Berlin. Wie reagiere ich, wenn gute Freunde Corona oder den Klimawandel leugnen – oder rechtes Gedankengut verbreiten? Ein Expertengespräch.

Pandemie-Beschränkungen und Corona-Impfungen, aber auch Flüchtlingskrise oder Klimawandel: An manchen Themen scheiden sich die Geister. Auch unter Freunden kann es deshalb zu heftigen Streits kommen. Manchmal bleibt da nur der schmerzhafte Kontaktabbruch. Aber was kann man tun, um den Graben zu schließen?

Der Psychologische Psychotherapeut und Autor Dr. Wolfgang Krüger („Freundschaft beginnen, verbessern, gestalten“) ist Experte für zwischenmenschliche Beziehungen, er hat während seiner mehr als 40-jährigen Berufserfahrung zahlreichen Patientinnen und Patienten geholfen. Im Gespräch erklärt er, warum es manchmal helfen kann, politische Themen aus einer Freundschaft auszuklammern. Und wann es Zeit ist zu gehen.

Herr Krüger, grundsätzlich: Gibt es unterschiedliche Arten von Freundschaften?

Wolfgang Krüger: Ja. Wir unterscheiden zwischen den sogenannten Herzensfreundschaften und Alltagsfreundschaften. Herzensfreunde kennen wir sehr gut. Denn wir haben sie mindestens ein Jahr lang sehr genau geprüft: welchen Humor sie haben, welche Lebenswerte sie vertreten. Diese Freundschaften bergen normalerweise keine großen Überraschungen – auch nicht in Krisenzeiten. Es kommt natürlich vor, dass der andere mal etwas anderer Meinung ist, als ich es bin. Aber im Normalfall weichen unsere Einstellungen nicht so weit voneinander ab, dass es uns den Boden unter den Füßen wegziehen könnte. Das Problem haben wir eher in Alltagsfreundschaften. Das sind Beziehungen zu Menschen, die wir nicht ganz so gut kennen.

Heißt das, dass Herzensfreundschaften seltener an Diskussionen über Corona-Impfungen oder Politik zerbrechen?

Natürlich kann es passieren, dass ich Migration gegenüber sehr aufgeschlossen bin, mein langjähriger und bester Freund dagegen eher skeptisch ist. Darüber lässt sich aber diskutieren. Kompliziert wird es erst, wenn die Unterschiede extrem sind – wenn ein Freund als Flüchtlingshelfer arbeitet, während der andere die komplette Migrationspolitik verteufelt. In so einem Fall dürfte das Gespräch extrem schwierig werden, weil hinter diesen konträren Einstellungen natürlich auch emotionale Haltungen stehen.

Und diese emotionalen Haltungen können zum Problem werden?

Wir lassen uns in unseren Lebensgewohnheiten, in unseren Überzeugungen, die oft auch durch die Kindheit geprägt, also tief emotional verankert sind, nicht gern beeinflussen. Wir Menschen lassen uns ungern von anderen sagen, wie wir zu denken und zu leben haben. Deshalb umgeben wir uns gern mit Menschen, die unsere Meinung teilen. Was wir derzeit in vielen Freundeskreisen beobachten können, ist ein Abbild der Spaltung unserer Gesellschaft. Da tun sich zum Teil fundamentale Gegensätze auf. Auch deshalb, weil die Einstellung zur Corona-Politik ebenso wie andere politische Meinungen bei manchen Menschen fast schon einer Religion, ja einer Ideologie gleichen. Und damit zu Lebensüberzeugungen werden.

Sachliche Diskussion oder emotionaler Streit: Wenn es um persönliche Überzeugungen geht, lassen sich Menschen ungern belehren.
Sachliche Diskussion oder emotionaler Streit: Wenn es um persönliche Überzeugungen geht, lassen sich Menschen ungern belehren. © Shutterstock/fizkes | fizkes

Und Lebensüberzeugungen lassen sich schlecht wegdiskutieren?

