Kiew. Der dritte Angriff innerhalb von 36 Stunden: Russische Raketen trafen am Montag erneut Kiew. Der Zeitpunkt war dieses Mal ungewöhnlich.

„Also ich weiß nicht, was ihr denkt, aber wir müssten jetzt wohl doch so schnell es geht zumachen und wegrennen“, ist an diesem Montag gegen 11.00 Uhr morgens aus dem chaotischen Gespräch der Mitarbeiter eines Cafés im Norden Kiews herauszuhören. Es ist eine Bürogegend, und anders als in Deutschland ein Arbeitstag. Was sich während dieses Gesprächs draußen abspielt, sind teilweise apokalyptische Szenen: Nur wenige Minuten nach dem Einschalten des Luftalarms kämpfen ukrainische Flugabwehrraketen gegen russische Iskander-Raketen, die die Hauptstadt der Ukraine angreifen.

Dabei ist es nicht nur extrem laut: Die Trümmer einer der abgefangenen russischen Raketen fallen direkt auf die Fahrbahn ganz in der Nähe. Der schwarze Rauch ist gleich zu sehen, und während die Menschen Schutz in den vielen überfüllten Unterführungen der Gegend suchen, beeilen sich Feuerwehr und Polizei zum Ort zu kommen.

Es ist bereits das dritte Mal innerhalb von 36 Stunden, dass Kiew massiv von der russischen Armee beschossen wurde. In der Nacht auf den Sonntag setzte Russland 40 iranische Kampfdrohnen gegen die Hauptstadt und insgesamt 54 Drohnen gegen die gesamte Ukraine ein – der größte Drohnenangriff Russlands im gesamten Krieg.

Luftangriffe auf Kiew: Abgefangen wurden Raketen wohl von Patriot-Systemen

In der Nacht auf den Montag waren es dann zusammengerechnet 40 Raketen und Drohnen. Und am Montagmorgen waren es schließlich insgesamt elf Raketen der Klassen Iskander-M und Iskander-K, die für die ukrainische Flugabwehr früher nahezu unerreichbar waren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden sie mit dem US-amerikanischen System Patriot abgefangen: Eines von zwei Systemen, über die die Ukraine heutzutage verfügt, wurde gemeinsam von Deutschland und den Niederlanden gespendet.

Die letzten zwei Tage markieren den Höhepunkt der neuen Welle der russischen Luftangriffe auf Kiew, die Ende April begann. Die ukrainische Hauptstadt hat seitdem 17 größere Angriffe erlebt, bis auf den Montagmorgen alle tief in der Nacht, im Schnitt zwischen 2.00 und 4.00 Uhr nachts. Weil Kiew dank der westlichen Waffenhilfe, neben Patriot insbesondere dank des vielfach gelobten deutschen Systems IRIS-T, zu den aus der Luft bestgeschützten Städten der Welt gehört, konnte Russland trotz Riesenanstrengungen kaum konkrete Erfolge vorweisen. Selbst die unwesentliche Beschädigung eines Patriot-Systems während des Beschuss am 16. Mai kam höchstwahrscheinlich durch Raketentrümmer und nicht durch einen Direkteinschlag zustande.

Krieg: Abwehr der Raketen kostet Ukraine teure Munition

Zum einen aber sorgen selbst fallende Trümmer sowieso nicht nur für Beschädigungen der Autos und Häuser, sondern kosten auch Menschenleben. So sind am Sonntag in Kiew zwei Menschen ums Leben gekommen. Ob es am Montag Opfer gab, wurde noch nicht bekanntgegeben. Zum anderen gehört die Ausschöpfung der teuren Munition für westliche Flugabwehrsysteme sicher zu den Hauptzielen Moskaus. Außerdem ist die Bindung der besten Flugabwehr an Kiew, weil die Hauptstadt so massiv angegriffen wird, durchaus im Sinne des Kremls, da die Ukraine sie nicht woanders verlegen kann.

So kann Russland effektiver erfolgreiche Angriffe auf Ziele wie im westukrainischen Bezirk Chmelnyzkyj durchführen, der zuletzt mehrmals betroffen wurde. Am Ende ist es aber kaum vorstellbar, dass die russische Strategie zu einem anderen Effekt als zur weiteren Stärkung der ukrainischen Flugabwehr führen würde, wie bereits die großangelegten Angriffe auf die Energieinfrastruktur im Herbst und im Winter, die überhaupt erst als Folge etwa die Lieferung von Patriot hatten.

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