Berlin. Experten warnen: Pollen-Allergien würden von vielen nicht ernst genommen. Doch unbehandelt drohen weitere gesundheitliche Probleme.

  • Die Heuschnupfensaison ist gestartet
  • Vor allem Hasel- und Erlenpollen fliegen aktuell durch die Luft
  • Was Allergikern jetzt wirklich hilft – und welche Mythen man nicht glauben sollte

Niesattacken, laufende Nase, juckende Augen, Müdigkeit, Konzentrationsprobleme – Allergikerinnen und Allergiker kennen diese typischen Heuschnupfen-Symptome. Mit den Frühblühern Hasel und Erle ist die Saison gestartet. Die Birke wird bald folgen.

„Viele Daten zeigen, dass Heuschnupfen sowohl die allgemeine Lebensqualität als auch die Arbeitsproduktivität Betroffener einschränkt“, sagt Oliver Pfaar von der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie. Ein ernst zu nehmendes Problem.

Immerhin habe mittlerweile rund jeder fünfte Deutsche eine manifeste Pollenallergie, so der Leiter der Sektion Rhinologie und Allergologie der HNO-Uniklinik in Marburg. Die Zahl sta­gniere seit Jahren auf hohem Niveau.

Klimawandel: Allergiker haben durch wärmeres Wetter oft mehr Probleme

Schuld daran sei auch der Klimawandel, erklärt Susanne Jochner-Oette. Sie ist Professorin für Landschaftsökologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. „Durch die steigenden Temperaturen werden die Pollenkörner häufig in größeren Mengen produziert und früher freigesetzt.“

Studien zeigen zudem, dass die Wirkung der Allergene etwa durch die steigende CO2-Belastung noch verstärkt wird. Durch den Klimawandel dauert die Allergiesaison außerdem länger. „Das betrifft vor allem krautige Pflanzen und Gräser“, so Jochner-Oette. Auch stark allergieauslösende Pflanzen wie die Beifuß-Ambrosie, die früher in südlicheren Gegenden beheimatet waren, breiteten sich bei uns aus.

Durch die steigenden Temperaturen sind häufig mehr Pollen in der Luft und die Heuschnupfen-Saison dauert insgesamt länger.
Durch die steigenden Temperaturen sind häufig mehr Pollen in der Luft und die Heuschnupfen-Saison dauert insgesamt länger. © istock

Fundierte Diagnose durch Fachärzte wichtig

„Allerdings hat nicht gleich jeder Heuschnupfen, dem jetzt die Nase läuft“, sagt Thomas Fuchs. Er ist Vizepräsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen. Genau wie Pfaar betont er die Bedeutung einer fundierten Diagnose durch einen Facharzt oder eine Fachärztin, die über den klassischen Prick-Test hinausgeht. Eine gute Anlaufstelle seien Allergiezentren.

Der Gang zum Hausarzt oder gar nur zur Apotheke reicht laut Fuchs nicht. Anwendungen beim Naturheilkundler seien verschwendete Zeit. „Es gibt diverse wissenschaftliche Untersuchungen, die ganz klar zeigen, dass Homöopathie bei Allergien nicht weiterhilft – ebenso wenig Kupferarmbänder oder Bioresonanz“, sagt Fuchs. „Der Aberglaube in der Bevölkerung ist riesig. Das nervt uns Ärzte doch sehr.“

Ohne Therapie steigt das Asthma-Risiko

Viele Betroffene nähmen Heuschnupfen außerdem auf die leichte Schulter, warnen die Experten. Dabei sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Allergiebereitschaft ohne fachmännische Behandlung im Laufe der Jahre verstärke.

„Anfangs erleben Patienten, dass sie ein paar Wochen Probleme haben. Und dann vergessen sie die Geschichte“, so der Göttinger Allergologe Fuchs. „Doch die Krankheit kommt immer wieder und bei vielen weitet sich die Allergieneigung aus.“ Allergene kommen hinzu und sogenannte Kreuzallergien entstehen.

„Die Entzündung der oberen Atemwege kann sich bei einem nicht behandelten Heuschnupfen außerdem auf die unteren Atemwege ausbreiten“, ergänzt Pfaar. „Wir sprechen von einem ‚Etagenwechsel‘ des Entzündungsgeschehens.“ Kurz gesagt: Das Asthma-Risiko ist erhöht. Genau das lasse sich aber durch die richtige Therapie verhindern.

Allgemeine Tipps für Allergiker teils falsch

Pollen einfach aus dem Weg zu gehen ist laut den Experten kaum möglich – außer vielleicht in der Wüste. Allerdings empfiehlt Pfaar, am Abend Haare zu waschen und die Alltagskleidung vor dem Schlafzimmer abzulegen, um die Pollenzahl dort zu reduzieren. Er rät Betroffenen zusätzlich zu regelmäßigen Nasenduschen als Teil der Therapie.

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    „Aktuell liest man wieder überall, Betroffene sollen in der Stadt morgens und auf dem Land abends lüften, damit möglichst wenig Pollen in die Wohnräume gelangen“, so Ökologin Jochner-Oette. „Das kann ich aus wissenschaftlicher Sicht nicht bestätigen.“ Wann die Pollenkonzentration wo am höchsten ist, sei sehr stark von der lokalen Vegetation, den einzelnen Pollenarten und vom Wetter abhängig. Pauschale Tipps seien hier schlicht nicht möglich.

