Berlin. Will sich der Kinderwunsch nicht einstellen, kann das zur Zerreißprobe werden. Eine Gründerin macht Paaren Mut – per Videoberatung.

Klappt es bei Paaren trotz aller Bemühungen nicht mit dem erhofften Nachwuchs, sind Kinderwunschkliniken eine Anlaufstelle. Doch fehlt dort oft die Zeit, die Patientinnen auch seelisch und mit Ratschlägen durch die oft schwere Zeit zu begleiten.

Ändern will das Diplom-Psychologin Sally Schulze mit ihrer Beratungsplattform MentalStark. Im Interview erzählt die 35-Jährige Gründerin, was Frauen und Paare dort an Hilfe erhalten, vor welch schweren Entscheidungen Kinderwunsch-Paare stehen und was eine ständig ausbleibende Schwangerschaft für Beziehungen bedeuten kann.

Wo Kinderwunsch-Paare Unterstützung erhalten können

Frau Schulze, etwa jedes sechste Paar in Deutschland, das versucht, Kinder zu bekommen, scheitert laut Schätzungen mehrfach und sollte medizinische Hilfe aufsuchen. Wird darüber immer noch zu wenig gesprochen?

Sally Schulze: Kinderwunsch und Sexualität werden nie Themen werden, die man sich offen auf die Stirn druckt. Das ist Thema der Privatsphäre. Aber wichtig ist, dass Menschen damit souverän umgehen und mit anderen darüber sprechen können, mit denen sie darüber sprechen wollen.

Ihr Portal MentalStark will Frauen und Paare mit unerfülltem Kinderwunsch unterstützen. Wie genau sieht das aus?

Schulze: Wir unterstützen Frauen psychologisch dabei, die medizinische Behandlung durchzuhalten. Die Kinderwunschzeit ist oft eine sehr lange Zeit im Leben. Manche Menschen brauchen hier medizinische Unterstützung. Wir unterstützen die Menschen, das so lange zu machen, wie sie möchten und damit aufzuhören, wenn sie es möchten. Aber nicht dann, wenn sie sagen „Ich kann nicht mehr“. Denn das ist meist eine psychologische Belastungssituation. Dann helfen wir, sich wieder zu fangen, das zu bewältigen und den eigenen Weg zu gehen.

Wer kann diese Hilfe in Anspruch nehmen?

Schulze: Zum einen können Einzelperson unsere Webseite mit vielen Informationen nutzen und auch eine Mitgliedschaft abschließen. Das startet mit einem kostenlosen Probemonat, in dem alle Inhalte verfügbar sind. Wirklich am Herzen liegt uns aber, die Kinderwunschkliniken für unser Programm zu gewinnen. Damit die Menschen unser Angebot frühzeitig in diesem Prozess nutzen können. Weil diese Zeit häufig sehr überwältigend ist und man sich über viele Dinge informiert.

Welche Möglichkeiten bekommen Paare und Frauen auf dem Portal?

Schulze: Wir haben kostenlos ein Magazin auf der Webseite mit vielen wissenschaftlich fundierten Ratgebern. Unsere gesamten Inhalte basieren auf medizinischen Leitlinien. Heißt: Es gibt einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass das wirksam ist, was wir da empfehlen. Wenn man sich ein Nutzerkonto anlegt, gibt es eine große Mediathek mit mehr Tutorials und Podcasts. Und in diesem Nutzerkonto kann ich dann auch Gruppenstunden besuchen, die von einer Psychologin geleitet werden. Das alles auch schon im kostenlosen Probemonat. Lesen Sie auch: Kliniksuche für Schwangere: Wo werdende Eltern Hilfe finden

Krankenkassen zahlen diese Hilfeleistung bislang nicht. Wofür fallen dann Kosten an?

Schulze: Wenn ich es länger nutzen möchte. Wie in einem Fitnessstudio: Dort gibt es Geräte, an denen man allein trainiert. Das ist bei uns die Mediathek, die man komplett ohne Anleitung nutzen kann. Im Fitnessstudio gibt es dazu meistens Kurse, das sind bei uns die von Psychologen geleiteten Gruppen. Man muss sich dafür nicht jedes Mal anmelden, sondern bekommt 30 Minuten vorher den Link freigeschaltet. Geht es einem Mal eine Woche nicht so gut, nimmt man vielleicht an einer Gruppe teil. Und wenn man mal sechs Wochen Behandlungspause hat, was in der Kinderwunschzeit vorkommt, kann man auch gar nichts wahrnehmen. Der dritte Baustein: Wie den Personal Trainer im Fitnessstudio gibt es bei uns es bei uns für Notsituationen die Einzelberatung. Wenn ich etwa den zehnten negativen Schwangerschaftstest habe oder meine beste Freundin mich zu ihrer Babyparty eingeladen hat, und ich wissen will, wie ich damit umgehe.

