Berlin. Nach zwei Abstürzen ist die Boeing 737 Max in Verruf geraten. Jetzt fliegt der Katastrophenjet wieder – und kommt auch nach Deutschland

Kein halbes Jahr ist der Katastrophenjet Boeing 737 Max nach einem 20-monatigen Flugverbot wieder in der Luft, da tauchen die nächsten gravierenden Probleme auf. Der US-Flugzeugbauer riet den Betreibern des neuen Modells am vergangenen Freitag, Dutzende Maschinen wegen möglicher Mängel bei der Stromversorgung aus dem Verkehr zu ziehen – sicherheitshalber. In Europa betreiben immer mehr Airlines den Flugzeugtyp, bald kommt die 737 Max auch nach Deutschland. Sie betrachten die Maschinen heute als sicher.

Das sah vor zwei Jahren völlig anders aus. Das Vertrauen in das neue Boeing-Modell war nach zwei dramatischen Abstürzen in Indonesien und Äthiopien mit 346 Toten erschüttert. Im März 2019 wurde es weltweit aus dem Verkehr gezogen. Die Steuerungssoftware MCAS, die Abstürze verhindern soll, ließ beide Maschinen wegen eines defekten Sensors im Sturzflug vom Himmel fallen.

Europäischer Chefaufseher: „Haben jeden Stein umgedreht“

Aufseher entdeckten in den folgenden Monaten immer mehr Mängel. Boeing wird vorgeworfen, das Modell im Wettbewerb mit dem europäischen Rivalen Airbus überstürzt auf den Markt gebracht zu haben. Boeing soll beim Versuch, eine neue Generation besonders sparsamer Triebwerke am Erfolgsmodell 737 anzubringen, zu viele faule Kompromisse eingegangen sein. Die Urversion der 737 stammt aus den 1960er-Jahren.

Erst im November 2020 waren alle Veränderungen an Hard- und Software abgearbeitet sowie ein zusätzliches Schulungsprogramm für Pilotinnen und Piloten erarbeitet. Weltweit gaben Aufseher grünes Licht, so auch in Europa.

„Ich bin zuversichtlich, dass wir bei der Prüfung des Flugzeugs mit seinen Veränderungen jeden Stein umgedreht haben“, sagte der Chef der europäischen Flugaufsicht EASA, Patrick Ky, zur Wiederzulassung. „Jedes Mal, wenn es so schien, dass Probleme gelöst waren, haben wir tiefer gebohrt und noch mehr Fragen gestellt.“ Die EASA habe das Vertrauen, dass die 737 Max jetzt sicher fliegen könne.

737 Max fliegt seit Februar wieder in Europa

Die unabhängige Prüfung der europäischen Experten gilt als besonders wichtig. Denn im Boeing-Heimatland USA steht die zuständige Luftfahrtbehörde FAA im Skandal um die 737 Max selbst unter großem Druck. Sie habe bei der Erstzulassung die Augen zugedrückt und sich von Boeing an der Nase herumführen lassen – der Hersteller durfte sich teils selbst zertifizieren.

Seit Mitte Februar fliegt die 737 Max auch wieder in Europa. Der belgische Ableger des Ferienfliegers Tui machte den Anfang. Auch Icelandair, die polnische Lot und die tschechische Smartwings fliegen wieder mit der „Max“.

Passagiere aus Deutschland dürften am ehesten bei Ryanair mit der Boeing 737 Max in Berührung kommen. Der irische Billigflieger erwartet seine ersten acht Maschinen noch im April. Weitere acht sollen im Mai folgen. Nach bisherigen Aussagen sollen sich Piloten und Flugbegleiter sofort nach der ersten Auslieferung mit dem neuen Jet vertraut machen.

Tui setzt neuen Flugzeugtyp bislang nicht in Deutschland ein

Ryanair wird schon bald die mit Abstand größte Max-Flotte in Europa betreiben. Das Unternehmen bezeichnet das Modell als 737-8200 und hat seine Bestellung im Winter auf insgesamt 210 Maschinen aufgestockt.

Jets des Typs Boeing 737 Max auf dem Boeing-Werksgelände: Sie sollen für den Billigflieger Ryanair und dessen polnische Tochter Buzz fliegen.
Jets des Typs Boeing 737 Max auf dem Boeing-Werksgelände: Sie sollen für den Billigflieger Ryanair und dessen polnische Tochter Buzz fliegen. © Getty Images | David Ryder

Der Ferienflieger Tui hatte vor den Abstürzen bereits 16 Boeing 737 Max erhalten. Diese sind in Belgien und Großbritannien stationiert, nicht beim deutschen Ableger Tuifly. Ob und wann die Baureihe nach Deutschland kommt, sei derzeit „komplett offen“, sagt ein Tuifly-Sprecher unserer Redaktion.

Auch der deutsch-türkische Ferienflieger Sunexpress hat 737 Max bestellt. Erste Jets sollen 2022 abheben, heißt es auf Nachfrage. Das Modell sei „weiterhin die richtige Lösung“, sagt eine Sprecherin: „Sicherheit hat bei uns natürlich zu jeder Zeit die höchste Priorität. Die Boeing 737 Max wurde von nationalen und internationalen Behörden vermutlich so aufwendig und intensiv geprüft wie kein anderes Modell jemals zuvor.“

Ryanair will mit 737 Max einen neuen Preiskampf eröffnen

Reisende, die nicht in eine Boeing 737 Max einsteigen möchten, können auf Kulanz hoffen. Tui will Flüge mit dem Modell kennzeichnen. Besorgte Reisende können auf einen anderen Flug ausweichen, sagt ein Sprecher. Ryanair buche Passagiere kostenfrei auf die nächste Verbindung um, versichert der Billigflieger.

Airline-Chef Michael O’Leary hatte jüngst gesagt, es könne pro Flug „ein oder zwei“ Passagiere mit Bedenken geben. Die meisten Leute wüssten aber ohnehin nicht, in was für einem Flugzeug sie sitzen, so O’Leary.

Die Fluggesellschaften versprechen sich viel von der neuesten Version des weltweit am häufigsten gebauten Verkehrsflugzeugs. Gegenüber der vorherigen Generation 737 NG soll die Max laut Ryanair 16 Prozent weniger Kerosin verbrauchen und acht Passagiere mehr mitnehmen können.

Ryanair will mit den Einsparungen eine neue Runde beim Preiskampf über den Wolken eröffnen – und damit die in der Corona-Pandemie schwer getroffene Airline-Branche massiv unter Druck setzen.