Berlin. Die Zeit der Minuszinsen dürfte vorbei sein: Erstmals seit elf Jahren werden die Zinsen erhöht werden. Was Sparer jetzt wissen müssen.

Wer sein Erspartes auf dem Girokonto oder dem Sparbuch geparkt hat, muss bei vielen Banken dabei zusehen, wie es weniger wird. Mehr als 450 Banken in Deutschland erheben laut einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox Minuszinsen.

Nun schmälert die hohe Inflation die Kaufkraft zusätzlich. In Deutschland stiegen die Preise im Mai mit 7,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat so schnell wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr, im Euroraum kletterte die Inflation mit 8,1 Prozent auf ein Rekordhoch. Das zwingt die Europäische Zentralbank (EZB), deren Hauptaufgabe es ist, die Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten, zum Handeln. Erstmals seit elf Jahren wird sie die Zinsen anheben – allerdings erst im Juli. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Wirft das Geld auf dem Girokonto und Sparbuch bald wieder Zinsen ab?

Derzeit liegt der Leitzins der EZB bei null Prozent. Parken Banken Geld bei der EZB, müssen sie dafür einen Strafzins von 0,5 Prozent zahlen – und geben diese Gebühr als sogenanntes Verwahrentgelt immer öfter an die Kunden weiter.

Nun aber kommt die Zinswende: Der EZB-Rat beabsichtige, auf seiner nächsten Sitzung am 21. Juli den Leitzins um 25 Basispunkte auf dann 0,25 Prozent anzuheben, teilte die EZB am Donnerstag mit. Auch der Einlagezins soll dann steigen, bestätigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Schon im September soll die nächste Zinserhöhung folgen – die könnte auch durchaus höher ausfallen, sollte die Inflation nicht absehbar zurückgehen. „Wenn der Einlagezins ab September nicht mehr im negativen Bereich ist, sollte die Zeit der Minuszinsen zu Ende gehen“, sagte Christian Reicherter, Senior Zinsanalyst bei der DZ Bank, unserer Redaktion. Das Sparbuch könnte also in geringem Maße wieder Geld abwerfen. Allerdings können Banken nach wie vor Kontoführungsgebühren erheben.

Warum hat die EZB die Zinsen nicht sofort angehoben?

Bevor die EZB die Zinsen anhebt, wird sie ihre krisenbedingten Anleihekäufe beenden. Anleiheankäufe sind eine Möglichkeit, die Wirtschaft zu stimulieren, wenn die Zinsen bereits auf dem Nullpunkt angekommen sind. Um im Zuge der Corona-Pandemie die Konjunktur zu stützen, hatte die EZB ihre Programme ausgeweitet und im großen Stil die Wertpapiere von Staaten und Unternehmen aufgekauft. Ab Juli soll damit Schluss sein. Erst danach soll der erste Zinsschritt erfolgen.

Bei Christian Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sorgt das Vorgehen für Kritik. „Ich halte den Zinsschritt für verspätet und zu klein. Die EZB hätte bereits heute handeln und den Leitzins um 50 Basispunkte anheben müssen“, sagte Krämer im Gespräch mit unserer Redaktion. „Anstatt den Fuß vom Gas zu nehmen, gibt die EZB weiter Vollgas.“ Laut Krämer sei ein wirksames Niveau zur Bekämpfung der derzeitigen Inflation erst erreicht, wenn die Zinsen bei 2,5 bis 3,0 Prozent liegen würden: „Mit ihren Trippelschritten kommt die EZB bei der Inflationsbekämpfung nicht weiter.“

Wie helfen Zinsen gegen die Inflation?

Wirft das Konto wieder Zinsen ab, können Verbraucherinnen und Verbraucher geneigt sein, ihr Geld lieber zu sparen, anstatt es in Konsumgüter zu stecken. Die Konsumlaune nimmt also ab, das Wirtschaftswachstum wird gebremst. Auf die zurückgehende Nachfrage können die Unternehmen nicht mit weiteren Preiserhöhungen reagieren. Bei einer besonders stark zurückgehenden Nachfrage müssten sie die Preise sogar senken, um ihre Produkte an die Verbraucher zu bringen.

Hinzu kommt, dass Kredite teurer werden. Investitionen auf Pump werden also gebremst – nicht nur auf Verbraucherebene, sondern auch auf Unternehmensebene. Solche Aussichten wiederum können Arbeitgeber nutzen, um starke Lohnerhöhungen der Beschäftigten abzulehnen.

Was für die Beschäftigten eine schlechte Nachricht wäre, könnte aus wirtschaftstheoretischer Sicht dazu führen, dass eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale verhindert wird. Bei einer Lohn-Preis-Spirale können Arbeitnehmer aufgrund der Inflation höhere Löhne durchsetzen, anschließend verteuern die Unternehmen aufgrund der höheren Ausgaben für Löhne ihre Produkte, was wiederum die Inflation anheizt – und zu einem schwer zu durchbrechenden Teufelskreis führt.

Vor allem aber hat die Inflation auch etwas mit Erwartungen zu tun. Rechnen Verbraucher mit steigenden Preisen, ziehen sie Käufe zu höheren Preisen vor. Die Inflation wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Ein entschlossenes Agieren der Geldpolitik kann dem entgegenwirken. „Ohne entschiedenes Gegensteuern steigen die Inflationserwartungen der Menschen weiter. Dann würden die Gewerkschaften starke Lohnerhöhungen durchsetzen, die die Inflation weiter anheizen“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer.