Sind die Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch mental oft am Boden?

Schulze: Zum Glück nicht. Dadurch, dass wir mit den Kinderwunschkliniken kooperieren, bekommen Hunderte Menschen schon vor ihrem ersten Tag im Kinderwunschzentrum unsere Infobroschüre. Dann melden sie sich schonmal an und sind eben nicht mental total fertig, sondern recherchieren bei uns erstmal Informationen, die sie interessieren. Für viele ist es ein gutes Gefühl, dieses Sicherheitsnetz zu haben. Nicht jeder braucht dann auch die Gruppen- oder Einzelberatung.

Wie schwierig sind Gespräche über Kinderwunsch nur über den Bildschirm?

Schulze: Für die Menschen in diesen Situationen ist in der Regel das Wichtigste, dass sie schnell Unterstützung bekommen und innerhalb weniger Tage ein Gespräch wahrnehmen können. Paare schaffen es zudem oft nicht, zu zweit in eine der 150 zertifizierten Beratungsstellen zu fahren, die es schon lange gibt. Wichtig für unsere Nutzerinnen ist es, über Artikel oder Podcasts vorher zu sehen, dass sich alle unsere Beraterinnen in dem Thema auskennen. Das schafft viel Vertrauen. Dann sind es auch am Bildschirm die normalen Methoden der psychologischen Gesprächsführung: Das Anliegen verstehen, ein Ziel mit den Menschen entwickeln und sie dann die auf ihrem Weg begleiten. Auch interessant: Telemedizin in Deutschland: Das können erste Anbieter

Worum kann sich so ein Beratungsgespräch drehen?

Schulze: Ganz häufig ist es ein Zyklus der Kinderwunschbehandlung, der nicht in der erhofften Schwangerschaft geendet ist, zum Beispiel ein negativer Test. Dann ist die Frage: Wann starten wir den nächsten Versuch? Machen wir einen Monat Pause oder nicht? Müssen wir das erst emotional verarbeiten und machen dann weiter? Oder wie gehen wir jetzt mit diesem Schmerz um? Oft leidet ein Partner nach außen hin spürbar mehr und der andere – oft, aber nicht immer der Mann – fühlt sich dann eher beauftragt, der Positivdenker zu sein. Ein anderes häufiges Anliegen ist, gemeinsam den wichtigen Punkt zu finden, wo man sagt: Wir möchten jetzt gar keine Kinderwunschbehandlung mehr machen. Denn wenn ein Mensch das Gefühl hat „ich kann nicht mehr“, dann ist das psychisch eine ganz schlimme Situation. Dann fühle ich mich als Opfer der Umstände. Wenn ich es schaffe, in der Situation zu sagen „Ich möchte nicht mehr, die Belastung ist zu groß“, und dass ich mit meiner Energie ab heute etwas anderes machen möchte, dann werde ich auch glücklich werden in meinem Leben – auch ohne Kinder. Lesen Sie auch: Selbsttest: Das Geschäft mit der weiblichen Fruchtbarkeit

Schwangerschaftstest negativ: Bleibt der Kinderwunsch wiederholt unerfüllt, können sich Paare Hilfe holen: medizinisch und mental.
Schwangerschaftstest negativ: Bleibt der Kinderwunsch wiederholt unerfüllt, können sich Paare Hilfe holen: medizinisch und mental. © iStock | istock

Reagieren Männer in dieser belastenden Situation anders als die Frau?

Schulze: Zwei Menschen gehen immer anders damit um. Und es ist schon so, dass Frauen, weil sie den weiblichen Körper haben, in der Behandlung andere Dinge tun müssen als Männer. Deswegen ist die Situation für beide anders. Wenn ich die Situation habe, dass mein männlicher Partner ein ganz schlechtes Spermiogramm hat, muss ich als Frau mir trotzdem Eizellen entnehmen lassen und die Hormone nehmen. Man darf das aber nicht verwechseln mit diesen heteronormativen Stereotypen, die wir noch haben, wie: Männern macht das weniger aus – das ist Quatsch.

