Erfurt. Der stärkste Geburtenrückgang in Erfurt seit 20 Jahren bedroht besonders Kitas in kleinen Ortsteilen, zum Beispiel in Waltersleben. Doch der Kindergarten „Pinocchio“ wird nicht aufgegeben.

Die Zahl der Geburten in der Stadt Erfurt ist auf dem tiefsten Stand seit 20 Jahren angelangt. 1647 Kinder wurden – nach Angaben des kommunalen Statistikamts – im Jahr 2022 geboren. 2002 waren es 18 Kinder weniger: 1629. Allerdings zählte Erfurt damals 9003 Einwohner weniger (insgesamt 196.517).

Der Geburtenrückgang hat gravierende Folgen: zum Beispiel für kleine Kindergärten, vor allem in kleineren Ortsteilen, zum Beispiel in der Kita „Pinocchio“ im Erfurter Ortsteil Waltersleben am äußersten Südrand der Landeshauptstadt.

Ein deutlicher Hinweis darauf, dass der erhebliche Geburtenrückgang in der Stadt Erfurt einen besonders negativen Effekt auf Kitas in kleineren Ortsteilen hat, ergibt sich – nach Angaben der städtischen Pressstelle – aus statistischen Erhebungen, die sich auf die gesamte Anzahl der betreuten Kinder in den 109 Erfurter Kitas beziehen: Im Juli 2021 waren dies 9.811 Kinder, im Juli 2022 sogar 9.849, während im Juli 2023 die Anzahl von 2021 unterboten wurde. 2023 wurden noch 9.748 Kinder in sämtlichen Erfurter Kitas betreut.

Komplett entgegengesetzt verlief die Entwicklung in Waltersleben.

Jedem zweiten Erzieher könnte die Entlassung drohen

„In diesem Jahr erlebt unsere Kita einen extremen Rückgang an Kindern“, sagt Ortsteilbürgermeisterin Bianca Rudolph. „Zwei der vier Erzieher könnte in diesem Jahr die Entlassung drohen. Sie müssen um ihre Existenz bangen.“

Die 215 Männer und 209 Frauen, die – Stand 2022 – in Waltersleben leben, sind offenkundig nicht der Grund des Problems. 2022 wurden in dem Ortsteil, in dem seit 2014 konstant rund 420 Einwohner registriert sind, sechs Kinder geboren. Niemals seit 1995 kamen in Waltersleben in einem Jahr mehr als sechs Kinder auf die Welt.

Plötzlich gibt es in Erfurt wieder freie Kita-Plätze

Der Keim des Kummers in Waltersleben liegt jenseits der eigenen Gemarkung: in der Großstadt Erfurt. Dort wurde eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Geburteneinbruch in Erfurt; plötzlich zahlreiche freie Kita-Plätze in der Metropole Thüringens – ein Zustand, den es seit etlichen Jahren nicht gab.

„Früher gab es keine Kita-Plätze in Erfurt, die Eltern brachten ihre Kinder deshalb auch zu uns“, sagt Ortsteilbürgermeisterin Bianca Rudolph. „Jetzt sparen sich die Eltern die Anfahrt.“ Sie suchen – und finden oftmals – einen Kita-Platz in der Nähe ihrer Wohnung.

Nach Informationen dieser Zeitung gehen Statistiker bereits seit Jahren von einem Geburtenrückgang von circa 30 Prozent aus – bezogen auf ganz Thüringen. Die Annahme, Kinder von Migranten würden die Lücke füllen, hat sich nicht bewahrheitet.

„Wir wollen sagen: Bei uns ist es sehr schön. Kommt zu uns!“

„Wir haben keine Flüchtlingskinder“, heißt es aus Waltersleben. „Wie man hört, ist die Anzahl auch in anderen Kindergärten gering. Wo es Flüchtlingskinder gibt, haben sie sich gut eingefunden.“ Diese Entwicklung verwundert in Waltersleben, wo lediglich sieben Ausländer leben (Stand 2022). Denn die Anzahl der Migranten in Erfurt hat sich von 2015 (12.793) bis 2022 (24.833) annähernd verdoppelt. Die Gesamtbevölkerung in der Landeshauptstadt ist in diesem Zeitraum von 210.271 auf 215.520 Einwohner angewachsen.

In Waltersleben – mit 424 Einwohnern, entsprechend der Bevölkerungsanzahl, der siebtkleinste der 53 Erfurter Ortsteile – gibt man sich dennoch nicht geschlagen. „Wir kämpfen. Wir sind bemüht, die Anzahl unserer Kita-Kinder zu erhöhen“, sagt Ortsteilbürgermeisterin Rudolph. „Wir wollen zeigen, dass unsere Kita ,Pinocchio‘ etwas Besonderes ist. Wir wollen sagen: Bei uns ist es sehr schön. Kommt zu uns!“

Omas, Opas und auch Jäger vermitteln Wissen an die Kinder

Der Lockruf für die Kita findet im Kleinen statt: am 1. Mai mit dem Familien-Flohmarkt, am 1. Juni beispielsweise mit dem Sommerfest für das gesamte Dorf. Darüber hinaus bieten Großeltern regelmäßig Vorlesenachmittag an, ebenso Bastel- oder Werknachmittage. Wie man backt und kocht, auch das wird mit den kleinen „Pinocchionisten“ eingeübt. An den Waldtagen der Kita kommt sogar ein Jäger vorbei und begeistert die Kinder sowohl für den Wald als auch für dessen Bewohner. Bianca Rudolph: „Der Jäger bringt den Kindern auch bei, wie man Tierspuren liest.“

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