Mühlhausen/Jena. E-Bikes werden immer beliebter. Lieferprobleme wegen großer Nachfrage im Rad-Handel

Guido Kunze hat im Sortiment seines Ladens ungefähr 50 Räder. Und Hunderte Bestellungen. Für Kompletträder, aber auch für Einzelteile und Zubehör. „Ja, es gibt teilweise Lieferprobleme“, konstatiert der Extremsportler aus Mühlhausen. Die enorme Nachfrage würde zu Engpässen führen. „Zum Glück“, so der 55-Jährige, helfe man sich in der Branche oft gegenseitig.

Der Kauf-Boom hält im Freistaat 2021 unvermindert an. „Je näher der Frühling rückt, desto zahlreicher werden die Anfragen“, stellt Guido Kunze fest. Auch für Inspektionen und Reparaturen. Gerade in Pandemie-Zeiten ersetzt das Rad immer häufiger öffentliche Verkehrsmittel. Zudem bietet es die Möglichkeit, individuell Sport zu treiben. Und da Urlaubsträume platzen, Inlandstouren statt Auslandsreisen geplant werden, wird Geld in Räder investiert.

Millionen von Euro für ein dichtes Radnetz

Klare Kante: Unabhängig mit dem Rad

Viele Hersteller produzieren in Asien und liefern nach Auftragslage

Fahrradindustrie und -handel sind so Gewinner der Corona-Krise, aber sie können die Wünsche beim Verkauf nicht grenzenlos erfüllen. Auch nicht in den Werkstätten, wo Komponenten wie Bremsen, Gabeln oder Schaltungen als Folge des Lockdowns oftmals schwer erhältlich sind. „Die meisten Hersteller sitzen in Fernost“, erklärt Guido Kunze. „Und die Begehrlichkeiten sind weltweit hoch.“ Gerade kleine Läden mit wenig Stellmöglichkeit seien davon abhängig, nach Auftragslage beliefert zu werden.

Hans Kemter aus Jena zählt mit einer Verkaufs- und Lagerfläche von jeweils rund 600 Quadratmetern zu den großen Geschäften und ist zertifizierter Experte der Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft. „Wir haben ungefähr 2000 Räder im Angebot. In jedem Segment. Unser Vorteil ist, dass wir Firmen haben, die für uns bauen.“ Doch auch der Chef des Familienunternehmens, dessen Tradition bis ins Jahr 1928 zurückreicht, gesteht: Der Kunde müsse bei einem jetzigen Kauf auf den derzeitigen Bestand zurückgreifen – Bestellungen könnten erst 2022 erfüllt werden. Dagegen sind Werkstatt-Termine kurzfristig buchbar.

Der Umsatz bei den Rad-Händlern stieg 2020 fast überall mindestens um das Doppelte. 5,04 Millionen Fahrräder und E-Bikes wurden im vergangenen Jahr deutschlandweit verkauft. 16,9 Prozent mehr als 2019, so der Zweirad-Industrie-Verband. Treiber dieser Entwicklung sind die E-Bikes. Mit 1,95 Millionen Stück beträgt der Anteil der sogenannten Pedelecs, die eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h erreichen, 38,7 Prozent. Das sind 43,4 Prozent mehr als 2019.

Die hohe Nachfrage und das knappe Angebot lassen allerdings die Gesetze der Marktwirtschaft greifen, die Kosten für Räder und Ersatzteile sind teilweise bis zu 15 Prozent gestiegen. Im vergangenen Jahr betrug der Durchschnittspreis für ein Fahrrad 630 Euro, für ein E-Bike 2975 Euro.

Mittelfristig rechnet die Branche damit, dass jedes zweite neue Fahrrad einen Motor haben wird. E-Bikes werden mittlerweile in jedem Segment verkauft: egal ob Trekking- oder Cityrad, Mountainbike oder sogar Rennrad. „Sie sind ein Segen“, so Guido Kunze, der selbst aber auf den Motor-Antrieb verzichtet. „Noch bin ich ohne schneller“, stellt er lächelnd fest.

Doch Ehefrau Gaby und die beiden Söhne seien diesbezüglich inzwischen ausgestattet. Ohnehin wären die E-Bikes für Familien „wunderbar, weil nun viele gemeinsame Erlebnisse möglich sind.“ Auch Hans Kemter ist deshalb begeistert vom Trend, der „nicht mehr zu stoppen ist“.

Mit elektrischem Rückenwind verschwinden Leistungsunterschiede, sogar bergige Anstiege können problemlos gemeistert werden. Und vorbei sind die Zeiten von klobigen Akkus unter dem Gepäckträger.

Beim Kauf eines E-Bikes muss meist viel beraten werden

Die Fahrradbauer verwenden hochwertige Hydraulik und Elektronik, wollen mit dieser auch die Unfallzahlen durch Unterschätzen der Geschwindigkeit verringern. „Der Beratungsbedarf ist hoch“, so Hans Kemter, der das Geschäft mit Ehefrau Manuela und Sohn Falko führt, unterstützt von drei festangestellten Mitarbeitern und einem Lehrling.

Dass immer mehr Radfahrer unterwegs sind, erfordert laut Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club weitere Investitionen in Infrastruktur und Sicherheit. Das gilt für touristische Fernstrecken, aber auch für kleinere Wege in sowie abseits von Städten und Gemeinden.

Und der Rad-Boom wird anhalten, denn mittlerweile ist auch ein zunehmendes Interesse im Bereich Leasing spürbar – Potenzial gibt es beispielsweise in neuen Segmenten wie dem der Lastenräder. Aber, so Guido Kunze, man sollte nicht vergessen, dass das Fahrrad seit 200 Jahren vor allem deshalb so erfolgreich ist, weil es ein einfaches Produkt ist. Das sollte auch so bleiben, wünscht sich Hans Kemter. Mit oder ohne Motor.