Braunschweig. Rainer Bruckert, Vorsitzender des Weißen Rings Niedersachsen und Ex-LKA-Abteilungsleiter, sagt, wann Angehörige erst mit dem Fall abschließen können.

Diese Entwicklung habe ihn sehr überrascht, sagt Rainer Bruckert, Vorsitzender des Weißen Rings in Niedersachsen, angesprochen auf die neuesten Erkenntnisse im Fall Madeleine „Maddie“ McCann. Mit Bruckert, früher LKA-Abteilungsleiter, sprachen wir unter anderem über die Frage, was Angehörige in Vermisstenfällen antreibt.

Herr Bruckert, der Fall Madeleine McCann ist nahezu einzigartig in der europäischen Kriminalitätsgeschichte. Das hat auch etwas mit der Rolle der Eltern zu tun, die in den letzten 13 Jahren nichts unversucht ließen, ihre Tochter zu finden. Was haben Sie gedacht als Sie von den jüngsten Entwicklungen gehört haben?

Ich war genauso erstaunt wie wahrscheinlich die allermeisten, die die Sendung „Aktenzeichen XY“ gesehen haben. Für die Eltern von Maddie verbindet sich damit vermutlich erneut die Hoffnung, endlich Klarheit über die Frage zu bekommen, was mit ihrer Tochter passiert ist.

Als Weißer Ring setzen Sie sich für die Opfer von Straftaten ein. Auch Angehörige in Vermisstenfällen beraten Sie, wenn das gewünscht wird. Losgelöst vom „Fall Maddie“: Was beobachten Sie bei der Betreuung?

Eltern, die nicht wissen, was mit Ihrem Kind passiert ist, können diese Tatsache nur verdrängen. Sie können erst damit abschließen, wenn sie einen Ort haben, an dem sie trauern können. Erst dann spüren Sie ein Gefühl der Erleichterung. So hart das klingt: Angehörige brauchen ein Grab.

Maddies Eltern haben immer wieder die Öffentlichkeit um Mithilfe gebeten. Welche Erfahrungen haben Sie bei Gesprächen mit Angehörigen gemacht?

Die Gespräche sind sehr schwierig, zeitintensiv, und verlangen viel Feingefühl. So lange es keine Leiche gibt, besteht die Hoffnung, dass das Kind irgendwann wieder vor der Tür steht. Haben die Ermittler neue Erkenntnisse, und seien sie noch so vage, kommt in der Regel alles, was bisher verdrängt wurde, wieder hoch. Es fängt alles von vorne an. Das wird Maddies Eltern nicht anders ergehen.

Wie sehen Sie als Opferschutzverband ihre Rolle in diesen Gesprächen?

Wir gehen eigentlich, wenn es um Vermisste geht, nie proaktiv auf die Angehörigen zu. Wir warten, dass sich jemand bei uns meldet, weil er gute Erfahrungen mit unserer Arbeit gemacht hat. Wichtig ist, den Menschen keine falschen Hoffnungen zu machen. Wichtig ist aber auch zu wissen: In den meisten Fällen ist die Suche der Polizei nach den Vermissten erfolgreich. Deshalb ist es dem Weißen Ring auch so wichtig, dass Ermittler am Ball bleiben. In Niedersachsen werden ja jetzt einige der sogenannten „Cold Cases“ wieder aufgerollt.

Sie haben gesagt, Angehörige brauchen ein Ort zu trauern. Wie wichtig ist die Bestrafung des oder der Täter?

Elementar. Dabei interessiert die Opfer oft gar nicht die Höhe des Strafmaßes, sondern sie erfahren durch das Urteil ein stückweit Genugtuung. Das erleben wir immer wieder in Prozessen, in denen wir zugegen sind – und es eigentlich egal, ob es um den Enkeltrick, eine Vergewaltigung oder ein Morddelikt geht.

Sie waren Abteilungsleiter beim Landeskriminalamt in Niedersachsen. Der öffentliche Aufruf zur Mithilfe: Welche Taktik verbinden Ermittler damit?

Polizei und Staatsanwaltschaft brauchen den Beweis zur Überführung des mutmaßlichen Täters. Dafür benötigen sie die Hilfe der Bevölkerung. Natürlich erhoffen sie sich durch den Aufruf zugleich, den Druck auf mögliche Mitwisser zu erhöhen. Auf Menschen, die aus Angst vor oder aus zu großer Nähe zum Täter bisher geschwiegen haben. Jede intensive Mordermittlung richtet sich auch immer an die Person, die unter Verdacht steht. Nach dem Motto: ,Wir wissen eigentlich alles. Jetzt sag’ uns endlich, wo Du sie vergraben hast’.

Fall Maddie – Darum ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig

Die Prozessberichterstattung gegen den 43-Jährigen finden Sie hier: