Brüssel. Polen und Ungarn haben sich beim EU-Gipfel gegen die geplante Asylreform gestellt. Wie es weitergeht, warum noch mehr Krach droht.

Bis tief in die Nacht suchten Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Kollegen beim EU-Gipfel nach einem Ausweg aus der Krise, am nächsten Morgen unternahmen sie einen weiteren Einigungsversuch. Stundenlang, vergeblich: Die geplante europäische Asylreform hat beim Gipfel in Brüssel zu einem Eklat geführt. Die Regierungschefs von Polen und Un­garn, Mateusz Morawiecki und Viktor Orbán, verhinderten mit ihrem Veto eine Abschlusserklärung zur Migrationspolitik.

Die beiden Premierminister machten damit ihren Protest gegen die geplante Reform deutlich, auf die sich vor drei Wochen die EU-Innenminister mit Mehrheit verständigt hatten – damals gegen das Votum Polens und Ungarns. Orbán sprach von einem „Migrationskrieg“ beim Gipfel und erklärte, beim Widerstand gegen die Reform handele es sich um einen „Freiheitskampf“.

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Provokation aus Polen und Ungarn: Ungewöhnliches Vorgehen in der EU

Polen und Ungarn hatten den Umstand genutzt, dass anders als bei den Innenministern bei EU-Gipfeln das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Statt der Staats- und Regierungschefs legte EU-Ratspräsident Charles Michel eine Erklärung nur in seinem Namen vor – ein ungewöhnliches Vorgehen, das den Riss in der EU deutlich machte.

Allerdings bleibt der Streit zunächst folgenlos: Das Verfahren für das EU-Asylgesetz läuft weiter, der Beschluss der Innenminister bleibt unangetastet, nun steht noch eine Einigung mit dem EU-Parlament aus. Scholz versuchte den Konflikt herunterzuspielen: „Das kommt vor“, meinte er. Der Kanzler verteidigte die geplante Asylreform als „großen Durchbruch und einen großen Erfolg für solidarische Zusammenarbeit.“ Wichtig sei, dass die Verhandlungen mit dem Parlament nun zügig abgeschlossen würden.

Um diesen Asylkompromiss geht es: Eil-Verfahren, Abschiebungen, neue Verteilung

Der Kompromiss sieht nicht nur schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen und zügige Abschiebungen vor. Geplant ist auch die Festlegung, dass theoretisch alle EU-Staaten bei großem Migrationsdruck in einer begrenzten Zahl Flüchtlinge aufnehmen müssen – nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend nach einem Verteilungsschlüssel. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssten Ausgleichszahlungen leisten, geplant sind 20.000 Euro für jeden nicht aufgenommenen Asylbewerber. Vor allem diesen Punkt lehnen Orbán und Morawiecki ab. Morawiecki legte einen Gegenvorschlag vor, nach dem jeder EU-Staat selbst darüber entscheiden sollte, wie er Länder mit besonders hohen Migrationszahlen unterstützt. Die Aufnahme von Schutzsuchenden sollte freiwillig sein – eine Forderung, mit der der Asylkompromiss aufgeschnürt würde und die von Ländern wie Italien oder Griechenland strikt abgelehnt wird.

Mit Schlauchbooten retten Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen Migranten und Flüchtlinge im Mittelmeer von einem Boot in Seenot.
Mit Schlauchbooten retten Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen Migranten und Flüchtlinge im Mittelmeer von einem Boot in Seenot. © dpa | -

Morawiecki und Orbán erneuerten ihre Forderung, wegen der besonderen Bedeutung der Migrationspolitik müsse hier das Konsensprinzip gelten, Mehrheitsentscheidungen seien nicht zulässig. Doch das Gesetzgebungsverfahren mit Mehrheitsentscheid wird trotz Gipfelkrachs fortgesetzt: Eine Einigung zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament wird für Ende des Jahres erwartet, das Gesetz könnte dann im Laufe des Jahres 2024 in Kraft treten – auch gegen den Widerstand Warschaus und Budapests. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte deutlich, dass sie eine solche Einigung weiter für machbar hält.

Polen und Ungarn drohen schon mit Boykott des neuen Asylgesetzes: Was dann?

Allerdings hatten Morawiecki und Orbán im Vorfeld auch schon erklärt, sie würden ein solches Gesetz missachten: Sie würden weder Flüchtlinge über die EU-Verteilung aufnehmen noch Ausgleichszahlungen leisten. Scholz gab sich indes mit Blick auf diese Drohung gelassen, er will von einer solchen Eskalation nichts wissen: „Ich habe ein Grundvertrauen, dass eine in den Verträgen Europas vorgeschriebene Gesetzgebung auch beachtet wird“, sagte er.

Am Rande des Gipfels ließen EU-Diplomaten allerdings keinen Zweifel an den Konsequenzen: Bleiben Polen und Ungarn stur, droht beiden Ländern eine Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen Vertragsverletzung - und in der Folge wohl hohe Strafzahlungen.

Jaroslaw Kaczynski: Noch immer hält er in der PiS-Partei die Strippen in der Hand.
Jaroslaw Kaczynski: Noch immer hält er in der PiS-Partei die Strippen in der Hand. © dpa | Str

In Polen überlegt die nationalkonservative PiS-Regierung, die Parlamentswahl im Herbst mit einer Volksabstimmung über die EU-Asylreform am selben Tag zu verknüpfen. Morawiecki stimmte am Freitag schon mal den Ton für den Wahlkampf an, er zog eine Linie von der Asylreform zu den Krawallen in Frankreich: „Geplünderte Geschäfte, verwüstete Restaurants, brennende Polizeiautos und Barrikaden auf den Straßen - wollen wir so ein Bild in Polen sehen?“

Orbán behauptete, die EU wolle „Ungarn dazu zwingen, Migranten-Ghettos zu errichten“. Er werde „mit Händen und Füßen, mit Zähnen und Klauen“ gegen die geplante Regelung ankämpfen. Er drohte auch gleich noch damit, EU-Gelder für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte weiter zu blockieren.