Berlin. Eine neue Webseite will Schwangeren vor der Geburt Orientierungshilfe geben. Das Angebot kommt zwar gut an, ist jedoch umstritten.

Eine der dringlichsten Fragen für Schwangere lautet: Wo soll mein Kind zur Welt kommen? Wer sich für eine Entbindung in einer Klinik entscheidet, besucht oft eine Kreißsaal-Führung. Orientierung bietet aber auch die Webseite www.kreisssaal-navi.de. Vor über einem halben Jahr ging die Seite online. Nach den ersten sieben Monaten kommen Fachleute und Nutzerinnen zu sehr unterschiedlichen Bewertungen. Die Urteile reichen von „hervorragendes Tool“ über „grundsätzlich gut“ bis hin zu „nur sehr bedingt geeignet“.

Die Webseite erfasst Krankenhäuser mit geburtshilflicher Abteilung in ganz Deutschland und sortiert sie anhand von acht Filtern. Werdende Eltern sollen so in die Lage versetzt werden, die für sie entscheidenden Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten. Das Kreißsaal-Navi ist ein Angebot des in Köln ansässigen Science Media Centers (SMC), hinter dem Wissenschaftsjournalisten stehen.

Geschäftsführer Volker Stollorz erläutert: „Es ging uns um die Frage, was eine gute Geburtsklinik ausmacht.“ Die Informationen auf einer eigenen Webseite zu veröffentlichen, war dennoch „ein für das SMC ungewöhnlicher Schritt“, sagt er, „weil wir uns mit unseren Angeboten eigentlich nicht direkt an Endnutzer:innen wenden, sondern an Journalist:innen“.

Kreißsaal-Navigator: So funktioniert die Klinik-Suche

Auf kreisssaal-navi.de den Button „Los geht’s!“ anklicken, acht Fragen beantworten und als Ergebnis Empfehlungen erhalten, welche Geburtskliniken den eigenen Kriterien entsprechen. Zu den abgefragten Kriterien gehören zum Beispiel der Umkreis um den eigenen Wohnort, die absolute Zahl der Geburten pro Jahr, die Verfügbarkeit verschiedener Fachärzte (Frauen- und Kinderärzte, Anästhesistinnen) und einer eigenen Kinderklinik, die Kaiserschnittrate oder das Betreuungsverhältnis von Hebamme und Gebärender.

Da offizielle Daten der Krankenhäuser Wünsche offen ließen, entschlossen sich die Wissenschaftsjournalisten, selbst Daten zu erheben. Gemeinsam mit mehreren Regionalmedien bat das SMC alle Geburtskliniken in Deutschland um Auskunft.

Bislang haben sich nach Darstellung auf der Webseite 368 von insgesamt 642 Geburtskliniken in Deutschland beteiligt, rund 57 Prozent. Die Nutzerzahlen seien anfangs, als Tageszeitungen und öffentlich-rechtliche Rundfunksender viel berichtet hätten, in die Tausende gegangen. Bis heute kämen 20 bis 50 Suchende täglich auf die Webseite, sagt Stollorz.

Daten stammen von Kliniken selbst

„Natürlich handelt es sich bei den Angaben um Selbstauskünfte. Und wir können nicht ausschließen, dass Kliniken falsche Angaben gemacht haben“, räumt der SMC-Geschäftsführer ein. „Wir haben jedoch unser Bestes getan, um die Angaben auf Plausibilität zu prüfen.“ Damit spricht Stollorz selbst zwei Probleme an, die auch Fachleute sehen: zum einen die relativ geringe Zahl der Krankenhäuser, die sich beteiligt haben, und zum anderen die Tatsache, dass sich das SMC weitgehend auf die Angaben der Kliniken verlässt.

