Washington. Nach dem Rückzieher von Elon Musk reicht der Kurzmitteilungsdienst Twitter im Übernahmestreit nun Klage gegen den Tech-Milliardär ein.

Es hat sich ausgezwitschert zwischen Tech-Tausendsassa Elon Musk und dem Kurzmitteilungsdienst mit dem weißen Vögelchen im Logo; jedenfalls vorläufig. Denn Twitter will Musk nun zum Kauf zwingen. Dafür reichte der Online-Dienst wie angekündigt eine Klage im Bundesstaat Delaware ein, wie Verwaltungsratschef Bret Taylor am Dienstag (12. Juni mitteilte.

Tesla-Chef Musk hatte zuvor über seine Anwälte die amerikanische Börsenaufsicht SEC offiziell wissen lassen, dass er nicht länger den Plan verfolgt, Twitter für den im Frühjahr schriftlich vereinbarten Preis von rund 44 Milliarden Dollar zu kaufen, von der Börse zu nehmen und fortan als Privatunternehmen zu führen.

Für die einseitige Aufkündigung des umstrittenen Geschäfts führte Musk sein seit Wochen bekanntes (und von vielen für fadenscheinig gehaltenes) Argument an: Twitter wolle angeblich nicht klipp und klar mitteilen, wie viele der rund 230 Millionen Nutzerkonten auf Spam-Accounts und Bots zurückgehen.

Das Unternehmen habe vielmehr "falsche und irreführende Angaben gemacht". Dies stelle einen massiven Verstoß gegen die umfangreiche Übernahme-Vereinbarung dar, befand Musk.

Unternehmer Elon Musk wollte Twitter für 44 Milliarden Dollar kaufen.
Unternehmer Elon Musk wollte Twitter für 44 Milliarden Dollar kaufen. © DELMAS / AFP

Twitter-Aktie schmiert ab

Prompt rauschten die Aktien von Twitter nach Schluss der Börse um 7,5 Prozent auf rund 34 Dollar. Zum Vergleich: Musk hatte den Aktionären vor Wochen 54,20 Dollar pro Aktie angeboten.

Das Management von Twitter in San Francisco reagierte umgehend und sehr verschnupft auf den Ausstieg des reichsten Mannes der Welt (zirka 220 Milliarden Dollar) und signalisierte einen langwierigen Streit vor der Justiz.

"Wir wollen den Verkauf zu dem mit Musk vereinbarten Preis durchsetzen und werden dafür auch vor Gericht ziehen", erklärte Twitter-Verwaltungsratschef Bret Taylor. Schauplatz wird der "Court of Chancery" im Heimatbundesstaat von Präsident Joe Biden sein: in Delaware. Das zuständige Gericht kann den Vollzug einer Übernahme anordnen. Das verlangt Twitter auch ausdrücklich in der gut 60-seitigen Klageschrift, die von US-Medien veröffentlicht wurde.

Musks Rückzieher war in Branchenkreisen und an der Börse seit Wochen erwartet worden. Vorherrschende Meinung: Elon Musk, das angeblich unerreichte Genie, habe sich mit seinem forschen Ursprungsdeal schlicht verzockt und die Finanzierung für das 44 Milliarden-Dollar-Geschäft (rund 43 Milliarden Euro) nicht solide hinbekommen. Als ihm dies klarer wurde, habe er nach einem eleganten Ausweg gesucht. Siehe: die Behauptung, Twitter habe Millionen Fake-Nutzer.

Zunächst galt die Vermutung, dass Musk über dieses Vehikel den vereinbarten Kaufpreis nur drücken wollte. Dass er ihn nun vollends platzen ließ, rückt den Multi-Unternehmer, der sich vorher bereits neun Prozent der Twitter-Aktien zusammengekauft hatte, in ein unvorteilhaftes Licht, schreiben US-Kommentatoren.

Musk droht Strafe in Höhe von einer Milliarde Dollar

Musk hatte sein Kauf-Angebot im April vorgelegt und Twitter eine glorreiche Zukunft als "dem globalen Marktplatz im Internet" prophezeit. Schon damals wurden Stimmen laut, die Musk vor Überforderung warnten. Zu seinem Imperium gehören neben dem E-Mobil-Riesen Tesla auch das Weltraum-Unternehmen SpaceX sowie Neuralink und "The Boring Company".

Das Twitter-Management nahm die im Fall des Nichteinlösens mit einer Konventionalstrafe von einer Milliarde Dollar belegte Offerte erst nach einigem Zögern an. Lesen Sie auch: Elon Musk: Kind legt Namen ab – und ändert das Geschlecht

Kurz danach ließ Musk seine inzwischen 100 Millionen Twitter-Abonnenten wissen, der Deal liege wegen Ungereimtheiten bei den Spam-Konten auf Eis. Twitter hielt dem noch vor wenigen Wochen entgegen, dass Fake-Accounts weniger als fünf Prozent der Nutzerbasis ausmachten. Der Vorstandsvorsitzende Parag Agrawal betont, dass der Dienst täglich mehr als eine halbe Million Spam-Accounts blockiere.

Das Aus für den Twitter-Deal wird mehrere Großbanken, die bisher mit dem Finanzierungs-Marathon beschäftigt waren, schwer treffen. Allein Goldman Sachs und JP Morgan Chase entgehen laut Wall Street Journal zusammen rund 130 Millionen Dollar an Gebühren.

Durch Musks endgültigen Rückzug hat sich wahrscheinlich auch eine Begleit-Personalie erledigt. Der Multimilliardär hatte unter anderem angekündigt, den seit Januar 2021 bei Twitter mit Bann belegten Ex-Präsidenten Donald Trump im Sinne maximaler Redefreiheit wieder auf die Plattform zu lassen. Was Bürgerrechts-Organisationen zu der Befürchtung brachte, Hassreden und Lügen könnten neue Konjunktur bekommen.

Musk wollte eine Milliarde Twitter-Nutzer

Ob Musk mit seinem "Njet" zum Twitter-Deal wirklich durchkommt, ist offen. Manche US-Beobachter schließen nicht aus, dass Musk gerichtlich zu seinem "Glück" mit dem Kurzmitteilungsdienst gezwungen werden könnte.

In der Twitter-Belegschaft, die Musk für aufgebläht hält, gab es massive Widerstände gegen die Ambitionen des neunfachen Vaters. Der Exzentriker Musk setzt Twitter - ähnlich wie Trump - immer wieder als Schock-Instrument ein. So schlug er vor, die Twitter-Hauptniederlassung in der Innenstadt von San Francisco in eine Obdachlosenunterkunft umzuwandeln, weil ja eh so gut wie niemand da sei. Mitte Juni erklärte er in einer Fragerunde vor Twitter-Angestellten, dass er die Zahl der Nutzer von zuletzt 230 Millionen auf mehr als eine Milliarde erhöhen wolle; unter anderem durch höhere Werbeerlöse.

In US-Finanzmedien wird die nun bevorstehenden juristische Schlammschlacht zwischen Musk und Twitter mit großem Unbehagen gesehen. Bereits die ersten Twitter-Kaufpläne hätten sich negativ auf die Tesla-Aktien ausgewirkt, heißt es. Wenn Musk nun über Monate mit Twitter vor der Justiz Armdrücken veranstalte, werde das nicht nur den Kurzmitteilungsdienst weiter in Mitleidenschaft ziehen.

Hintergrund: Elon Musk hatte kürzlich eingeräumt, seine neuen Tesla-Fabriken in Texas und in Grünheide bei Berlin verlören derzeit durch diverse Engpässe Milliardensummen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf abendblatt.de