Berlin. Analysten warnen: Die Gefahr eines Krieges ist am Finanzmarkt noch nicht wirklich eingepreist. Für Anleger könnte es turbulent werden.

Täglich wird die Situation an der ukrainisch-russischen Grenze angespannter: Russland verstärkt seine Truppen, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sind um Diplomatie bemüht, bereisen die Krisengebiete. Und an den Finanzmärkten? Sorgt man sich vor allem um die anstehende Zinserhöhung der US-Notenbank Fed.

Dass in Europa ein Krieg ausbrechen könnte, bewegt die Kurse dagegen kaum. Der deutsche Aktienindex Dax dümpelte in dieser Woche erst im groben Bereich von 15.100 und 15.300 Punkten und konnte am Mittwoch sogar auf fast 15.500 Punkte zulegen.

Selbst Baerbocks in der Ukraine getätigte Ankündigung, Deutschland sei bereit, „einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“, um der Ukraine mit Sanktionen gegen Russland beizustehen, ließ die Börse kalt.

Ukraine-Konflikt ist an den Börsen bisher nur bedingt eingepreist

„Die Börse ignoriert den Ukraine-Russland-Konflikt bisher“, sagt Christian Kahler, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Chefanlagestratege der DZ-Bank, der Zentralbank der Volksbanken und Raiffeisen in Deutschland, sieht Parallelen zur russischen Annexion der Krim im Jahr 2014: „Auch damals haben die Märkte erst reagiert, als es bereits soweit war.“

Dabei hasst die Börse eigentlich Unsicherheiten. Und Unsicherheiten bietet die Krise zuhauf. Im Falle einer russischen Invasion könnte eine Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen in Kraft gesetzt werden, die den deutschen Export, vor allem aber die Energiekosten empfindlich treffen würde. Was heißt das für die eigene Geldanlage?

Ukraine-Konflikt: Wann der Blick ins Depot lohnt

„Was langfristiges Vermögen angeht, lautet die Devise: Augen zu und durch“, sagt Ulrich Kater im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Ökonom war früher Mitglied im Rat der sogenannten Wirtschaftsweisen, der die Bundesregierung in konjunkturellen Fragen berät, und ist seit 2004 Chefvolkswirt der DekaBank, dem Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen.

Wer allerdings im nächsten halben Jahr Geld brauche, der sollte einen Blick in sein Depot werfen, rät Kater. Unsere Redaktion macht den Check, wie sich der Konflikt auf Aktien, Gold, Bundesanleihen und Rohstoffe auswirken könnte.

Aktien: Ein Risiko bei deutschen Werten

Wer breit investiert ist, etwa in einem weltweit agierenden Fonds, sollte nach Einschätzung des Experten gut auf alle denkbaren Szenarien eines Konflikts vorbereitet sein. „Derzeit laufen die Aktien von US-Banken, großen US-Technologiewerten und weltweiten Ölversorgern gut – und damit die Titel, die beispielsweise im MSCI World hoch gewichtet sind“, sagt Kahler.

Viele Anleger neigen allerdings zum sogenannten „Home Bias“, sie legen sich vor allem Wertpapiere aus dem eigenen Land ins Depot. Das könnte in der jetzigen Situation ein Nachteil sein. Denn der Dax ist geprägt von sogenannten zyklischen Werten, also Unternehmen, die in einem besonderen Maße von der Entwicklung der Konjunktur abhängig sind, beispielsweise Industrieunternehmen.

Die wiederum sind auf günstige Energie aus Russland angewiesen. Dreht Russland den Gashahn zu, würde es problematisch werden. „Wenn der Energielieferant Russland ausfiele, würden wir eine Konjunkturschwäche auch noch im zweiten Quartal erleben“, meint Ulrich Kater. Die historische Erfahrung habe gezeigt, dass Energieschocks meist erst nach einem halben Jahr wieder abklingen würden, wenn sich die Unternehmen Alternativen gesucht hätten.

Rücksetzer von mehr als 10 Prozent sind beim Dax denkbar

Dabei hinken die Zykliker im Vergleich zu den Werten großer Technologieunternehmen ohnehin noch hinterher, auf sie hatten Analysten in diesem Jahr eigentlich Hoffnungen gesetzt. Immerhin: Sollten die Kurse runtergehen, würde die Stunde der Schnäppchenjäger schlagen. „Für diejenigen, die noch nicht umpositioniert haben, wäre das eine Gelegenheit, von Tech auf Zykliker zu wechseln“, sagt Kater.

Laut DZ-Chefanlagestratege Kahler könnte der Dax im Falle einer Eskalation um mehr als zehn Prozentpunkte zurücksetzen. Danach müsste man schauen, wie sich der Konflikt weiterentwickeln würde. Bei bisherigen Konflikten, etwa im Irak 2003, aber auch im Syrien-Konflikt, hatten sich die Kurse nach deutlichen Verlusten zeitnah wieder erholt – aber „ein Krieg in Europa wäre ein neues Szenario und dürfte sich auf die hiesigen Börsen anders auswirken.“

Russische und ukrainische Aktien sind bereits unter Druck geraten

Schon heute gibt es aber auch Auswirkungen an den Börsen: „Besonders betroffen sind heute bereits Aktien, Renten und Währungen aus Russland und der Ukraine, die deutlich nachgegeben haben“, sagte Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Privatkundenbank Deutschland der Deutschen Bank, unserer Redaktion. An der Moskauer Börse ging es bereits steil abwärts. Der in Dollar gehandelte russische Index RTS verlor zwischenzeitlich mehr als 25 Prozent und liegt derzeit ebenso wie der in Rubel gehandelte Index Moex noch immer fast zehn Prozent seit Jahresbeginn im Minus.

