Berlin. Inflation und angekündigte Mietsteigerungen setzen Mieter unter Druck. Die Ampelkoalition plant eine Neuerung für günstigere Mieten.

Kritik ist Rolf Buch gewohnt. Als er 2013 den Chefposten bei der Deutschen Annington übernahm, traf er auf einen Großvermieter, der einen zweifelhaften Ruf genoss. Der Deutsche Mieterbund warnte damals vor überhöhten Nebenkostenabrechnungen, in vielen Wohnungen grassierte der Schimmel. Buch krempelte das Unternehmen um, verpasste ihn mit Vonovia einen neuen Namen, machte ihn zum Dax-Konzern.

Nicht erst, nachdem Vonovia im vergangenen Jahr mit der Deutschen Wohnen den größten Wettbewerber schluckte, hat Buchs Wort Gewicht. Mehr als eine halbe Million Wohnungen bewirtschaftet der Bochumer Konzern. Und entsprechend groß war bei vielen Mieterinnen und Mietern der Schock, als Buch in der vergangenen Woche im „Handelsblatt“ saftige Mieterhöhungen aufgrund der Inflation in Aussicht stellte: „Wenn die Inflation dauerhaft bei vier Prozent liegt, müssen auch die Mieten künftig jährlich dementsprechend ansteigen“, sagte er.

Wohnen: IG-BAU-Chef wirft Vonovia „inflationäre Unverschämtheit“ vor

Seitdem reißt die Kritik an dem 57-Jährigen nicht ab. „Was Vonovia hier macht, ist eine inflationäre Unverschämtheit“, schimpft Robert Feiger, Bundesvorsitzende der IG BAU. In den vergangenen sechs Jahren sei die Vonovia-Nettokaltmiete bereits um 21,8 Prozent gestiegen, sagte Feiger unserer Redaktion. Der Konzern mache nun Mieter zu „Sonderopfern der Inflation“. Dabei dürften gerade die Großvermieter die Inflation nicht weiter anheizen, indem sie an der Mietschraube drehten.

SPD-Chef Lars Klingbeil nannte das Vorgehen gegenüber unserer Redaktion „absolut unverantwortlich“.

Mietkosten: Mieterbund weist Vonovia-Vorstoß zurück

Etwas gelassener nimmt die Debatte ausgerechnet Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes zur Kenntnis. „Vonovia sollte bewusst sein, dass aufgrund der Inflation außerhalb von Indexmietverträgen keine Mieterhöhung oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete zulässig ist“, sagte Siebenkotten im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch der Eigentümerverband Haus und Grund hatte Kritik geäußert. Für Siebenkotten sei das ein Signal, dass sich Buch „vergaloppiert habe.“

Für viele Mieterinnen und Mieter ist die Situation dennoch beklemmend. Schon heute geben immer mehr Menschen gerade in den Ballungsräumen mehr als die empfohlenen 30 Prozent ihres Haushaltseinkommens für das Wohnen aus, bezahlbare Wohnungen finden viele nicht mehr.

Inflation: Siebenkotten fordert Entlastung für Mieter

Die hohe Inflation von zuletzt 7,9 Prozent im Mai geht nun zusätzlich ins Geld. Wer einen sogenannten Indexmietvertrag abgeschlossen hat, kann die Inflation unter Voraussetzungen eins zu eins auf die Miete aufgeschlagen bekommen. Doch selbst wer mit geringem Einkommen einen klassischen Mietvertrag unterzeichnet hat, könnte spätestens dann unter Druck geraten, wenn die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2022 im Briefkasten liegt.

Mieterbundpräsident Siebenkotten ruft die Ampel-Koalition daher dazu auf, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben zeitnah umzusetzen. So sollten SPD, Grüne und FDP die Kappungsgrenze bei der Mietpreisbremse wie vereinbart absenken. In besonders angespannten Wohnungsmärkten dürfte die Miete dann binnen drei Jahre nur noch um 11 statt wie bisher um 15 Prozent erhöht werden.

Wohnungsbau soll wieder gemeinnützig werden

Aber auch bei einem weiteren Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag macht Siebenkotten Druck: der Einführung einer sogenannten Wohnungsgemeinnützigkeit.

Mehr als ein Jahrhundert lang konnten Wohnungsunternehmen in Deutschland gemeinnützig sein. Doch in den 1980er Jahren kamen zwei Entwicklungen zusammen: Zum einen setzte die erste Privatisierungswelle ein. Zum anderen erschütterte der Skandal um die „Neue Heimat“ den Wohnungsmarkt. Beim damals größte Wohnungsbaukonzern Europas, der gemeinnützig vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) geführt wurde, kam heraus, dass sich das Management an den Mietern bereichert hatte. Zudem wurde Missmanagement aufgedeckt. Der Konzern zerbrach.

1990 wurde die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft. Seitdem geht auch die Zahl der Sozialwohnungen kontinuierlich zurück. Ein Problem dabei: Wer heute gefördert baut, verpflichtet sich nur für einen gewissen Zeitraum, meist 25 bis 30 Jahre, dazu, die Mieten niedrig zu halten. Nach dieser Zeitspanne fällt die sogenannte Sozialbindung weg, die Wohnung kann nach einer kurzen Übergangsphase zu marktüblichen Konditionen vermietet werden.

Bauministerium arbeitet an Konzept

Um dauerhaft günstige Wohnungen anbieten zu können, will die Ampel-Koalition nun eine neue Gemeinnützigkeit einführen. „Wir haben mit der Arbeit am Konzept bereits begonnen“, sagte Sören Bartol, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium, unserer Redaktion. „Die neue Wohngemeinnützigkeit bietet die Chance, dauerhaft bezahlbare Wohnungen zu schaffen“, ist der SPD-Politiker überzeugt.

Auch Mieterbundpräsident Siebenkotten sieht eine Chance darin, wenn Deutschland seinen „Irrweg“ beendet und geförderte Wohnungen kein Ablaufdatum mehr hätten.

Diakonie will im Wohnungsmarkt tätig werden

Auf Interesse stößt das Konzept auch bei der Diakonie. Der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche könnte es sich vorstellen, ergänzend zu ihren weiteren Aufgaben im Wohnungsbereich tätig zu werden, sollte die neue Wohngemeinnützigkeit kommen. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das unserer Redaktion vorliegt.

Neben Menschen mit geringem Einkommen müsste eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit auch gezielt an Menschen mit körperlicher, geistiger und seelischer Hilfsbedürftigkeit adressiert sein, fordert der Wohlfahrtsverband. So sollten etwa inklusive Wohnprojekte als gemeinnützig anerkannt werden. Zudem forderte die Diakonie, dass auch für die Vermietung von Wohnraum Spenden eingesetzt werden dürfen.

Widerstand kommt hingegen aus der Wohnungswirtschaft. Es müsse die „sozial-ökonomische Ausrichtung der Wohnungspolitik langfristig gesichert werden, statt neue Regulierungen oder eine neue Rechtsform für Unternehmen zu schaffen“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko unserer Redaktion. Er forderte stattdessen, die Förderung für den Sozialwohnungsbau von derzeit zwei auf fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Dieser Artikel ist zuerst auf abendblatt.de erschienen.