Berlin. Elektro-Autos reißen ein milliardenschweres Loch in die Staatskasse. Deshalb muss jetzt doch die Pkw-Maut kommen – sagen Experten.

Die Elektromobilität stellt den Staat vor ein großes Problem: Wenn immer weniger Autos Benzin und Diesel verbrennen, sinken die milliardenschweren Einnahmen aus der Mineralölsteuer und der Kraftfahrzeugsteuer drastisch. Reine E-Autos sind für bis zu zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit, danach gilt ein Rabatt von 50 Prozent.

Bislang spülen die Abgaben jährlich zusammen rund 50 Milliarden Euro in die Staatskasse. Wie lässt sich das Finanzloch also stopfen, wenn – wie von der Ampel-Regierung geplant – im Jahr 2030 rund 15 Millionen Stromer in Deutschland unterwegs sind?

Experten bringen bei dieser drängenden Frage eine überarbeitete Neuauflage einer altbekannten Idee ins Spiel: Autofahrer und Autofahrerinnen sollten künftig danach zur Kasse gebeten werden, wie sehr sie die Straßen nutzen. Damit käme die Debatte über eine Pkw-Maut zurück auf die Tagesordnung, nachdem der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit dem Projekt krachend gescheitert ist.

Viele Autobauer verkaufen ab 2030 keine Verbrenner mehr

Die Zeit drängt: Die Klimaziele der EU sehen vor, dass von 2035 an keine Verbrenner mehr neu zugelassen werden. Zahlreiche Autobauer planen, bereits 2030 keine Pkw mit Benzin- oder Dieselmotor mehr anzubieten. Sie setzen vor allem auf Elektroantrieb.

„Um die Emissionsziele einzuhalten, muss der Anteil der Verbrenner am Straßenverkehr drastisch sinken, was Folgen für die Einnahmen des Staates hat“, sagt Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Folge von mehr E-Autos für den Fiskus: „Spätestens 2040/50 gäbe es im Zuge der Energiewende keine nennenswerte Kraftstoffbesteuerung mehr.“

Für Bach kommt als Ersatz für die Kraftstoffsteuer eine Pkw-Maut ähnlich des Lkw-Mautsystems infrage. Seit 2005 müssen Lkw dafür zahlen, wenn sie Autobahnen und inzwischen auch ausgewählte Bundesstraßen nutzen. Der Preis richtet sich nach gefahrener Strecke, Gewicht und Sauberkeit des Motors. Die Maut sollte 2021 rund 7,5 Milliarden Euro Einnahmen bringen.

Von pauschalen Regeln, etwa einer Plakette mit Jahresgebühr oder einer höheren Kfz-Steuer, hält der Steuerexperte wenig. „Eine Pauschalmaut für alle bringt sicher die nötigen Einnahmen und ist einfacher abzurechnen“, sagt Bach. „Unter verkehrspolitischen Gesichtspunkten ist sie aber schlecht.“

Maut könnte mit dem Smartphone bezahlt werden

Auch Andreas Knie, Verkehrsexperte und Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, befürwortet eine Reform. Das System für Pkw müsse „auf ein nutzerfinanziertes umgestellt werden: Wer viel fährt, muss auch viel bezahlen.“

Eine Pkw-Maut nach dem Modell, wie sie Scheuer durchdrücken wollte, hält Knie für falsch. „Eine technisch komplexe und starre Lösung wie bei der Lkw-Maut ist unnötig. Ein Smartphone im Auto, mit dem sich das Fahrzeug einloggt, wenn es losfährt, und ausloggt, wenn es wieder steht, reicht. Bezahlt werden könnte dann zum Beispiel je nach Gewicht und Leistung des Autos.“ Und nach gefahrener Strecke.

Ein solches System birgt aus Sicht des DIW-Steuerexperten Bach noch „den Vorteil, Verkehr lokal lenken zu können, etwa mit einer besonderen Staugebühr zu Stoßzeiten“. Ein ähnliches System nutzt die schwedische Stadt Göteborg, die eine höhere Nutzungsgebühr für Schnellstraßen nimmt, wenn viel Verkehr ist.

Das Problem der massiv sinkenden Steuereinnahmen war absehbar. Warum ist bisher nichts passiert? „Das Problem ist bekannt. Die Technik ist da. Die Po­litik muss es nur endlich wagen, das Problem auch zu lösen“, sagt Knie. „Bisher herrscht da eher Angst.“

ADAC: „Pkw-Maut steht derzeit nicht auf der Tagesordnung“

Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr beim Automobil-Club ADAC, erwartet dagegen eine andere Entwicklung. „Eine Pkw-Maut steht derzeit nicht auf der Tagesordnung der Verkehrspolitik in Deutschland – und es gibt auch keinen Anlass dazu“, betont er.

Angesichts des Hochlaufs der E-Mobilität stehe aber nicht fest, dass diese ewig steuerbefreit bleibe. „So ist es nur wahrscheinlich, dass für Elektrofahrzeuge, sobald diese auf dem Markt wettbewerbsfähig sind und keine steuerlich günstigen Rahmenbedingungen mehr benötigen, eine Kfz-Steuer bezahlt werden muss“, sagt Gerwens.

Und das Bundesfinanzministerium erklärt, die Ausgabenbedarfe des Staates seien durch das gesamte Einnahmesystem zu decken. Wenn Einnahmen aus einzelnen Steuern zurückgehen, müssen andere Quellen dies ausgleichen.

Auch andere Länder stehen vor dem Problem

Auch anderen Ländern droht wegen der Elektromobilität eine Finanzlücke. Britische Parlamentarier denken bereits über eine Kilometergebühr für Fahrzeuge nach. Der Staat erwartet Mindereinnahmen von 35 Milliarden Pfund (41 Milliarden Euro) jährlich. Die Abgeordneten schätzen, dass das sogenannte Road ­Pricing die Autofahrer nicht mehr kosten wird als Kfz- und Kraftstoffsteuer heute.

In Deutschland könnte es dagegen teurer werden. Denn schon heute fehlt Geld für die Instandhaltung der Straßen. „Die Infrastruktur zerbröselt bereits jetzt – man sieht das an den vielen maroden Brücken“, sagt Verkehrsexperte Knie. „Wir müssten viel mehr investieren.“ Er schlägt als Sofortmaßnahme vor, jeglichen Neubau zu stoppen. „Mit dem Geld muss die bestehende Infrastruktur repariert werden.“

Für 2021 hatte der Bund allein für die Autobahnen und Bundesstraßen 12,5 Milliarden Euro vorgesehen, hinzu kommen die Ausgaben von Ländern und Kommunen. Offenbar reicht das nicht: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund schätzte, dass allein die Städte, Gemeinden und Landkreise sofort 33,6 Milliarden Euro zusätzlich in Verkehrsinfrastruktur stecken müssten.