Was nehmen die Paare und Frauen am Ende mit?

Schulze: Sehr schnell spürbar ist, dass durch unser Angebot die Selbstwirksamkeit der Menschen gestärkt wird. Sie haben wieder mehr eine Vorstellung von „Was kann ich jetzt tun?“ Meistens sagen Menschen schon in der Sitzung: Okay, ich habe jetzt eine Idee, was mein nächster Schritt sein kann. Ich habe wieder das Gefühl, es ist mein Leben. Und die Ärzte der Kinderwunschzentren sagen uns ganz deutlich: Danke, dass ihr das für uns macht. Denn die Zentren haben teilweise Wartelisten. Das ist das Schlimmste, wenn jemand auf eine Behandlung warten muss. Aber Ärztinnen und Ärzte wollen diese Menschen auch nicht gern in einem Fünf-Minuten-Gespräch abwickeln. Leider ist eine Arzt-Minute aber nicht gut in ein einstündiges, tröstendes Gespräch investiert. Dafür sind wir als Psychologinnen da. Auch interessant: Booster-Impfung: Ist sie auch für Schwangere sinnvoll?

Die Ärzte vor Ort sind also für psychologische Beratung ausgebildet, haben aber schlicht keine Zeit dafür?

Schulze: Genau, Gynäkologinnen und Gynäkologen sind alle in der sogenannten psychosomatischen Grundversorgung ausgebildet. Nur sie können die Arztminute nicht darauf verwenden, denn dann wird die Warteliste immer länger – und das ist einfach unfair gegenüber denen, die auf der Warteliste stehen. Die Situation ist so: Zu wenig Ärzte, zu viel Behandlungsbedarf und wir müssen gucken, dass die Arztminute auf die Behandlung verwendet wird, damit alle schnell drankommen.

Wo soll es mit Ihrem Portal noch hingehen?

Schulze: Wir wollen in einem nächsten Modul die chronische Erkrankung Endometriose betreuen. Anders als beim Kinderwunsch ist es so, dass die Frauen damit in der Regel im Alter von 15 bis 45 sehr viel zu tun haben, viele auch über die Menopause hinaus. Und das ist auch eine Erkrankung, die Frauen dann oft in eine Kinderwunschklinik führt. Meine Vorstellung ist es, dass wir irgendwann für alle Erkrankungen, die eine Frau haben kann, in unserem Programm ein Modul haben. Neben Kinderwunsch und Endometriose sind auch das PCO-Syndrom und das Wunschgewicht für die Schwangerschaft ein Thema.

MentalStark und Alternativen: Hier finden Paare mit unerfülltem Kinderwunsch Hilfe

Die Nutzung des MentalStark-Portals (www.mentalstark.app) müssen Paare und Frauen mit Kinderwunsch – über den kostenlosen Probemonat hinaus – grundsätzlich selbst zahlen. Krankenkassen übernehmen die Kosten in der Regel nicht. Vor der Wahl einer Kinderwunschklinik ist es daher sinnvoll, sich vorab zu informieren, ob das Portal mit seinem Hilfsangebot im Rahmen einer Kooperation genutzt werden kann.

Darüber hinaus gibt es rund 150 zertifizierte Kinderwunsch-Beratungsstellen in Deutschland. Diese findet man zum Beispiel auf dem Informationsportal des Bundesfamilienministeriums. Kostenfreie Beratung bieten unter anderem auch Pro Familia oder etwa der christliche Verein Donum Vitae.

Zur Person

Sally Schulze
Sally Schulze © Privat | Privat

Sally Schulze (35) ist Gründerin, Geschäftsführerin und psychologische Leiterin des Online-Portals MentalStark in Frankfurt am Main. Die Diplompsychologin, Psychologische Psychotherapeutin und zertifizierte Kinderwunschberaterin berät seit 2014 Frauen in verschiedenen Funktionen zum Thema Schwangerschaft und hat zwei Jahre als Tele-Psychologin in einem Unternehmen gearbeitet.

Dieser Artikel ist zuerst auf abendblatt.de erschienen.