auswärtige mein armes Thüringen in routinierter Ignoranz ausschließlich mit Bratwürsten, Klößen und Wintersportweltmeisterinnen in Verbindung brachten. Andererseits, und es wäre einigermaßen verlogen, wenn ich das nicht zugeben würde: Ohne diese verrückte Entwicklung wäre ich nie zu der Anmaßung gelangt, dass sich jemand außer meiner Mutter für ein von mir geschriebenes Buch über die politische Beschaffenheit dieses Landes interessieren könnte.

Nun, weil Superwahljahr ist, habe ich noch eins verfasst. Und auch wenn meine Verkäuferqualitäten nicht ansatzweise an die des gelernten Karstadt-Kaufmanns Ramelow heranreichen, so sei doch mitgeteilt, dass das Buch „Deutschland der Extreme“ heißt, 20 Euro kostet und ab dem 14. März erhältlich ist. Erstmals vorgestellt wird es am 19. März beim Weltmarktführer für Werke über Thüringen, also in der Buchhandlung Peterknecht, um 19.30 Uhr. Kommen Sie doch vorbei.