Die Möglichkeit, von zu Hause aus arbeiten zu können, ist ein Privileg. Besonders sichtbar wurde das im Frühjahr, als die Wirtschaft herunter fuhr. Es fehlte an Masken, an Desinfektionsmitteln, an Informationen. Als Corona-Helden wurden diejenigen gefeiert, die trotzdem weiter vor Ort arbeiteten. Pflegepersonal, Kassiererinnen, Kita-Angestellte, die einen Notbetrieb aufrechterhielten.
Dass das Zugpferd der deutschen Konjunktur, die Bauwirtschaft , ebenfalls im Vollbetrieb schuftete, ging gerne mal unter – offenbar auch bei den zuständigen Behörden, die ihre Kontrolleure ins Homeoffice beorderten.
Pandemie deckt Missstände in vielen Branchen auf
Die Pandemie hat bereits viele Missstände zutage gefördert. Die meisten waren längst bekannt, es war nur bequemer, den Mantel des Schweigens darüber zu legen, anstatt sie zu beheben. Die miserablen Arbeitsbedingungen der Spargelstecher etwa. Oder die Ausbeutung in den Schlachthöfen.
Nun zeigt die Pandemie einmal mehr, was auf dem Bau alles schiefläuft. Das Aufsichtspersonal arbeitet vom heimischen Schreibtisch, während die Bauarbeiter von klapprigen Gerüsten stürzen.
Die Kontrolleure können nichts für den Personalmangel
Nur greift es viel zu kurz, die Schuld deshalb beim Aufsichtspersonal abzuladen. Denn das kann nichts für den über Jahre gewachsenen Personalmangel. Die Kontrolleure sollen regelmäßig auf den Großbaustellen vorbeischauen, unangekündigt Missstände bei kleinen Betrieben aufdecken, Gefahrenbeurteilungen im Vorfeld checken und parallel noch jede Menge Papierkram erledigen.
Es ist keineswegs so, dass die Anordnung zum Homeoffice dazu geführt hätte, dass die Kontrolleure in den eigenen vier Wänden Däumchen drehen. Arbeit haben sie mehr als genug. Die Länder senden mit dieser Anordnung aber ein völlig falsches Signal aus.
Coronavirus – Die wichtigsten News im Überblick
- Alle News im Überblick: Aktuelle Nachrichten zum Coronavirus im News-Ticker
- Aktuelle Zahlen: Aktuelle RKI-Fallzahlen und Corona-Reproduktionsfaktor
- Wichtige Hintergründe: Symptome, Übertragung, Behandlung, Test - Alles zu Corona
- Kampf gegen Pandemie: Corona-Impfstoff – Alles zu Forschungsstand, Impfstrategie, mRNA und Co.
Die Hemmschwelle dürfte bei so manchem Unternehmen niedrig sein
Die Standards der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Europäische Union sehen vor, dass ein Kontrolleur maximal 10.000 Beschäftigte beaufsichtigen kann. In Deutschland lag der Wert zuletzt bei über 15.000 Beschäftigten pro Kontrolleur. In Mecklenburg-Vorpommern musste jüngst die Landesregierung eingestehen, dass Firmen im Schnitt nur alle 20 Jahre mit einem Besuch der Arbeitsschutzbehörde rechnen müssen.
Wenn dann die Unternehmen noch spitz kriegen, dass die Kontrolleure während der Pandemie lieber telefonisch beraten, anstatt sich unangekündigt vor Ort ein Bild zu machen, dürfte die Hemmschwelle , an der ein oder anderen Stelle den Arbeitsschutz zu vernachlässigen, um Kosten zu sparen, nicht sonderlich hoch liegen.
Behörden wurden kaputtgespart
Der Bau stieg nach seiner schweren Krise von der Jahrtausendwende bis nach der Wirtschaftskrise 2010 wie ein Phönix aus der Asche. Es brummt, die Auftragsbücher sind voll, alle wollen etwas vom Kuchen abhaben. Nur leider haben die zuständigen Behörden den Aufstieg nicht mitgemacht.
Sie wurden regelrecht kaputtgespart . Das führt dazu, dass es an Fachpersonal fehlt, um Bauanträge zu bearbeiten, weshalb sich in einigen Kommunen die Anträge stauen und daher beispielsweise der Wohnungsbau stockt. Und es führt dazu, dass es massiv an Kapazitäten bei den Aufsichtsbehörden mangelt, um wirklich eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Länder müssen handeln
Die hohen Gewinnmargen streichen die Unternehmen auch deshalb ein, weil Arbeitskräfte über Subunternehmer aus europäischen Billiglohnländern angeheuert und nach Belieben ausgetauscht werden können.
Und nicht nur das. Im Vorjahr stieg die Zahl der Strafverfahren gegen Schwarzarbeiter um 20 Prozent an. Es wird mit allen Mitteln getrickst , um die Kosten zu reduzieren. Und manche Mittel enden tödlich. Hier dürfen die Länder nicht länger wegsehen.