Berlin. Seit einem Jahr ist Großbritannien nicht mehr EU-Mitglied. Seitdem herrscht akuter Fachkräftemangel. Der Handel mit Deutschland lahmt.

So haben sich viele Britinnen und Briten den Jahreswechsel im ersten Jahr nach dem Brexit bestimmt nicht vorgestellt. Nach all dem Chaos, den Lkw-Staus, leeren Supermarktregalen und einem „Würstchenkrieg“ mit der EU droht auch der Jahresausklang dürftig zu werden.

Der britische Verband des Wein- und Spirituosenhandels (WSTA) warnte bereits davor, dass aufgrund der anhaltenden Lieferengpässe der Alkohol knapp werden könnte – möglicherweise bleibt der Sekt an Silvester also aus.

Und jetzt werden auf der Insel sogar die Weihnachtsmänner knapp. Es fehlt dem Land ohnehin schon an Saisonarbeitern. Weihnachtsmänner wurden in der Vergangenheit zudem oft von älteren Männern gespielt – die zur Risikogruppe der Corona-Pandemie gehören und entsprechend den Job inmitten der Omi­kron-Welle meiden. Wer sich trotzdem in den roten Mantel kleidet und den Rauschebart aufsetzt, kann laut Anzeigen auf der Jobplattform Indeed damit bis zu 800 Pfund (rund 936 Euro) pro Tag verdienen.

Brexit: Mangel an Fahrern, Metzgern, Sprit – und Weihnachtsmännern

Fachkräftemangel bei Weihnachtsmännern – es ist das jüngste von zahlreichen Chaos-Beispielen infolge des Brexits in Kombination mit der Corona-Pandemie. Erst verrottete in Großbritannien Ware auf Lkws, die in kilometerlangen Staus standen. Dann prügelten sich Briten an Tankstellen um Benzin.

Als die Lkw-Fahrer knapp wurden, warb die britische Regierung Busfahrer ab – nur um dann festzustellen, dass Busfahrer fehlen. Die Regierung steuerte mit jeder Menge Sonderprogrammen gegen. Mit Sondervisa wollte man Lkw-Fahrer und Metzger anlocken. Die Nachfrage aber hielt sich in Grenzen. Auch Studierende und Wissenschaftler wollte die Regierung um Premierminister Boris Johnson mit speziellen Visa ins Land holen, doch auch sie blieben dem Vereinigten Königreich in großer Zahl fern.

DIHK: Deutsche Firmen vom britischen Fachkräftemangel betroffen

Doch nicht nur die Briten spüren die Folgen des Brexits. Auch deutsche Firmen, die in Großbritannien tätig sind, bekommen die Konsequenzen mit voller Wucht zu spüren. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Sonderauswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zu einer Umfrage unter 3200 im Ausland tätigen deutschen Unternehmen hervor. Die Ergebnisse der Sonderauswertung liegen unserer Redaktion vor.

Obwohl Großbritannien händeringend nach Fachkräften sucht, sogar bei deutschen Lkw-Fahrern um Hilfe bat, fühlen sich viele deutsche Firmen im Vereinigten Königreich demnach diskriminiert. 43 Prozent gaben an, dass es für sie Handelsbarrieren gebe oder einheimische Mitbewerber bevorzugt würden. Damit lag der Wert fast doppelt so hoch wie im Gesamtdurchschnitt der befragten Firmen weltweit.

Auch die deutschen Firmen sind von dem Fachkräftemangel demnach nicht gefeit: 55 Prozent der in Großbritannien tätigen deutschen Firmen klagten über fehlendes Personal.

Deutsche Firmen beklagen Lieferkettenprobleme

Die Corona-Krise habe zudem Probleme in der Lieferkette verursacht, berichteten 85 Prozent der in Großbritannien tätigen deutschen Unternehmen. Zum Vergleich: Weltweit waren mit 54 Prozent deutlich weniger Unternehmen von Lieferkettenproblemen, die derzeit etwa den Handel lahmlegen, betroffen.

Auch bei fehlenden Waren (37 Prozent) und einer erhöhten Rechtsunsicherheit (25 Prozent) verzeichneten deutsche Firmen in Großbritannien überdurchschnittlich oft Auswirkungen auf ihr Geschäft.

„Der reibungslose Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Deutschland und Großbritannien gerät mit dessen Austritt aus dem gemeinsamen Binnenmarkt immer mehr aus dem Takt. Ob im Zollbereich, bei der Arbeitnehmermobilität oder bei Handelskonflikten, die Rechtsunsicherheit und Investitionszurückhaltung erzeugen – die Probleme ziehen sich quer durch alle Geschäftsaktivitäten“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier unserer Redaktion.

Großbritannien plant schärfere Zollkontrollen

Und es könnte noch ungemütlicher werden. Denn zum 1. Januar 2022 plant Großbritannien, seine Zollkontrollen zu verschärfen. „Zum Pro­blem für den Warenverkehr könnte hier werden, dass immer noch zu wenige Inlandszollstellen im Vereinigten Königreich an das europaweite elektronische System für das Versandverfahren angeschlossen sind“, befürchtet Treier.

Mit dem Versandverfahren sollen die Zollverfahren dezentral abgewickelt werden können – was oftmals laut DIHK aber noch nicht klappt. „Diese Mängel werden viele Unternehmen Zeit und Geld kosten und ihnen Nerven rauben“, sagte Treier.

Deutsche Firmen sehen ein geringes Risiko für Energiepreise und Arbeitskosten

Allerdings scheint der Brexit für manche Firmen auch Vorteile zu bringen. So bewerten lediglich drei Prozent der in Großbritannien tätigen deutschen Unternehmen die Rohstoffpreise als eines der größten Geschäftsrisiken – weltweit nennen 44 Prozent die Rohstoffpreise als Risiko.

Auch sehen nur drei Prozent der deutschen Firmen im Vereinigten Königreich die Energiepreise oder die Arbeitskosten als Problem, acht Prozent bemängeln die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Hierbei schnitten die deutschen Firmen in Großbritannien deutlich besser ab als in anderen Ländern.

Handelsbeziehungen trüben sich

Und dennoch verliert Großbritannien in den Handelsbeziehungen mit Deutschland zunehmend an Relevanz. Zwischen Januar und Oktober sind die Importe britischer Güter um 8,0 Prozent eingebrochen, nachdem sie schon im Vorjahr um 9,3 Prozent zurückgingen. Die Exporte drohen laut der DIHK-Auswertung im sechsten Jahr in Folge rückläufig zu sein. Insgesamt lag das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Großbritannien bis Oktober um vier Prozentpunkte niedriger als im Vorjahreszeitraum.

War das Vereinigte Königreich 2016 noch der drittwichtigste deutsche Exportmarkt, ist es mittlerweile auf Platz acht abgerutscht. Als Handelspartner verliert Großbritannien immer weiter an Boden. Das bilaterale Handelsvolumen ging zwischen 2016 und 2020 von 122 Milliarden Euro auf 102 Milliarden Euro zurück, der DIHK rechnet fest damit, dass in diesem Jahr die 100-Milliarden-Euro-Marke erstmals seit 2010 wieder gerissen wird.

Der vor fünf Jahren noch fünftwichtigste Handelspartner Deutschlands landet jetzt nur noch auf Rang zehn, im kommenden Jahr dürfte er sich auch aus den Top 10 verabschieden, prognostiziert der DIHK. Für Großbritannien dürfte die Suche nach Weihnachtsmännern nicht das dringlichste Problem werden.