Berlin. Im modernen Krieg kommt es weniger auf klassische Flotten an. Die Ukraine muss kreativ werden und kann trotzdem einige Erfolge feiern.

Es war eine kurze Nachricht, die Mitte August kam und die viele sowohl in der Ukraine als auch im Westen eher übersehen haben. Rund ein halbes Jahr lang wurden fast 1000 ukrainische Marineinfanteristen in Großbritannien ausgebildet, um nach Angaben des Kiewer Generalstabs amphibische Landungsoperationen etwa mit Schlauchbooten durchführen zu können.

Jede ukrainische Gruppe durchlief ein strenges fünfwöchiges Trainingsprogramm, zu dem die Weiterentwicklung individueller Überlebensfähigkeiten unter Kriegsbedingungen zählte, zudem Nahkampfqualitäten und einheitliche Operationsplanung sowie der Umgang mit den überwiegend von London gelieferten Waffen. Neben der britischen Marine trugen auch Niederländer zum Training bei.

Ukraine: Marineinfanteristen feiern Erfolge gegen Russland

Die Ergebnisse ließen offenbar nicht lange auf sich warten. Schon am 24. August, dem ukrainischen Unabhängigkeitstag, konnte die Ukraine einen offenbar erfolgreichen Landungsversuch auf der Halbinsel Tarchankut im Westen der Krim durchführen. Rund 30 Personen auf vier Booten sollen eine ukrainische Fahne auf einem Gebäude gehisst haben und die von Russland besetzte Krim ohne Verluste wieder verlassen haben. Dass sich die ukrainische Operation nur auf die Symbolik beschränkte, ist allerdings unwahrscheinlich, auch wenn darüber wenig bekannt ist.

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Unmittelbar in der Nähe hatten die Ukrainer am Vortag ein modernes russisches Flugabwehrsystem der Klasse S-400 zerstört – und zwar mit einem für Bodenziele optimierten Seezielflugkörper Neptun aus der Eigenproduktion. Im April 2022 war es die ursprüngliche Seevariante von Neptun, die für die erfolgreiche Senkung des Kreuzers Moskwa, dem Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, verantwortlich war.

Seekrieg im Schwarzen Meer: Vier ukrainische Bohrplattformen zurückerobert

Damit hörten die ukrainischen Erfolge im Schwarzen Meer nicht auf, obwohl Kiew nur auf eine sehr kleine Marine zugreifen kann und damit gegen die große russische Schwarzmeerflotte eigentlich kaum konkurrenzfähig sein sollte. Im modernen Krieg aber kommt es viel weniger auf klassische Flotten an.

Ukrainische Marinefanteristen konnten im Schwarzen Meer jüngst Erfolge verzeichnen.
Ukrainische Marinefanteristen konnten im Schwarzen Meer jüngst Erfolge verzeichnen. © dpa

Während Russland ab Ende August stets über die Zerstörung von ukrainischen Landungsbooten im Schwarzen Meer berichtete, bis auf wenige Ausnahme ohne visuelle Belege dafür, verkündete die Ukraine am 11. September etwa die Rückeroberung von vier ursprünglich ukrainischen Bohrplattformen. Diese hatte Russland im Zusammenhang mit der Krim-Annexion besetzt – obwohl sie sich eigentlich näher an Odessa als an die Krim befinden.

Russland nutzte die Plattformen zur Überwachung des Schwarzen Meeres

Russland setzte diese Bohrplattformen primär nicht für Gasförderung, sondern für militärische Zwecke ein. Aus den gestohlenen Plattformen machte Russland vollständige Militäreinrichtungen. Es installierte dort Radar- und Navigationsgeräte, lagerte Munition und Treibstoff, stationierte Militärs. Schiffe der Schwarzmeerflotte hielten sich ständig in der Nähe auf. Russland nutzte diese Plattformen, um den nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres zu überwachen. Kein Wunder also, dass die Ukraine sie noch im Juni 2022 mit US-amerikanischen Harpoon-Seezielflugkörpern angriff.

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Eine von vier Plattformen wurde im Rahmen des damaligen Schlages zerstört – und sowohl militärisches als auch ziviles Personal hat weitere Plattformen größtenteils verlassen. Mit der Hilfe der Radaranlagen konnte Russland jedoch weiterhin die Lage im großen Teil des Schwarzen Meeres überwachen. Diese haben zur von Moskau angepeilten Blockade der ukrainischen Häfen beigetragen und auch die ukrainische Luftwaffe bei möglichen Schlägen gegen russische Militärinfrastruktur eingeschränkt.

Britische Marschflugkörper der Klasse Storm Shadow und ihr französisches Pendant SCALP werden von Flugzeugen aus gestartet, doch je weiter sich die Flugzeuge dem Schwarzen Meer nähern, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den Russen abgefangen werden könnten. Die Überwachung spielt dabei eine wichtige Rolle.

Russland-Reportagen von Jan Jessen

Deinstallation russischer Radarsysteme führte zu Zerstörung von Landungsschiff

Vollständig kontrollieren werden die Ukrainer die Bohrplattformen kaum. Die ständige Stationierung von Truppen wäre schlicht zu gefährlich. Fakt ist jedoch, dass auf den vom ukrainischen Militärgeheimdienst GUR veröffentlichten Videos nicht nur die erfolgreiche Landung der Ukrainer, sondern explizit die Deinstallierung der russischen Radarsysteme zu sehen ist.

Sehr wohl hat dieser Erfolg schon dazu geführt, dass bereits in der Nacht auf den 13. September ein Marinereparaturwerk in Sewastopol, dem Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, mit Marschflugkörpern der Sorte Storm Shadow angegriffen wurde. Dabei wurden ein großes Landungsschiff und ein U-Boot, mit dem Russland die Ukraine mit Kalibr-Marschflugkörpern beschossen hat, getroffen. Und in der Folgenacht wurde in der Nähe der Stadt Jewpatorija ein weiteres Flugabwehrsystem S-400 zerstört, wieder mit dem für Bodenziele umgebauten Seezielflugkörper Neptun.

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Ohne Landungsschiffe verliert Russland den Zugang zu Truppen im Süden

Es ist davon auszugehen, dass all diese Operationen zumindest indirekt zusammenhängen, wobei der direkte Zusammenhang wahrscheinlicher ist. Zum großen Bild der ukrainischen Seekriegsführung gehört aber auch der Einsatz der Seedrohnen. Die angeblich in der Ukraine entwickelte Drohne Sea Baby, die bis zu 850 Kilogramm Sprengstoff tragen kann, war im Sommer sowohl für den erneuten Schlag auf die Krim-Brücke als auch für die Beschädigung eines weiteren russischen Landungsschiffes nahe Noworossijsk in der Region Krasnodar verantwortlich.

Dass offenbar ausgerechnet Landungsschiffe angegriffen werden, hat laut dem israelisch-ukrainischen Militärexperten Igal Lewin einen tieferen Sinn. „Es geht gar nicht um Angst vor amphibischen Landungen“, betont er. „Sollten die Ukrainer den wichtigen Eisenbahnweg über Tokmak im Bezirk Saporischschja durchbrechen, würden die Russen die Truppen im Süden mit solchen Schiffen über den Hafen von Mariupol versorgen.“

Die Ukraine gehe also präventiv dagegen vor. Dominieren kann sie im Schwarzen Meer faktisch ohne die eigene Flotte kaum. Doch für große Probleme für die Russen sorgt sie dank kreativer Lösungen schon jetzt.

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