Berlin. Immer mehr Menschen wenden sich an Verbraucherschützer, weil sie ihren Strom nicht zahlen können. Wann der Strom gesperrt werden darf.
Mit Strom ist nicht zu spaßen. Dies gilt nicht nur für den physischen Umgang mit Elektrizität, sondern auch für unbezahlte Rechnungen. Wer mit mehr als 100 Euro mit seiner Zahlung im Verzug steht, kann schon wenige Wochen später im Dunkeln sitzen – ohne Strom, Licht und funktionieren Kühlschrank. Wenn Zahlungsaufforderungen und Mahnungen nicht fruchten, dürfen Energieversorger ihren zahlungsunfähigen Kunden den Strom abdrehen.
In den vergangenen Monaten erhalten Verbraucherschützer zunehmend Hilfeanfragen von Menschen, die finanziell in der Klemme stecken. „Immer mehr Verbraucher, die ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können, erhalten derzeit Androhung von Versorgern, dass ihnen der Strom abgestellt werden soll. Manche müssen schon ohne Strom leben“, berichtet Annabel Oelmann, Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen.
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Stromsperren drohen vor allem Haushalten mit geringerem Einkommen
In Bedrängnis geraten vor allem immer mehr Verbraucher mit niedrigen Einkommen, deren Einnahmen durch Kurzarbeit, den Verlust des Arbeitsplatzes oder Minijobs in der Corona-Zeit noch einmal deutlich eingebrochen sind. Gleichzeitig hätten sich bei manchen die Stromkosten durch das Homeoffice erhöht.
„Der Beratungsbedarf ist enorm gestiegen. Wir haben allein im ersten Quartal in Bremen mehr Verbraucher in unserer Verbraucherzentrale beraten als im gesamten Jahr 2019“, sagt Oelmann. Betroffene wollen sich öffentlich nicht äußern, zu groß ist ihre Scham über die Situation.
Die Corona-Krise hat aus Sicht der Verbraucherschützerin zu einer sichtbaren Spaltung der Gesellschaft geführt. „Die Wohlhabenden sind wohlhabender und die Ärmeren ärmer geworden. Insbesondere Menschen in Niedriglohnberufen – wie auch in der Gastronomie – sind bei den Corona-Hilfspaketen zu kurz gekommen.“
Corona-Hilfen laufen aus: Keine Stundung der Kosten mehr
Im ersten Jahr der Corona-Pandemie hatte die Bundesregierung zur Abmilderung der Folgen noch Haushaltskunden und Kleinstgewerbeunternehmen die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen die Energie- und Wasserzahlungen zu stunden. Dies galt für die Monate April bis Juni 2020. Stunden heißt jedoch nur Aufschub und nicht schenken. Danach wurden die anfallenden Kosten fällig.
Doch nicht jeder konnte dies wuppen. „Hinter jeder Stromsperre stecken vielfältige Probleme. Viele der Betroffenen verfügen oft nur über sehr wenig Geld oder bekommen Sozialhilfe“, sagt Stephanie Kosbab, Verbraucherschützerin in NRW. „Hohe Energieverbräuche und -kosten führen dann dazu, dass sie ihre Energierechnung nicht bezahlen können. Diesen Menschen müsste grundsätzlich auch finanziell besser geholfen werden.“
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Jährlich wird rund 290.000 Haushalten der Strom gesperrt
Nach jüngsten Zahlen haben die Energieversorger im Jahr 2019 insgesamt 4,75 Millionen Haushalten angedroht, den Strom zu sperren, wie die Bundesnetzagentur in ihrem Energie-Monitoringbericht auflistet. Tatsächlich gesperrt wurden dann knapp sechs Prozent der angemahnten Anschlüsse – insgesamt 290.000 Haushalte und damit 0,6 Prozent aller Anschlüsse. Besonders häufig – gemessen an der Bevölkerung – in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Berlin, am seltensten in Baden-Württemberg und Bayern.
Die Energieversorger bemühen sich nach eigenen Angaben, Sperrungen möglichst zu vermeiden. „Bei unregelmäßigen Zahlungen gehen wir direkt auf unsere Kunden zu. So finden wir in den allermeisten Fällen schnell eine gemeinsame Lösung und können Sperrungen verhindern“, berichtet der Eon-Sprecher Stefan Moriße. Eon biete säumigen Kunden zudem ein Zahlhilfeprogramm.
„Gemeinsam mit Arbeitsagenturen, Schuldnerberatungen und Sozialämtern beraten wir Kunden in finanziellen Notlagen und suchen zusammen nach guten Lösungen.“ Dazu zählten Ratenpläne und die Möglichkeit, offene Beträge auch in Supermärkten zu begleichen.
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Stromsperren sind teuer: Abstellen und Anstellen kostet extra
Dadurch sei bei Eon die Zahl der gesperrten Anlagen 2020 gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent zurückgegangen. „Auch innerhalb des bisherigen ersten Halbjahres 2021 verläuft die Entwicklung auf ähnlichem Niveau“, sagt Moriße. Ähnliches berichtet Vattenfall. Über einvernehmliche Lösungen „haben wir in 2020 bei sehr viel weniger Kunden die Stromversorgung wegen Zahlungsverzugs unterbrochen als 2019“, so Sprecher Stefan Müller.
Auch die Verbraucherschützer versuchen in den Beratungsgesprächen ein Abschalten des Stromes auf alle Fälle zu verhindern. „Denn das Abschalten ist für alle die teuerste Variante“, berichtet Oelmann. Laut Bundesnetzagentur werden für das Abstellen im Schnitt 53 Euro verlangt, für das Wiederanstellen weitere 56 Euro.
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Verbrauchern darf der Strom erst nach mehrwöchigem Vorlauf abgestellt werden. Erst muss die offene Rechnung mehr als 100 Euro betragen. Laut Bundesnetzagentur lagen die unbezahlten Rechnungen 2019 bei den Betroffenen im Durchschnitt bei 118 Euro.
Zahlt der Kunde nicht, erhält er eine kostenpflichtige Mahnung, danach eine Sperrandrohung. Eine tatsächliche Sperrung darf frühestens vier Wochen danach erfolgen. Das konkrete Datum muss dem Kunden zudem drei Werktage im Voraus angekündigt werden.
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