Gera. OTZ-Debatte mit Kandidaten, die am 26. Mai zur Wahl stehen. Diskussion reichte vom A1-Formular über den Fachkräftemangel bis hin zum Brexit.

Die Debatte steht unter positiven Vorzeichen. Dafür sorgt Christopher Gosau. Der Referatsleiter für Europäische Wirtschaftspolitik des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hält das Impulsreferat, stellt eine ziemlich einfache Frage: Wer würde bei einem Referendum für den Verbleib Deutschlands in der Europäischen Union stimmen? Nahezu 100 Arme gehen nach oben. Die übergroße Zahl der Anwesenden plädiert für den Verbleib Deutschlands in der EU – abgesehen von zwei Gästen.

Zahlreiche Interessierte kamen gestern Abend zur Podiumsdiskussion der IHK Ostthüringen in Kooperation mit OTZ und dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Foto: Peter Michaelis
Zahlreiche Interessierte kamen gestern Abend zur Podiumsdiskussion der IHK Ostthüringen in Kooperation mit OTZ und dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Foto: Peter Michaelis © zgt

Das Foyer des Bildungszentrums der IHK Gera erstrahlt europafreundlich. Für internationale Märkte wird auf Aufstellern geworben. Auch Ausbildung als Zukunftssicherung steht im Mittelpunkt. Unter diesen Vorzeichen beginnt ein Abend von Industrie- und Handelskammer (IHK) Gera, Bundesverband für mittelständische Wirtschaft (BVMW) und Ostthüringer Zeitung, der eine Vielzahl von Themen behandelt, die rund um Europa eine Rolle spielen. Von Wut auf Brüssel ist keine Spur. Auch wenn Dinge besprochen werden, die nicht so gut laufen.

Dass nicht alle Parteien, die in Thüringen einen Kandidaten zur Europawahl stellen, einen Platz auf dem von Chefredakteur Jörg Riebartsch moderierten Podium gefunden haben, liegt daran, dass die AfD eine IHK-Einladung dazu unbeantwortet ließ und die Linke wegen Terminfülle absagte.

Marion Walsmann (CDU) und Babette Winter (SPD) haben sich nach Gera aufgemacht. Sie stehen in Thüringen an den Spitzen ihrer Parteien für die Wahl in zwei Wochen und sind wohl die bekanntesten Gesichter, die die Thüringer in zwei Wochen auf dem Wahlzettel wiederfinden.

Patrick Frisch aus dem Saale-Holzland-Kreis, der für die FDP auf Platz 67 der Bundesliste kandidiert, diskutiert ebenfalls mit. Er vertritt Robert-Martin Montag. Der Erfurter steht auf dem aussichtsreichen Listenplatz 7 seiner Partei, hatte aber leider keine Zeit. Auch Wirtschaftsexperte Christopher Gosau ist an der Podiumsdebatte beteiligt.

Dort wird durch viele Themen geritten – das A1-Formular beispielsweise gehört zu den Problemfällen der EU. Arbeitnehmer müssen das bei dienstlichen Auslandsreisen innerhalb der EU vorweisen. 40 Prozent der Anfragen an den Handelskammertag, sagt Christopher Gosau, drehten sich um dieses Formular. Gosau bezieht das auf die IHK München, von der er die Zahl konkret kenne. Auch in Thüringen, darüber hatte unsere Zeitung geschrieben, haben viele Unternehmer Probleme mit dieser bürokratischen Hürde. „Unternehmen berichten uns, dass es mittlerweile einfacher sei, einen Arbeitnehmer auf eine Dienstreise in die USA zu senden, als in einen Mitgliedsstaat der Union“, so Gosau.

Aufmerksamer Zuhörer: Paul Metzmacher aus Weida schreibt seine Seminarfacharbeit zum Brexit und Europa. Foto: Peter Michaelis
Aufmerksamer Zuhörer: Paul Metzmacher aus Weida schreibt seine Seminarfacharbeit zum Brexit und Europa. Foto: Peter Michaelis © zgt

Abschaffen? Was ist mit Lohndumping? Die Frage treibt die Sozialdemokratin in der Runde um, die Kritik an der EVP und der liberalen Fraktion im Parlament äußert. Mit denen sei eine Digitalisierung und damit eine Vereinfachung nicht zu machen gewesen, sagt Babette Winter. Marion Walsmann widerspricht. „Eine einheitliche Sozialversicherungsnummer geht uns zu sehr in Richtung Sozialunion.“ Patrick Frisch macht keinen Hehl daraus, dass die Liberalen das Thema am liebsten gänzlich in den Papierkorb verbannen würden. „Man muss den Unternehmern einfach stärker vertrauen“, sagt er.

Vor der Frage von Dienstreisen steht aber die Ausbildung. Woher sollen die Fachkräfte kommen? Für die Liberalen ein Thema, das einer klaren Antwort bedarf. Patrick Frisch sagt: „Die duale Ausbildung soll ein Exportschlager für die europäische Union werden.“ Dass das den Fachkräftemangel in Deutschland allerdings nicht behebt, darüber herrscht Konsens in der Debatte. Babette Winter macht deshalb klar, dass man in Deutschland ein qualifiziertes Zuwanderungsgesetz brauche – ganz unabhängig von Asyl.

Brexit lässt keine einfache Antwort zu

Eines der wichtigsten Themen, welches die europäische Bühne nach wie vor bestimmt, ist der Brexit. Yes? No? Was wollen die Briten? Eine Bitte aus dem Publikum, Klarheit „in das Gezeter um den Brexit“ zu bringen, sorgt für mildes Lächeln in der Runde. So einfach, wie das klingt, ist es eben nicht. Babette Winter, die erst vor einigen Monaten in das aktuelle EU-Parlament nachgerückt ist, macht deutlich, dass es ihr schwer gefallen ist, einer neuerlichen Verlängerung zuzustimmen, die den Briten mehr Zeit für einen Deal gibt. Sie zeigt sich überzeugt, dass in zwei Wochen deutlich wird, wie die Briten derzeit zum „Brexit“ stehen. „Das wird indirekt ein zweites Referendum.“

Die Liberalen gehen einen forscheren Weg. „Den Vertrag als Grundlage für ein zweites Referendum“ wünscht sich Patrick Frisch. Denn dann wüssten die Briten, was sie erhielten – und würden Farbe bekennen.

Marion Walsmann bedauert, dass die Briten nicht gewohnt seien, Kompromisse zu finden. Über die erneute Verlängerung habe sie sich geärgert.

Dass Europa dennoch nicht auseinandergebrochen ist, dass sehen die Diskutanten als positives Signal. Der Abend endet, wie er begonnen hatte – mit einem Plädoyer für Europa. Das dürfen nun aber die Diskutanten vortragen, nachdem das Publikum zu Beginn einhellig für einen Verbleib Deutschlands in der EU gestimmt hatte.

Marion Walsmann will die Distanz zwischen Thüringen und Brüssel abbauen. Die anderen beiden Kandidaten nennen Europa wahlweise eine „Erfolgsgeschichte“ (Frisch) und „Riesengeschenk“ (Winter), dass es zu verteidigen gelte.