Berlin. Wenn die Internetsuche den Arztbesuch ersetzt, kann das mitunter gefährliche Folgen haben. Das Netz hilft dennoch, sagt ein Mediziner.

Bei aufkommenden Krankheitssymptomen nutzen viele Menschen das Internet für eine erste Ferndiagnose. Warum Google aber nur ein lückenhafter Berater ist und welche Gefahren mit der Online-Recherche verbunden sind, erklärt der Mediziner Alexander Gerlach von der Universität zu Köln.

Herr Gerlach, kann Google einen Arztbesuch ersetzen?

Alexander Gerlach Nein, natürlich nicht. Ein Arzt oder ein Psychotherapeut hat eine spezifische Expertise. Dafür war schließlich ein langjähriges Studium notwendig – und das kann keine Google-Suche ersetzen. Wenn ich irgendein Symptom habe, dann sollte ich das auch entsprechend beim Experten abklären lassen.

Kann es trotzdem nützlich sein, zunächst selbst zu recherchieren, welche Ursachen meine Beschwerden haben könnten? Kann man das Internet auch konstruktiv nutzen?

Ja, auf jeden Fall. Es ist großartig, dass die Entwicklung des Internets nahezu allen Menschen die Möglichkeit gibt, sich umfassend über alle möglichen Themen zu informieren. Und selbstverständlich kann man sich auch über Gesundheit, Krankheit, über seine auftretenden Symptome informieren. Das ist auch gar nicht verkehrt, denn so entwickelt man auch ein vertieftes Verständnis für die eigenen körperlichen Symptome und deren mögliche Ursachen. Insofern ist das Internet dafür eine wunderbare Möglichkeit.

Ab wann wird es problematisch, ausschließlich im Internet nach Gründen für meine Erkrankung zu suchen?

Es kommt darauf an, wie das Internet genutzt wird. Wenn jemand zum Beispiel merkt, dass ihm der Fuß wehtut und anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, ist es sinnvoll, zunächst nach Gründen im Internet zu suchen. Erst wenn der Schmerz nach einiger Zeit immer noch da ist, dann lohnt es sich wahrscheinlich, einen Arzt aufzusuchen. Durch die eigene Internetrecherche hat man dann bereits eine Idee für den möglichen Grund seiner Schmerzen und kann diese dann beim Experten abklären lassen. Schwierig wird es, wenn man keine externe Hilfe in Anspruch nehmen will und versucht, seine Schmerzen ausschließlich mithilfe des Internets zu behandeln. Weil die Informationen im Internet meist nur sehr grundsätzlicher Natur sind und die vielfältigen Möglichkeiten und die Komplexität des menschlichen Körpers nicht im Detail umfassen können.

Warum meiden Menschen trotzdem die Fachexpertise und recherchieren lieber selbst?

Zum einen ist es natürlich praktischer und der Aufwand geringer, als direkt zum Arzt zu gehen. Ungünstig wird es, wenn Google entweder nur Informationen liefert, mit denen man nicht einverstanden ist und nur noch gezielt nach alternativen Erklärungen im Netz sucht – in der Hoffnung, auf andere Informationen zu stoßen. Oder wenn man sich durch die vielen, sehr ähnlichen Informationen zunächst gar nicht mehr auf einen Arztbesuch einlässt, weil die Infos vielleicht vorübergehend zufriedenstellend sind. Man redet sich dann möglicherweise ein, dass man sich ja zumindest im Internet informiert hat. Auf Dauer ist so das Grundproblem aber nicht gelöst.

Woran liegt es, dass die eigene Suche im Internet häufig in einem katastrophalen Szenario endet?

Tatsächlich zeigen Studien, dass es sogar eher selten ist, dass Patienten Seiten aufsuchen, auf denen Gesundheitskatastrophen thematisiert werden. Das ist also gar nicht zwingend die Regel. Aber natürlich sind die Webseiten, die man findet, häufiger auf ernsthafte Erkrankungen und seltener auf harmlose Erklärungen bezogen. Ganz einfach, weil die harmlosen Erklärungen nicht so interessant sind und es deshalb auch nicht so viele Informationsseiten dafür gibt. Genau das ist dabei aber auch das Problem. Ich hatte mal einen Patienten, der durch die Google-Suche auf die Möglichkeit gestoßen ist, er könnte eine Schizophrenie entwickeln. Nur deshalb, weil seine Suche nach Konzentrationsschwierigkeiten zufällig als Erstes einen Treffer zu diesem Thema ergeben hatte. Danach suchte er nur noch nach Symptomen der Schizophrenie. Man kann so also im Internet verloren gehen. Genau dann braucht es eine Expertenmeinung.

