Berlin. Der Präsident der deutschen Notenbank gilt als scharfer Kritiker der lockeren EZB-Politik. Geht er nur aus „persönlichen Gründen“?

Es ist ein Paukenschlag für die künftige Ampel-Bundesregierung von Olaf Scholz (SPD): Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat am Mittwoch überraschend seinen Rückzug angekündigt. Mit ihm geht einer der wichtigsten Warner vor einer starken Inflation und einer der schärfsten Kritiker der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die Bundesregierung bedauerte die Entscheidung und lobte Weidmanns außerordentliches Engagement, FDP-Chef Christian Lindner meinte: „Er stand für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, deren Bedeutung angesichts von Inflationsrisiken wächst.“

Seit zehn Jahren ist Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank. Zum Jahresende zieht er sich zurück.
Seit zehn Jahren ist Jens Weidmann Präsident der Deutschen Bundesbank. Zum Jahresende zieht er sich zurück. © picture alliance/dpa | Arne Dedert

Vertrag vorzeitig zum Jahresende aufzulösen

Weidmann erklärte in einem Brief an die Mitarbeiter, er habe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gebeten, seinen Vertrag vorzeitig zum Jahresende aufzulösen. Der Entschluss habe persönliche Gründe und sei ihm nicht leichtgefallen, betonte der 53-jährige promovierte Volkswirt.

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich.“

Enger Berater von Bundeskanzlerin Merkel

Weidmann hatte die Bundesbank seit 2011 geleitet, zuvor war er enger Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung im Kanzleramt gewesen. Dass er jetzt zeitgleich mit Merkel den Hut nimmt, ist kein Zufall.

In der Bundesbank hieß es, Weidmann habe bewusst einen Zeitpunkt kurz nach der Bundestagswahl ausgesucht. Die politische Zäsur in Berlin mit der Bildung einer neuen Bundesregierung sei ein guter Zeitpunkt für den Wechsel an der Spitze der Notenbank; ein Rückzug schon vor dem 26. September hätte dagegen große Irritationen im Wahlkampf ausgelöst, so die Befürchtung.

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Offenkundig frustriert von der Entwicklung der EZB

Weidmanns Vertrag war erst 2019 um acht Jahre verlängert worden. Einen unmittelbaren politischen Anlass hat der Rücktritt zwar wohl nicht. Aber Weidmann ist offenkundig frustriert von der Entwicklung, die die Europäische Zen­tralbank nimmt, ohne dass er deren Kurs entscheidend prägen kann.

2019 sah es vorübergehend so aus, dass Weidmann EZB-Chef werden würde. Doch Merkel hatte andere Prioritäten. Sie und die anderen EU-Regierungschefs entschieden sich am Ende dagegen.

Qua Amt im EZB-Rat an allen wichtigen Beschlüssen beteiligt

In dem großen Personalpaket, das ein Gipfel der Regierungschefs schnürte, fiel der EZB-Chefposten an die Französin Christine Lagarde, Deutschland durfte dafür mit Ursula von der Leyen die Präsidentin der EU-Kommission stellen. Weidmann hatte sich da schon längst mit seinen Warnungen vor der lockeren Geldpolitik in der Eurozone viele Gegner gemacht.

Der Bundesbank-Präsident ist qua Amt im EZB-Rat an allen wichtigen Beschlüssen der Europäischen Zentralbank beteiligt – also etwa an der Festlegung von Leitzinssätzen oder Stützungskäufen. Beide Banken haben ihren Sitz in Frankfurt am Main.

Von EZB-Präsident Mario Draghi beschimpft

Weidmann warnte immer wieder energisch davor, die Inflationsgefahr in der Eurozone zu unterschätzen. Er hatte auch vergeblich für ein Ende der umstrittenen gigantischen Anleihe-Kaufprogramme geworben, mit denen die EZB seit Jahren Unternehmen und hoch verschuldeten Euro-Ländern unter die Arme greift.

Der frühere EZB-Präsident Mario Draghi beschimpfte ihn deshalb als „Nein zu allem“. Die Rolle als exponierter Kritiker hatte Weidmann offenbar über die Jahre zermürbt, in Bundesbank-Kreisen hieß es, die zehn Jahre seien sehr anstrengend gewesen.

Mit Lagarde besser verstanden als mit Draghi

Weidmann deutete das nur vorsichtig an: Er dankte Lagarde für die „offene und konstruktive Atmosphäre in manchmal schwierigen Diskussionen“. Lagarde, mit der sich Weidmann besser verstand als mit Draghi, bedauerte die Entscheidung: Sie nannte Weidmann einen „guten persönlichen Freund, auf dessen Loyalität ich immer zählen konnte“.

Weidmann erklärte, ihm sei es immer wichtig gewesen, dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibe.

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Rückzugs-Ankündigung mit Warnungen und Empfehlungen

So versah er seine Rückzugs-Ankündigung mit allerlei Warnungen und Empfehlungen: Er verwies etwa darauf, dass die EZB auch auf sein Drängen beschlossen habe, das Inflationsziel von zwei Prozent nicht gezielt zu überschreiten. Jetzt komme es darauf an, wie diese Strategie durch konkrete geldpolitische Entscheidungen gelebt werde, mahnte der Bundesbank-Präsident.

Es werde entscheidend sein, nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch mögliche Inflationsgefahren nicht aus den Augen zu verlieren. Seine Mitarbeiter rief er dazu auf, das „wichtige stabilitätspolitische Erbe der Bundesbank“ zu wahren.

Spekulationen über die mögliche Nachfolge

Wer sein Nachfolger wird, ist unklar. Der Bundesbank-Präsident wird vom Bundespräsidenten bestellt, das Vorschlagsrecht hat aber die Bundesregierung. Auf die geplante Ampel-Koalition kommt also schnell eine wichtige Personalentscheidung zu.

Am Mittwoch wurden vor allem der Scholz-Vertraute und Finanz-Staatssekretär Jörg Kukies genannt, DIW-Chef Marcel Fratzscher, Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Maria Buch und die Wirtschaftsprofessorin Isabel Schnabel. Schnabel gehört seit 2020 dem EZB-Direktorium an und berät derzeit als Wirtschaftsweise die Bundesregierung.