Gibt es einen Haken?

Nicht nur einen. Zum einen bleibt ein realer Kaufkraftverlust auch weiterhin bestehen. Bei einer Inflationsrate von 8,1 Prozent im Euroraum sind Zinsen von 0,25 oder auch 0,5 Prozent für Sparer nur ein schwacher Trost. Die EZB, die sich mit ihrer Inflationserwartung kolossal verschätzt hat, rechnet mittlerweile damit, dass die Teuerungsrate im Euroraum in diesem Jahr bei 6,8 Prozent liegen wird. Auch im kommenden Jahr dürfte sie der Schätzung nach mit 3,5 Prozent deutlich über dem Ziel von zwei Prozent liegen – und geht dabei bereits von sinkenden Energiepreisen und einer Stabilisierung der Lieferketten aus.

Ein großes Problem bei der derzeitigen Inflationsbekämpfung ist, dass die Preise getrieben werden, weil das Angebot so knapp ist. Chinas restriktive Corona-Politik und der Ukraine-Krieg haben die ohnehin fragilen Lieferketten durcheinandergewirbelt, Containerschiffe stauen sich, Verbraucher müssen oft monatelang auf Produkte warten.

Mit der Corona-Pandemie haben sich zudem die finanziellen Ungleichheiten verschärft. Während viele Menschen, die in Kurzarbeit gewesen sind, derzeit mit der Inflation besonders zu kämpfen haben, haben andere ihre Ersparnisse gesteigert – und sind nun bereit, trotz steigender Kosten zu konsumieren.

Hinzu kommt, dass es dauert, bis der Effekt einer Zinserhöhung bei der Inflation sichtbar wird. „Eine Zinserhöhung wird sich wohl frühestens ein Dreivierteljahr später bei der Inflation bemerkbar machen“, sagt DZ-Bank-Zinsexperte Reicherter.

Für die Firmen haben sich zudem laufende Kosten wie die Energiepreise für Unternehmen stark verteuert. Diese Mehrkosten werden Unternehmen an Kunden weitergeben. Firmen, die bereits angeschlagen sind, könnten zudem unter Druck geraten – bei hohen Zinsen könnte eine Rezession drohen.

Droht eine neue Schuldenkrise?

Die EZB muss sich im Gegensatz zur amerikanischen Notenbank Fed, die die Inflation mit starken Zinserhöhungen deutlich entschlossener bekämpft, noch mit einem weiteren Problem herumschlagen: Sie muss verhindern, dass es zu einer neuen Schuldenkrise kommt. Dafür hat sie zwar kein politisches Mandat – ihre Aufgabe besteht darin, Preisstabilität zu gewährleisten. Eine neue Schuldenkrise würde allerdings die Finanzstabilität des Euro gefährden – weshalb die Politik die Aufgabe bei der EZB ablädt.

Die Verschuldung ist während der Pandemie weiter gewachsen. Griechenland ist im Verhältnis zu seiner jährlichen Wirtschaftsleistung um 193 Prozent verschuldet, Italien um 151 Prozent. „Italien stellt seit Jahren ein Risiko für eine Schuldenkrise dar, jetzt wird es besonders sichtbar“, warnt Krämer.

Aber auch in Frankreich liegt die Schuldenquote mit 113 Prozent deutlich über den 60 Prozent, die die Maastricht-Verträge vorsehen. Zwar sind viele Schulden der Südländer mit langen Laufzeiten zu günstigen Konditionen verbunden, dennoch erhöhen steigende Zinsen den Druck.

Entlasten höhere Zinsen die Verbraucher?

Gerade die Deutschen parken ihre Ersparnisse bevorzugt auf dem Girokonto oder dem Sparbuch. Hier dürften zumindest die Negativzinsen bald Geschichte sein. Doch nicht alle profitieren von steigenden Zinsen.

Kredite etwa verteuern sich. Gerade erst kam das Kreditvergleichsportal Smava in einer Umfrage zu dem Ergebnis, dass rund sechs Millionen Deutsche von einem steigenden Dispokredit, der anfällt, wenn das Konto überzogen wird, betroffen sein könnten. Das Unternehmen erwartet, dass die Dispozinsen auf zehn Prozent und mehr steigen könnten.

Auch der Hausbau oder Wohneigentumserwerb wird teuer. Zwar hängt die Baufinanzierung nicht direkt mit den Leitzinsen zusammen, sie wird indirekt aber stark davon beeinflusst. Seit Jahresbeginn haben sich die Bauzinsen bereits mehr als verdreifacht.

Auf Anleger wartet eine weiterhin holprige Zeit. Insbesondere Unternehmen, die für ihr Wachstum auf billiges Geld angewiesen sind, dürften noch eine Weile unter Druck stehen. Während der Deutsche Aktienindex am Donnerstag nach der Entscheidung fiel, verzeichnete die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe einen kräftigen Anstieg um zeitweise mehr als acht Prozent auf über 1,46 Prozentpunkte. Zum Vergleich: Noch zum Jahresbeginn war die Rendite negativ.

Dieser Text erschien zuerst auf abendblatt.de.