IllErst an die Suchmaschine, dann zum Hausarzt: Wer seriöse Webseiten aufsucht und Ergebnisse nicht überinterpretiert, kann Google und Co. sinnvoll nutzen.
IllErst an die Suchmaschine, dann zum Hausarzt: Wer seriöse Webseiten aufsucht und Ergebnisse nicht überinterpretiert, kann Google und Co. sinnvoll nutzen. © iStock | istock

Kommt es vor, dass Menschen durch die Google-Suche tatsächlich rein körperlich so reagieren, wie sie es vielleicht befürchten, sich die Recherche also zunächst bestätigt?

Klar ist, unser Körper reagiert mit einer Aktivierung, wenn wir emotional werden oder Ängste haben. Und Hinweise auf eine Erkrankung im Netz zu finden, die ich haben könnte, macht natürlich etwas Angst. Wenn ich Angst habe, fange ich an zu schwitzen, mein Herz schlägt ein bisschen schneller, ich werde innerlich unruhig und es schlägt mir etwas „auf den Magen“. All diese körperlichen Veränderungen kann ich wieder wahrnehmen. Wenn diese Änderungen dann meine Sorgen oder Ängste noch verstärken, vielleicht weil meine ursprünglichen Symptome ähnlich waren oder zu den neuen Symptomen passen, dann kann möglicherweise die Überzeugung wachsen, dass meine körperlichen Empfindungen auf jeden Fall eine schlimme Ursache haben könnten. Es kommt also durchaus vor, dass Personen Ideen dafür entwickeln, was für ihre Symptome verantwortlich sein könnte – und sie dann immer überzeugter davon sind, dass genau das der Fall ist, obwohl die wahre Ursache vielleicht ganz woanders liegt.

Gibt es Krankheiten, die besonders oft gesucht werden?

Das weiß ich nicht, da müsste man wahrscheinlich Google fragen. Aber interessant ist, dass zum Beispiel eine Grippewelle durch die Häufigkeit der gegoogelten Symptomsuche gut vorherzusagen ist. Ich denke, dass vor allem Erkrankungen, die es am häufigsten gibt, gesucht werden. Also Fragen zu Schmerzen oder Erkältungen. Genauso die Störungs- oder Krankheitsbilder, die einfach häufig in der Bevölkerung vorkommen.

Wie kann man sich vor merkwürdigen Gesundheitsinfos im Netz schützen? Welche Fehler können passieren?

Man sollte prüfen, woher die Informationen kommen und Wert darauf legen, Internetseiten aufzusuchen, die von vertrauenswürdigen Institutionen stammen. Werden also Webseiten von Unternehmen zur Verfügung gestellt, die ein Verkaufsinteresse haben, sollte man diesen erst mal skeptisch gegenübertreten. Und bevor eine Diagnose endgültig gestellt ist, sollte man auch Foren und Webseiten von Betroffenen eher vermeiden. Wenn die Diagnose klar ist, kann es unterstützend sinnvoll sein, sich bei den Personen zu informieren, die mit den gleichen Schwierigkeiten und mit der gleichen Erkrankung zu kämpfen haben. Das Bundesgesundheitsministerium bietet als Startpunkt zum Beispiel eine gute Zusammenstellung von Informationen zu zahlreichen Symptomen und Erkrankungen.

Zur Person

Prof. Dr. Alexander Gerlach
Prof. Dr. Alexander Gerlach © Privat | Privat

Prof. Dr. Alexander Gerlach (56) absolvierte sein Studium der Psychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und an der Philipps-Universität Marburg. Er promovierte an der Universität Stanford in den USA. Seit 2010 ist Gerlach Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität zu Köln. Neben den Angststörungen gehört die Wechselwirkung zwischen Körper- und Krankheitssymptomen zu seinen Forschungsschwerpunkten. Gerlach beschäftigt sich in diesem Bereich vor allem mit der Frage, welche Rolle diese bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen spielen.