Sinsheim. Die großen Bayern sind geschlagen, Hoffenheim jubelt: Nach Spiel- und Reisestrapazen ist der deutsche Rekordmeister in der Fußball-Bundesliga nicht auf der Höhe gewesen. Mutige Hoffenheimer haben ihre Chance genutzt.

Ein strahlender Sebastian Hoeneß umarmte kurz den konsternierten Hansi Flick. Der Trainer-Neuling sorgte mit der TSG 1899 Hoffenheim für die erste Pflichtspiel-Niederlage des FC Bayern im Jahr 2020.

Nur gut 60 Stunden nach dem siegreichen europäischen Supercup-Finale in Budapest kassierten die Münchner mit dem 1:4 (1:2) in Sinsheim die erste Niederlage seit dem 1:2 am 7. Dezember in Mönchengladbach. "Irgendwann war klar, dass es mal der Fall ist", sagte Bayern-Trainer Flick emotionslos.

Für Trainer Hoeneß, den Neffen von Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß, war die Überraschung ein besonderer Triumph. "Es ist so gelaufen, wie wir es uns vorgestellt haben", sagte er im Fernsehsender Sky. "Die Mannschaft hat gezeigt, was sie kann heute." Nach etwas schwierigem Start "haben wir dann mit der ersten Chance so einen Brustlöser gehabt und haben es dann geschafft, über die Spielzeit immer gefährlich zu bleiben".

Dass seine Spieler ausgelaugt waren nach dem Reise- und Spielstress der vergangenen Tage, wollte Flick nur zum Teil gelten lassen. "Ich schiebe das nicht allgemein auf die Müdigkeit. Wir haben es einfach nicht geschafft, entschlossen und zielstrebig Chancen herauszuspielen. Wir haben dem Gegner zu einfach Torchancen ermöglicht und waren im Angriff nicht durchschlagskräftig genug", urteilte er.

Dank der besseren Tordifferenz ist Hoffenheim am bisherigen Tabellenführer FC Augsburg vorbeigezogen. "Mir wäre es lieber gewesen, wir sind Zweiter. Das Thema ist für uns irrelevant", sagte Hoeneß, "für uns wird es wichtig sein, die Freude rauszulassen, das Gefühl mitzunehmen, dass wir richtig was drauf haben."

Der 38-Jährige hatte vergangene Saison noch den FC Bayern II zur Drittliga-Meisterschaft geführt. Ermin Bicakcic (16. Minute) und Munas Dabbur (24.) brachten die Kraichgauer in Führung. 6030 Zuschauer im Sinsheimer Stadion sahen dann den Anschlusstreffer von Joshua Kimmich (36.). Der überragende Andrej Kramaric (77.) erhöhte auf 3:1, eher er per Foulelfmeter (90.+2) auch den 4:1-Endstand markierte. "Über allem steht, dass wir eine herausragende Leistung gebracht haben", sagte Hoffenheims Manager Alexander Rosen.

Drei Tage vor dem deutschen Supercup-Endspiel gegen Borussia Dortmund blieben die Münchner matt und ohne Ideen im Angriff. Zuvor war der Meister und Champions-League-Sieger 21 Spiele in Serie ungeschlagen. Die Bayern verpassten mit diesem Dämpfer auch einen Liga-Rekord von saisonübergreifenden elf Auswärtssiegen.

Nach einer etwas pomadigen, aber überlegenen Anfangsphase der Münchner nutzte die TSG ihre ersten beiden Chancen eiskalt: Bicakcic köpfte nach einer Ecke das 1:0, Dabbur düpierte nach einem Patzer von Benjamin Pavard Nationalkeeper Manuel Neuer mit einem Heber. Die Bayern-Abwehr ließ den Hoffenheimern weiterhin ungeahnte Schlupflöcher: So hatte Christoph Baumgartner nach einer knappen halben Stunde schon das 3:0 auf dem Fuß, der Ball ging aber drüber. Dabei musste die TSG auf ihren Kapitän und Abwehrchef Benjamin Hübner verzichten, zudem musste Bicakcic noch vor der Pause mit einer Knieverletzung raus. Die Hoffenheimer rechnen mit einer längeren Ausfallzeit des Abwehrspielers. "Das ist ein Riesen-Wermutstropfen", sagte Hoeneß.

Kimmich gelang zwar das 1:2, doch Baumgartner und Kramaric vergaben vor der Pause weitere dicke Chancen für die TSG. Nach dem Wiederanpfiff verpasste Dabbur gleich zweimal das 3:1. In der zunehmend hektischen Partie rieben sich die Münchner in Zweikämpfen auf. Hoffenheims Torwart Oliver Baumann hatte in seinem 200. Bundesliga-Spiel weitaus weniger zu tun als sein Gegenüber Neuer.

Die eingewechselten Lewandowski und Goretzka blieben ebenfalls weitgehend unauffällig, während Hoffenheim weiter munter seine Chancen suchte - und nutzte. In der Schlussphase kam noch Kingsley Coman, der seine häusliche Quarantäne wegen eines Corona-Falles in seinem privaten Umfeld beendet hatte. Aber auch der Flügelspieler konnte nicht mehr für die Wende sorgen.

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