Hinter die Hoffnung, dass man mit Menschen, die eine völlig andere Meinung vertreten, einen Weg finden könnte, würde ich zunächst mal ein Fragezeichen setzen. Argumente bringen da oft wenig. Einfach, weil jeder Gesprächspartner eigentlich nur versucht, den anderen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Ohne dabei wirklich aufeinander einzugehen. Nichtsdestotrotz halte ich es für absolut sinnvoll, im Gespräch zu bleiben.

Wie kann so ein zielführendes Gespräch aussehen?

Aus eigener Erfahrung heraus rate ich: Reden Sie weder über Politik noch Corona, sondern über Lebensziele. Fragen Sie zum Beispiel: Was möchtest du aus dieser Krise lernen? Was bedeutet Glück für dich? Was möchtest du unbedingt erreicht haben, bevor du eines Tages auf dem Sterbebett liegst? Es geht darum, tiefe Gespräch über das zu führen, was das Leben ausmacht. So lenkt man die Unterhaltung auf die großen Herausforderungen unserer Existenz und die Frage, wie der Gesprächspartner mit ihnen umgehen möchte. Und unterhält sich nicht mehr auf der Ebene irgendeiner Ideologie, sondern tauscht Erfahrungen aus. Häufig ergeben Gespräche dann auch wieder einen Sinn.

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Wann ergeben Unterhaltungen ihrer Meinung nach keinen Sinn?

Wenn es sich um sogenannte Schallplattengespräche handelt. Heißt, dass man zwar redet und redet und redet, aber trotzdem stetig in der gleichen Rille bleibt. Das merken Sie aber nach spätestens fünf Minuten: Entweder Sie führen eine Unterhaltung, die beide Seiten bereichert und gleichsam einbindet, oder Sie brauchen unendlich viel Geduld. So oder so: Was man niemals versuchen sollte, ist, den anderen zu missionieren.

Weil Freundschaften sonst Gefahr laufen zu zerbrechen?

Für gewöhnlich verabschieden wir uns nicht deshalb von Freunden, weil wir unterschiedlicher Überzeugung hinsichtlich nur eines Themas sind. Wir ziehen eher eine Gesamtbilanz. Wenn man sich zutiefst sympathisch ist, zehn, 15 Jahre miteinander verbracht und manches Wunder miteinander erlebt hat, dann existiert eine Bindung, die man so schnell nicht aufgibt. Auch dann nicht, wenn sich der eine impfen lassen möchte, der andere aber nicht. Wenn mein Freund zusätzlich zu einer konträren Überzeugung beispielsweise Charaktereigenschaften hat, die mich schon immer ein wenig gestört haben, kann es hingegen eng werden. Weil die Gesamtbilanz so zusätzlich getrübt wird.

Kann es sich lohnen, eine Art Freundschaftspause einzulegen?

In partnerschaftlichen Beziehungen kann so was sinnvoll sein. Weil man meist trotz Trennung miteinander verbunden bleibt. Bei einer Freundschaft sieht das anders aus. Wer da eine Pause einlegt, beendet die Verbindung in der Regel. Es gibt zwar Freundschaften, die man nach mehreren Jahren wieder aufnehmen kann. Die Regel ist das aber nicht. Auch deshalb, weil wir hier von tief sitzenden Überzeugungen sprechen, die wir nicht so leicht ändern. Höchstens, wenn wir ein Schockerlebnis haben. Das wäre vielleicht dann der Fall, wenn jemand coronaskeptisch ist und dann am Virus erkrankt. Im Normalfall aber ist uns unsere Meinung so wichtig, dass wir sie nicht so einfach ändern, nur weil ein Freund das von uns möchte.

Zur Person

Dr. Wolfgang Krüger
Dr. Wolfgang Krüger © Gerald Wesolowski | Gerald Wesolowski

Dr. Wolfgang Krüger (73) ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Berlin. Partnerschaftsprobleme sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Zudem veröffentlichte Krüger diverse Sachbücher, etwa zu den Themen Freundschaft, Liebe und Sexualität.