Sonneberg/Berlin. Auf einer Lesereise besuchte Gregor Gysi Sonneberg. Der Linken-Politiker kämpfte um Sahra Wagenknecht und Vertrauen in der Bevölkerung. Kommt er 2025 zurück auf die große Politik-Bühne?

Gregor Gysi hat seinen derzeit wichtigsten innerparteilichen Kampf offenbar verloren. Lange hatte er in vielen Gesprächen mit Sahra Wagenknecht versucht, sie bei den Linken zu halten. Sein stetes Argument: Die Linke ist keine Einheitspartei, die Linke ist eine Von-bis-Partei. Aber Sahra Wagenknecht will etwas Eigenes. Einen Verein – Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – hat sie zu diesem Zweck schon im September gegründet. Die entsprechende Partei soll voraussichtlich nach dem Jahreswechsel folgen.

Dass Gysi diesen Weggang für keine gute Idee hält, betonte der altgediente Politiker jüngst auf seiner Lesereise, die ihn auch nach Thüringen führte – nach Apolda und Sonneberg. Volle Säle, viel Beifall. Eine lange Schlange, als in der Pause signiert wird. Der Mann ist – obwohl mittlerweile Mitte 70 – noch immer oder schon wieder der Hoffnungsträger bei all denen, die die SPD zu weit in die Mitte gerückt sehen, die den Grünen misstrauen, mit der CDU sowie der FDP nie etwas am Hut hatten und denen die einfachen Lösungen für komplizierte Problemstellungen missfallen, weswegen sie in der AfD keine Alternative sehen. Gysi stellt fest, dass das Vertrauen von immer größeren Teilen der Bevölkerung in die etablierte Politik und damit in die etablierten Parteien permanent abnimmt. Das gilt auch für die Linke.

Wenn es hart auf hart kommt, tritt er 2025 vielleicht erneut an

Links muss man nicht sein, um Gysi-Fan zu sein. Vieles, was er sagt, entspricht dem, was Menschen in diesem Land in größerer Zahl für den Ausdruck von gesundem Menschenverstand halten – egal, ob es jetzt um Sozialpolitik für Inländer oder Migrationsprobleme geht, ob er über Wirtschaft oder Bildung spricht. Gysi nimmt – gerade im Osten – ganz viele Menschen mit. Und im Westen ist er längst deutlich mehr als ein bestaunenswertes Phänomen. Das war mal anders…

Gregor Gysi ist der Mann, der im Dezember 1989 an entscheidender Stelle mitwirkte, um aus der Staatspartei SED, der die Mitglieder in Scharen davonrannten nach dem Mauerfall, eine linke Kraft zu machen – erst als SED-PDS, dann als PDS und nach der Vereinigung mit der WASG als Linke.

Gysi, der jetzt so oft weit über die Linke hinaus gefeiert wird, wurde in all den Jahren auch oft angefeindet. Und manche Attacke schmerzt ihn heute noch so, dass er darauf hinweist bei seinem Auftritt in Sonneberg: Da waren die Stasivorwürfe. Da war der seinerzeitige Versuch, die PDS in den finanziellen Ruin zu treiben… Nun: So wie er es darstellt, werden es nicht alle sehen. Aus Sicht jener, die fanden, die SED hätte im Winter nach der friedlichen Revolution verboten und das Parteivermögen in Gänze eingezogen werden sollen, haben nie Frieden mit dem Anwalt und Politiker, Jahrgang 1948, gemacht.

Die Entwicklung der linken Partei hatte Tiefen und Höhen. Sie war am stärksten, als sie sich als ostdeutsche Heimatpartei verstand – und damit, wenn auch politisch gänzlich anders verortet, ein wenig so wirkt wie die CSU für Bayern. Mia san mia. Aber, abgesehen davon, dass Bodo Ramelow in Thüringen seit 2014 Ministerpräsident ist und das auch nur mit einer Minderheitsregierung im Genick, stagniert die Entwicklung. Schlimmer noch: Seit Jahren geht es generell betrachtet bergab – und jetzt stellt sich die Frage, ob der freie Fall folgt oder ob eine Talsohle in Sicht ist.

Gysi sagt allerdings mit Blick auf Thüringen und die Wahlen 2024: Ich nehme an, dass der Linke-Landesverband durch die Krise in der Bundespartei nicht so heruntergezogen wird, wie das bei anderen Landesverbänden der Fall ist. In Thüringen sei die Lage anders, weil man hier schon sehr bewusst den Ministerpräsidenten wählt oder nicht wählt. Und Bodo Ramelow genieße großes Vertrauen weit über die Zirkel der Linken hinaus.

Das hat auch viel mit dem Generationswechsel in der Linken zu tun. Nicht jeder überlegt mit 75, ob er 2025 noch einmal zur Bundestagswahl antreten soll. Gysi schon. Vielleicht muss er das sogar, denn dass die Linke überhaupt im Bundestag sitzt, ist Gysi, Sören Pellman und Gesine Lötzsch zu verdanken. Nur weil diese drei jeweils ein Direktmandat errungen haben – also in ihrem Wahlkreis die meisten Wähler überzeugen konnten – sitzt die Linke überhaupt im Bundestag. Ansonsten wäre sie mit 4,9 Prozent bei der Wahl 2021 glatt durchgefallen.

Wenn nun voraussichtlich Anfang 2024 Sahra Wagenknecht eine eigene Partei auf den Weg bringen will und dann mit ihrem Mitstreitern die Fraktion samt Mandaten verließe, würde das massive Einschnitte bedeuten: keine Linke-Fraktion mehr im Bundestag, nur noch eine Gruppe, weniger Geld, Entlassung von Mitarbeitern… Es sei unmoralisch, sagt Gysi klar und deutlich, die Mandate im Bundestag mitzunehmen in jene Gruppe, die sich dann wohl um Wagenknecht bilden wird. Unmoralisch. Aber welche Rolle spielt schon Moral in der Parteipolitik?

Es mangelt an Austausch von alt und jung, Ost und West

Dass es so kam, wie es jetzt ist, hat aus Gysis Sicht damit zu tun, dass es keinen richtigen Austausch mehr gab zwischen den jungen und den älteren Mitgliedern, auch nicht zwischen den Ost- und den West-Mitgliedern. „Zudem haben wir der AfD auch Freiräume gelassen, die wir nicht hätten lassen dürfen“, macht er deutlich, was zu einem weiteren Schwund der Anhängerschaft geführt habe. Er kann auch nicht denen beipflichten, die den Abgang von Wagenknecht geradezu erhofften: „Wenn man eine unbequeme Person los ist, ist man ein Problem noch nicht los“, sagt er.

Und welche Erfolgsaussichten sieht er für eine Wagenknecht-Partei? Sie begehe den Fehler, programmatisch drei verschiedene Punkte anzubieten, nämlich erstens eine Flüchtlingspolitik wie die AfD, Wirtschaftspolitik wie unter Ludwig Erhard und Sozialpolitik ein bisschen so wie die Linken. Damit lassen sich aus seiner Sicht ein paar Wahlerfolge erringen. Doch dann werde sich zeigen, dass die Breite der Standpunkte für Friktionen sorgen.

Und was bedeutet die aktuelle Schieflage für die Moral der linken Truppe? Gysi sagt: „Immer wenn meine Partei in der Krise ist, entwickelt sie Leidenschaft im Kampfgeist. Ich ja auch!“

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