    Auch sich einfach ins Haus oder die Wohnung zurückzuziehen sei keine Option, sagt die Forscherin. „Untersuchungen zeigen, dass auch hier die Pollenbelastung oft sehr hoch ist.“ Käme Regen ins Spiel, sei die Konzentration in Innenräumen teils höher als im Freien. Dass die Belastung nach Regen draußen grundsätzlich geringer sei, ist laut der Ökologin aber falsch. Bei Starkregen und Gewitter könnten Pollen aufplatzen und Allergene freisetzen.

    Pollen-Allergie: Entlastung durch Immuntherapie

    Bei Heuschnupfen kommt es durch die allergische Reaktion zu Entzündungen in der Nase oder den Bronchien. „Diese sind auch nicht von jetzt auf gleich weg, wenn es regnet oder schneit“, erklärt Fuchs. Um die Entzündungen einzudämmen, brauche es sehr gute Arzneimittel.

    „Moderne Antihistaminika, Cortison-Präparate, lungenerweiternde Mittel oder auch die Hyposensibilisierung können hier helfen“, so der Allergologe. Bei der Hyposensibilisierung werden die Allergene über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren monatlich hoch dosiert gespritzt oder kommen täglich als Tablette oder Tropfen unter die Zunge, damit der Körper diese im Laufe der Zeit nicht mehr als Gefahr ansieht.

    Heuschnupfen: Nicht jedes Medikament für jeden geeignet

    Zur akuten Behandlung von Heuschnupfen wurden über die Jahre diverse Antihistaminika entwickelt – Medikamente, die den Botenstoff Histamin blockieren und so Augenjucken und Co. verhindern. Es gibt sie rezeptfrei als Augentropfen, Nasenspray oder Tabletten. Seit einigen Jahren ist außerdem eine neue Generation cortisonhaltiger Nasensprays in der Apotheke frei verfügbar.

    „Allergologen können hier jedoch viel individueller beraten und besser wirksame, nebenwirkungsarme Präparate verschreiben“, betont Fuchs. Ein weiterer Vorteil: Die Medikamente würden dann auch von der Krankenkasse übernommen und die Kosten müssten nicht mehr selbst getragen werden.

    Bei Heuschnupfen sind nicht alle Nasensprays für jeden Betroffenen geeignet. Fachärzte können hier fundiert beraten.
    Bei Heuschnupfen sind nicht alle Nasensprays für jeden Betroffenen geeignet. Fachärzte können hier fundiert beraten. © dpa-tmn | Christin Klose

    Pfaar ergänzt: „Sogenannte Cortison-Spritzen in den Muskel sind bei Allergikern aufgrund ausgeprägter Nebenwirkungen strikt abzulehnen.“ Anders sei das bei cortisonhaltigen Nasensprays, die häufig zur Anwendung kämen und bei Auswahl des richtigen Sprays sicher und wirksam seien.

    Allergien: Verbesserte Hygiene möglicher Faktor

    Wer genau im Laufe seines Lebens von Heuschnupfen betroffen sein wird, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Fest steht, dass hier die genetische Veranlagung eine bedeutende Rolle spielt. Auch der negative Einfluss von Dieselabgasen, Rauchen und Passivrauchen sei wissenschaftlich gut erforscht, so Fuchs. Außerdem rät er Eltern, ihre Kinder unbedingt im Dreck spielen zu lassen und ihr Umfeld nicht steril zu halten, um das Heuschnupfen-Risiko so zu minimieren.

    Dazu passt auch die sogenannte Hygiene-Hypothese. Neben dem Klimawandel wird diese von Wissenschaftlern als ein weiterer Faktor für die in den letzten Jahrzehnten stark gestiegene Zahl an Heuschnupfen-Patienten angeführt. Man geht davon aus, dass das Immunsystem unter anderem durch eine verbesserte Hygiene weniger stimuliert wird.

    „Das Immunsystem ist ein bisschen gelangweilt und sucht sich dann eben irgendetwas anderes, das es bekämpfen kann“, erklärt Jochner-Oette. Im Falle von Heuschnupfen sind das die Pollen. Bei anderen Allergikern Tierbestandteile von Säugetieren, Milben oder bestimmte Nahrungsmittel – alles eigentlich harmlose Umweltstoffe.

    Corona: Covid-19 und Heuschnupfen können sich ähneln

    Betroffene sollten in diesem Jahr sensibel auf ihren Körper achten. Denn: Heuschnupfen- und Covid-19-Symptome können sich ähneln. Zwar deuten juckende Augen und Niesen klar auf allergischen Schnupfen hin, der typische Fließschnupfen dagegen kann ebenfalls bei Covid-19 vorkommen – wenn auch selten.

    „Häufig kennen Heuschnupfen-Patienten die für sie typischen Symptome und den zeitlichen Zusammenhang aus den Vorjahren“, sagt Allergologe Oliver Pfaar. Setze jedoch eine stark ausgeprägte Riechstörung ein und komme auch noch Fieber hinzu, solle man mit Blick auf Covid-19 sofort zum Arzt gehen.