Berlin. Lange arbeitet die Wissenschaft an der Entwicklung eines Bluttests auf Alzheimer. Nun melden Forscher aus Deutschland Fortschritte.

Es beginnt damit, dass Großeltern der Name ihrer Enkel nicht mehr einfällt. Damit, dass sie nur noch schwer das Kleingeld im Supermarkt abzählen können. Und nach der Einkaufstour hängen sie vielleicht den Autoschlüssel nicht an seine übliche Stelle, sondern er wird nach langer Suche im Kühlschrank gefunden. Alzheimer-Demenz schleicht sich ins Leben Betroffener, um es dann grundlegend zu verändern. In Deutschland gibt es 1,6 Millionen Erkrankte.

Zu dem Zeitpunkt, an dem erste Symptome sichtbar werden und die Demenz-Erkrankung festgestellt wird, ist es oft zu spät. Die Krankheit kann dann zwar therapiert, aber nicht mehr vollständig aufgehalten werden. Denn die schädlichen Eiweißablagerungen im Gehirn, die den Austausch von Nervenzellen stören und diese absterben lassen, bleiben. Bisher lassen sich diese nicht beseitigen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich deshalb einig, dass Alzheimer-Demenz möglichst früh erkannt werden muss. Dafür suchen sie intensiv nach sogenannten Biomarkern – Veränderungen im Körper, die früh auf eine Krankheit hinweisen. Ein bekannter Biomarker ist beispielsweise der Blutdruck, aber auch Moleküle, Gene oder Eiweiße können Hinweise zu möglichen Erkrankungen geben.

MicroRNAs erlauben Rückschlüsse über Prozesse im Gehirn

Einen vergleichsweise neuen Biomarker für Alzheimer hat das Team um Neurowissenschaftler André Fischer im Blut gefunden. Es handelt sich dabei um microRNAs, kurze Stränge der Ribonukleinsäuren (RNA), die unter anderem die Genaktivität in Zellen steuern. Über ihre Ergebnisse haben die Forscher vom Göttinger Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in der Fachzeitschrift „EMBO Molecular Medicine“ berichtet.

Durch ein Ausschlussverfahren in verschiedenen Untersuchungen bei Menschen, Mäusen und Zellkulturen haben die Forscher drei microRNAs im Blut identifiziert, die in erhöhter Anzahl vorhanden sind, bevor erste Alzheimer-Symptome auftreten. So entwickelten beispielsweise 90 Prozent der untersuchten Patienten mit leichten Gedächtnisstörungen und erhöhten microRNA-Werten innerhalb von zwei Jahren Alzheimer.

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„Diese drei microRNAs erlauben Rückschlüsse über Prozesse, die im Gehirn stattfinden. Sie sagen etwas aus über Entzündungen im Gehirn, eine abnehmende Anzahl von Synapsen und einen deregulierten Stoffwechsel“, erklärt André Fischer.

Deshalb wolle er aus diesem Ansatz einen Schnelltest fürs Alzheimer-Risiko entwickeln: Einige Blutstropfen aus dem Finger auf eine Testkassette getropft sollen zeigen, ob die kognitiven Reserven abnehmen. Schon in diesem Jahr soll der erste Prototyp fertig sein, bevor der Schnelltest dann in zwei bis drei Jahren flächendeckend eingesetzt werden könnte.

Auch Forscher aus Bochum haben einen Test entwickelt

Eine andere Methode zur Früherkennung über Blut hat ein Forschungsteam von der Ruhr-Universität in Bochum entwickelt. Mittels Infrarotstrahl können laut den Forschern die schädlichen Eiweißablagerungen im Mittel acht Jahre vor der Alzheimer-Diagnose gefunden werden. Auch dieses Verfahren wird bisher nur in klinischen Studien eingesetzt.

Für André Fischer ist auch dieses Screening aussichtsreich: „Vielleicht braucht man am Ende eine Kombination verschiedener Marker. Dabei ist es nicht so wichtig, dass ein Marker 100 Prozent verlässlich ist. Für ein Früherkennungsscreening muss man ihn vor allem einfach einsetzen können.“

Klinische Studien zu spät gestartet

Denn schon jetzt können bildgebende Verfahren sehr früh schädliche Veränderungen im Gehirn feststellen. Die Magnetresonanztomografie (MRT) kann problematische Eiweißablagerungen fünf bis zehn Jahre vor den ersten Symptomen erkennen und einen Alzheimer-Verdacht bestätigen. Ähnlich effektiv ist die Untersuchung des Nervenwassers im Gehirn. Das Problem: Beide Verfahren sind aufwendig und teuer. Eine flächendeckende Vorsorgeuntersuchung wäre mit ihnen nicht möglich.

Gäbe es eine verlässliche Früherkennung, könnte es irgendwann gelingen, Alzheimer zu heilen. „Wir hatten in den letzten 20 Jahren vermutlich vor allem deshalb negative klinische Studien, weil die Leute die Therapie zu spät bekommen haben,“ sagt André Fischer. Eine wirkungsvolle Therapie müsste aus seiner Sicht etwa fünf Jahre vor den ersten Symptomen beginnen.

Widersprüchliche Studienlage zum Wirkstoff Aducanumab

Fischer setzt große Hoffnung auf Passiv-Impfstoffe wie den seit Juni in den USA zugelassenen Wirkstoff Aducanumab. Dabei handelt es sich um einen Antikörper, der dem Körper hilft, einen Teil der schädlichen Eiweiße im Gehirn, die Beta-Amyloide, abzubauen. Seine Wirksamkeit ist aber umstritten, die Europäische Arzneimittel-Agentur hat die Zulassung wegen widersprüchlicher Studien abgelehnt. Wissenschaftler forschen aber weltweit an ähnlichen Antikörpern, die vor allem bei frühen Demenz-Symptomen effektiv sein könnten.

Neurowissenschaftler Stefan Teipel vom Rostocker Standort des DZNE ist skeptisch: „Es konnte zwar gezeigt werden, dass das Abräumen des Beta-Amyloids mit Antikörpern gelingt. Doch bisher muss noch bewiesen werden, dass dadurch ein nachhaltiger klinischer Effekt entsteht.“

Auch fehlten derzeit Studien, in denen symptomlose Menschen behandelt werden, bei denen Biomarker ein Alzheimer-Risiko zeigen. Ein allgemeines Screening von beschwerdefreien Patienten komme für Teipel aktuell nicht infrage: „Es bringt nichts, Gras wachsen zu hören, wenn es keine Konsequenz hat.“

Sport und Bewegung beugen der Erkrankung vor

Für den Göttinger Neurowissenschaftler Fischer aber ist nicht nur die Behandlung mit Medikamenten wichtig. Es gebe auch kognitive Reserven, die gezielt aufgebaut werden könnten: „Wenn wir bei jemandem früh ein Risiko bemerken, dann könnte es die Person motivieren, den eigenen Lebensstil zu verändern“, so Fischer. Die beste Therapie sei Prophylaxe.

Ob jemand im Alter an Alzheimer erkrankt, hängt auch stark vom Lebensstil ab. Laut der Alzheimer Forschung Initiative sind Sport und Bewegung eines der besten Mittel, um sich vor Demenz zu schützen. Auch ein mediterraner Speiseplan senke das Risiko.

Kognitive Reserven baut man auch auf, indem Alltagsroutinen durchbrochen werden – neue Eindrücke regen das Gehirn an. Man sollte sich auch regelmäßig mit anderen Menschen austauschen. Denn wer viel allein ist, hat den Angaben zufolge ein doppelt so hohes Risiko, später an Alzheimer zu erkranken.