Auch Einzeltitel wie die Aktie des Staatskonzerns Gazprom notieren mit fast rund fünf Prozent im negativen Bereich, erholten sich zuletzt aber. Russische Finanztitel hätten laut Stephan bereits mehr als 35 Prozent an Wert verloren. Die Gewinnaussichten russischer Aktien hätten sich laut des Deutsche-Bank-Experten von 9,5 auf 5,5 Prozent reduziert. In der Ukraine fiel der MSCI Ukraine seit Ende Oktober demnach um rund 17,5 Prozent.

Deeskalation könnte für kurzzeitige Erleichterung an der Börse sorgen

Im Falle einer Eskalation erwartet der Deutsche-Bank-Experte Ulrich Stephan deutliche Rückgänge an den Finanzmärkten, sieht aber auch Chancen: „Als sicher oder weniger risikoreich angesehene Wertpapiere dürften profitieren“, sagt er. Und: Unternehmen, die etwa Flüssiggas als Ersatz liefern könnten, dürften profitieren.

Sollte Russland das Kriegsbeil begraben, würde das vor allem an der Moskauer Börse für Entlastung sorgen, sagt auch Dekabank-Chefvolkswirt Kater. „Das könnte Kurssteigerungen von 20 bis 30 Prozent bei russischen Aktien auslösen.“

In Deutschland hingegen rechnen die Finanzmarktexperten nur mit einer kurzfristigen Reaktion. „Vielleicht steigt der Dax um vier, fünf Prozent, dann würde man aber schnell zum Tagesgeschäft übergehen“, schätzt Kahler. „Politische Börsen haben eben kurze Beine“, sagt Kater.

Gold: Analysten sind skeptisch

Viele Privatanleger schätzen Gold als vermeintlich sicheren Hafen und Krisenwährung – sie verfügen über mehr als 9000 Tonnen des Edelmetalls. Die Analysten sind aber skeptisch. „Im Falle einer Eskalation könnte der Goldpreis zwar um 10 Prozent nach oben gehen“, sagt Kater. Aber ein sicherer Hafen sei es auch nicht, da auch Gold weiter Kursschwankungen unterliegen würde.

DZ-Bank-Chefanlagestratege Kahler fehlt beim Gold die Fantasie. „Da sind derzeit eher Kryptowährungen gefragt“, sagt er.

Bundesanleihen: Rendite könnte wieder sinken

Wer defensiv investiert, hat mitunter Staatsanleihen im Depot – die aber keine Rendite bringen. Im Januar lag die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe bei minus 0,06 Prozent – immerhin muss man fast sagen. Zu Beginn der Corona-Krise lag sie bei minus 0,83 Prozent. Zuletzt zog die Rendite aber an und lag mit mehr als 0,2 Prozent im positiven Bereich.

Anleger zahlen also noch drauf, wenn sie die Staatsanleihe kaufen. „Die Bundesanleihe würde im Falle einer Eskalation gefragter werden, die Rendite einen Dämpfer bekommen“, schätzt Kater.

Rohstoffe: Preise könnten weiter steigen

An den Rohstoffmärkten geht es turbulent zu. „Der Gaspreis ist zwar gemessen an niederländischen Terminkontrakten von in der Spitze 181 Euro auf 75 Euro pro Megawattstunde gefallen, liegt aber immer noch wesentlich über dem Niveau von knapp gut 15 Euro vor 12 Monaten“, sagt Deutsche-Bank-Chefanlagestratege Ulrich Stephan. Auch Öl bleibt teuer: Ein Barrel (rund 159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent kostet derzeit über 90 US-Dollar (rund 79 Euro) – 15 Prozent mehr als zum Jahresanfang.

Doch Russland ist nicht nur Energielieferant. Es ist der weltweit fünftgrößte Förderer von Eisenerz, hat die viertgrößten Nickel-Vorkommen der Welt und ist der drittgrößte Palladiumproduzent – ein Rohstoff, der etwa für Autokatalysatoren gebraucht wird und daher für Deutschlands Industrie eine besondere Rolle spielt. Bisher spüren Verbraucherinnen und Verbraucher die gestiegenen Rohstoffpreise vor allem negativ im Portemonnaie in Form höherer Energierechnungen.

Im Falle einer Eskalation hält Deka-Chefvolkswirt Kater einen höheren Gaslieferpreis von mehr als 10 Prozent für realistisch. Der Ölpreis könnte kurzfristig auf über 100 Dollar steigen, schätzt DZ-Bank-Chefanlagestratege Kahler. Aber: „Wir gehen davon aus, dass wir in einem Jahr wieder bei 75 Dollar pro Barrel liegen werden“.

Lohnt sich die Spekulation auf steigende Rohstoffpreise am Terminmarkt dennoch? „Das wäre mir ein zu heißes Eisen, da ist es eigentlich schon zu spät für“, sagt Kahler. Auch Deka-Chefvolkswirt Kater warnt: „Politische Szenarien sind schwer zu timen. Man muss jede Stunde am Markt sitzen, beobachten, was passiert und sich Gedanken machen – das ist eher was für Profis.“