Berlin. Europäischer Gerichtshof hat über Luftverschmutzung in 26 Regionen Deutschlands geurteilt. Warum nun hohe Geldstrafen drohen.

Dicke Luft in Düsseldorf, Duisburg, Essen, Oberhausen – die Liste mit 26 Städten und Regionen, in denen die Luftqualität jahrelang schlechter war als von der EU gefordert, ist lang. Erst im Zuge des VW-Dieselskandals und gerichtlich durchgesetzter Dieselfahrverbote lenkte der Staat ein.

An diesem Donnerstag hat die Bundesregierung dafür die Quittung bekommen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Deutschland wegen jahrelanger teils gravierender Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffoxid verurteilt. Stickstoffdioxide entstehen vor allem bei Verbrennungsprozessen sowohl in Motoren als auch in Öfen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle. Sie gelten unter anderem für Asthmatiker als schädlich. Das Urteil des EuGH könnte in Deutschland nun auch neue Auflagen für Dieselfahrzeuge zur Folge haben.

Hintergrund des Urteils ist eine Klage der EU-Kommission aus dem Jahr 2018. Laut Kommission seien seit 2010 in 26 Gebieten „systematisch und fortdauernd“ zu viel Abgase und Feinstaub in die Luft gelangt. Dazu gehörten Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. In zwei Gebieten seien auch Stundengrenzwerte nicht eingehalten worden.

EuGH folgt nicht der Argumentation von Deutschland

Der EuGH hat diese Argumentation nun bestätigt. Deutschland habe gegen seine Verpflichtungen aus der Luftreinhalterichtlinie verstoßen. Dies sei auch dadurch geschehen, „dass keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, um ab dem 11. Juni 2010 in allen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten“, erklärte das Gericht. Auch habe Deutschland offenkundig nicht rechtzeitig genug unternommen, um die Überschreitung der Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

Die Bundesregierung hatte vor dem EuGH argumentiert, dass die EU-Kommission selbst durch maßgebliche Versäumnisse zu dem Missstand beigetragen habe. Die damals gültige Schadstoffnorm Euro 5 für Dieselautos habe sich als problematisch erwiesen. Das Gericht verwies jedoch darauf, dass Autos nicht die einzige Ursache für Stickstoffoxide in der Luft seien. Zudem entbinde die EU-Abgasnorm die Mitgliedsstaaten nicht von der Verpflichtung, die Grenzwerte für Luftschadstoffe einzuhalten, erklärte der Gerichtshof.

Zu viel Verkehr: Straßenszene in Köln.
Zu viel Verkehr: Straßenszene in Köln. © Christoph Hardt via www.imago-images.de

Verkehrsexperten hatten eine Niederlage vor Gericht bereits erwartet. „Verkehrsminister Scheuer drohen bei dem Urteil hohe Geldstrafen, weil die Bundesregierung über zehn Jahre beim Gesundheitsschutz der Bürger weggeschaut hat“, sagte Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, unserer Redaktion.

Die EU-Kommission hatte etliche Länder verklagt, darunter Frankreich. Der EuGH hat das Nachbarland bereits vor zwei Jahren verurteilt, die Vorgaben schnell umzusetzen. Andernfalls drohen hohe Geldstrafen. Auch in Deutschland wären neue Auflagen etwa für Dieselfahrzeuge denkbar. EU-Recht sieht vor, dass Überschreitungen der Grenzwwerte so rasch wie möglich beendet werden. Zehn Jahre lang hätten die Länder „genügend “letzte Chancen' gehabt„, hieß es vom EuGH.

Verkehrsminister Scheuer: Dieselfahrverbote sind überflüssig

Allerdings hat sich die Luftqualität deutlich gebessert. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) reklamiert das als seinen Erfolg. Von über 90 Städten im Jahr 2016 überschritten 2019 nur 25 Städte die Höchstwerte für Stickoxid. Das Sofortprogramm Saubere Luft mit 1024 bewilligten Projekten wirke. Dieselfahrverbote seien überflüssig.

Grünen-Verkehrsexperte Krischer zieht eine andere Bilanz. Der Abruf der Mittel aus dem Sofortprogramm sei nach vier Jahren immer noch katastrophal: „Von den zwei Milliarden Euro im Topf ist nur ein kleiner Betrag abgerufen.“

Nur die Nachrüstung der Dieselbusse klappe. „Das Sofortprogramm wird mit der Geschwindigkeit einer Schnecke umgesetzt, auch weil Minister Scheuer bei bürokratischen Vorschriften ordentlich zugelangt hat.“

Auch bei den Stickoxidwerten könne es keine Entwarnung geben. „Wie es um die Stickoxidbelastung in den Innenstädten steht, werden wir erst in den nächsten Monaten sehen, wenn es weniger Homeoffice geben wird und die Leute wieder stärker auch in der Freizeit unterwegs sind“, sagte Krischer.

(mit dpa/afp)