Einige Daten vermisst zum Beispiel Caroline Quinkenstein, die das Kreißsaal-Navi insgesamt „super interessant und mit Einschränkungen hilfreich“ findet. Die 29-Jährige aus Recklinghausen, die im Januar ihr erstes Kind erwartet, hat in einem 15-Kilometer-Umkreis ihrer Heimatstadt nach Kliniken für die bevorstehende Entbindung gesucht und nennt die Ergebnisse „nur teilweise aussagekräftig, da drei Kliniken nicht an der Befragung teilgenommen haben und so Daten fehlen“.

Kritiker sehen Lücken beim Kreißsaal-Navi

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) kritisiert, dass „sehr viele Kliniken nicht oder mit unvollständigen Angaben teilgenommen“ hätten. „Die fallen komplett heraus. Oder sie bekommen miserable Bewertungen, obwohl es exzellente Krankenhäuser sind“, heißt es. Das Navi sei halt „nur so gut wie das, was an Daten hineinkommt“, erläutert Tanja Groten, stellvertretende Klinikdirektorin am Uniklinikum Jena und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin (AGG).

AGG-Vorständin Maike Manz hingegen war am Entstehen des Online-Angebots beteiligt und hebt den intensiven Rechercheaufwand hervor, der betrieben wurde. Die Sektionsleiterin Geburtshilfe am Klinikum Darmstadt hält das Kreißsaal-Navi wegen seiner Objektivität für „hervorragend“. Auf den Internetseiten der Kliniken fänden sich dagegen die im Navi abgefragten Informationen wie die Anwesenheit von Fachärzten „nicht oder nur verschwurbelt“.

Die abgefragten Kriterien sind auch für Caroline Quinkenstein ein Pluspunkt: Sie seien zu Beginn der Beschäftigung mit dem Thema hilfreich, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Man setzt sich mit der Gewichtung der einzelnen Punkte für einen selbst auseinander“, sagt die 29-Jährige.

Eine ebenfalls schwangere Freundin von ihr gibt allerdings zu bedenken: „Ich war relativ erstaunt, dass viele Kliniken wegfallen, wenn einem mehrere Sachen wichtig sind.“ Davon abgesehen findet sie aber, das Angebot sei „sehr informativ und ganz gut gemacht“. Caroline Quinkenstein lobt ausdrücklich, dass die Kliniksuche „schnell und unkompliziert“ möglich sei.

Hebammenverband: Wirklichkeit bei Betreuung nicht abgebildet

Weniger Zustimmung erhält die Webseite von Hebammen. Vom bundesweiten Berufsverband kommt Fundamentalkritik: „Aus Sicht des Deutschen Hebammenverbandes gibt es mehrere starke Kritikpunkte an dem Kreißsaal-Navi. Der Risikogedanke steht bei der Fragestellung im Vordergrund.“ Das Online-Tool sei deshalb „als Instrument nur sehr bedingt geeignet“.

Andrea Sturm vom Hamburger Landesverband ergänzt, dass das Angebot nicht aktuell sei und Selbstauskünfte der Kliniken oft schöngefärbt seien. Annika Wanierke vom Hebammenverband Thüringen weist darauf hin, dass Angaben der Kliniken zum Betreuungsschlüssel während einer Geburt „nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen und deshalb dieses Navi nicht die Realität abbildet“. Mehr zum Thema: Gibt es einen „Kontrollwahn in der Schwangerschaft“?

Sie finde es zwar „grundsätzlich gut, dass es ein Tool gibt, welches werdenden Eltern hilft, eine Geburtsklinik zu finden“, sagt die Recklinghäuser Hebamme Karin Herbig. Sie weist aber auf die Grenzen einer von vielen Schwangeren gewünschten 1:1-Betreuung durch eine Hebamme hin: „Im Kreißsaal verlaufen oft mehrere Geburten parallel. Und nie weiß man, ob nicht noch eine Gebärende hinzukommt. War der Saal gerade noch leer, kann es innerhalb von zehn Minuten vier Mal klingeln ...“