Saalfeld. Sich im Ernstfall selbst verteidigen können: Das können Interessierte beim Esdo lernen. Doch es gehört mehr dazu, als gezielte Tritte und Schläge ausführen zu können.

Die Hälfte der Gruppe trägt ein weißes T-Shirt, eine weiße, weite Hose und ist barfuß. Nur ihre Gürtel haben verschiedene Farben. Der Rest hat funktionelle Sportkleidung und Socken an – in schwarz. In der Sporthalle „Grüne Mitte“ in Saalfeld findet mehrmals die Woche Esdo-Training statt. An diesem Montag handelt es sich um ein Probetraining, bei denen vier Neulinge gemeinsam mit fünf Esdo-Schülerinnen und Schülern die Sportart ausprobieren können. Der Trainingsraum mit der großen Spiegelfront weckt Erinnerungen an Kurse in der Tanzschule. Doch die große, quadratische Matte auf dem Boden verrät, dass es an diesem Abend um etwas anderes geht.

Esdo ist Selbstverteidigung und kein Kampfsport

„Auf eins führt ihr einen Schlag mit der linken Hand aus, auf zwei einen mit der rechten“, gibt Trainerin Franzi Enke vom 1. SSV Saalfeld ihre Anweisungen. Dazu kommen auf drei ein Tritt mit dem vorderen Bein, auf vier ein Tritt mit dem hinteren Bein. Auf fünf geht es in die Hocke. Das Rattern in den Köpfen der im Kreis stehenden Teilnehmenden lässt sich in den Gesichtern ablesen. So viel zur Theorie.

Eins. Schlag mit links. Fünf. Hocke. Zwei. Tritt mit dem vorderen Bein. Oder war das ein Schlag mit der rechten Hand? Die Verwirrung steigt und beschämtes Gelächter ertönt. Innerlich kommen erste Zweifel auf, dass das mit dem Probetraining eine gute Idee war. Handelt es sich bei den Ausführungen gerade mal um die Aufwärmübungen.

Was ist Esdo?

Bei Esdo handelt es sich um eine Mischung aus Gesundheits- und Selbstverteidigungssport. Esdo-Schülerinnen und Schüler erlernen die Techniken für Fußtritte, Fauststöße, Handkantenschläge, Haken, Nervendruckpressen oder Würfe. Sie lernen aber auch, Waffen richtig abzuwehren, oder wie sie mit spezieller Schutzausrüstung umgehen müssen. Der Grundgedanke ist, sich im Ernstfall auch gegenüber körperlich überlegenen Gegnern effektiv verteidigen zu können. Dafür beinhaltet Esdo auch Theorie-Unterricht, in dem das Notwehrrecht vermittelt wird.

Beim Esdo geht es darum, sich im Ernstfall zur Wehr setzen zu können – ein Gedanke, der diesen Sport gerade für Frauen attraktiv machen kann. Es lässt sich nicht immer vermeiden, nachts allein unterwegs zu sein. Zu wissen, sich im Ernstfall verteidigen zu können, kann beruhigend sein. Doch dafür braucht es nicht nur die richtige Technik, sondern auch Mut. Und dieser wurde gleich in der ersten richtigen Übung auf die Probe gestellt.

„Euer Partner läuft auf euch zu“, erklärt Franzi Enke, während sich die Gruppe in Zweier-Teams aufteilt und entlang der Kanten der Matte einander gegenüber stellt. „Wenn ihr das Gefühl habt, er kommt euch zu nahe, teilt ihr ihm das mit.“ In der Praxis heißt das, einen beherzten Schritt auf den Gegenüber zuzumachen, den Arm mit der Handfläche nach vorn auszustrecken und laut „Stopp!“ zu rufen. Das bedeutet aber auch, Scham und Hemmungen abzulegen: „Stopp!“ Fast zu spät. Die Handfläche hängt vor der Nase des Partners in der Luft.

Ruhe und Konzentration sorgen für präzise Treffer

Es ist leicht, die Geschwindigkeit zu unterschätzen, mit der der Gegenüber auf einen zukommt. Nicht zu viel darüber nachdenken. „Stopp!“ Beim nächsten Mal gelingt es besser, ihn früher zu bremsen. Durchatmen, allen Mut zusammennehmen, und noch einmal. Mit jeder Runde wird der Abstand des Partners angemessener und das „Stopp!“ fester und deutlicher. Aus der forschen Bewegung formt sich eine klare Botschaft: Du gehst zu weit.

Doch einen Kontrahenten effizient auf Abstand zu halten, ist nicht alles, was beim Esdo vermittelt wird. In kleinen Gruppen geht es an die ersten geführten Tritte. „Passt auf, dass ihr nicht die Zehenspitzen nach oben streckt. Ihr trefft mit dem Spann“, weist die Trainerin an. Ein Mitglied aus jeder Gruppe zieht sich Handschuhe mit runden Kissen an den Handflächen an. Ein weißer Kreis in der Mitte zeigt an, wo genau der Treffer landen soll. Durch den Kopf schießt sofort: „Das kann doch nicht so schwer sein“, bevor der erste Versuch direkt am Kissen vorbeigeht.

Also gibt es Tipps der Esdo-Schüler. Erst das Bein angewinkelt hochziehen, dann für den Tritt ausstrecken. Der erste Versuch klappt, auch wenn der Fuß eher das Kissen streichelt und nicht wie bei den Esdo-Schülern mit Kraft und einem Klatschen das Kissen trifft. Das Ganze funktioniert nur mit Ruhe und der nötigen Konzentration, ansonsten geht ganz schnell die Präzision des Trittes flöten.

An diesem Montagabend werden grundlegende Tritte und Schläge geübt. Auch, wie man sich am besten aus einem Griff ums Handgelenk befreien kann. Am Ende der eineinhalb Stunden wird Aufstellung vor der Trainerin bezogen und sich auf die traditionelle Weise mit Respekt verabschiedet. Die ersten Esdo-Versuche waren eher holprig. Trotzdem haben sie eine Idee davon vermittelt, welche Sicherheit regelmäßiges Training einem auf dem nächsten nächtlichen Heimweg geben kann.