Berlin. Betrüger gaukeln online mit erfundenen Identitäten und geklauten Fotos Liebe vor und wollen Geld. Opfer werden häufig stigmatisiert.

„Wie kann man nur so doof sein?“ Das, sagt Helga Grotheer, müssten sich Opfer von sogenannten Romantik-Scammern (scam = Betrug) oft anhören, wenn sie sich jemanden anvertrauten. „Meistens schweigen sie genau deswegen. Sie machen sich ja denselben Vorwurf.“

Die Frührentnerin aus Bremen leitet ein Forum für Frauen, die auf die virtuelle Variante des Heiratsschwindlers hereingefallen sind. Die Betrüger erwischen ihre Opfer dort, wo sie am verletzlichsten sind: im Innern ihres Herzens. Sie gaukeln in sozialen Medien oder auf Dating-Portalen mit erfundenen Identitäten und geklauten Fotos Liebe vor und wollen Geld. 4000 Betroffene haben sich bereits auf Romanticsambater.de vernetzt. „Im Corona-Jahr hat sich die Zahl verdoppelt“, sagt die 59-Jährige.

Romantik-Betrüger: Opfer suchen in Online-Foren Trost

Die Opfer tauschen sich aus, warnen und wehren sich – indem sie den Betrügern eine Dosis ihres eigenen Gifts verpassen. So lassen sie sich zum Schein auf sie ein, spielen die Verliebten und sammeln Daten, die sie der Polizei übergeben. Auch zu Geldübergaben haben sich die Forum-Mitglieder bereits getroffen. „Das hat schon zu rund 60 Verhaftungen geführt“, berichtet Grotheer.

Renate S. (53) aus dem Ruhrgebiet ist ein Neuzugang in dem Forum. „Genau mein Typ!“, denkt sie, als sie auf Lebensfreunde.de, einem Portal für „Freundschaft und Partnersuche ab 50“, von „Andrew“ angeschrieben wird: grau meliertes Haar, gewinnendes Lächeln. Ein Bauleiter aus den USA, der gerade in Dubai arbeitet. Witwer, eine erwachsene Tochter.

Man chattet über Wochen, er interessiert sich für sie und ihr Leben, macht Komplimente. „Er stellte mir so viele Fragen, nahm an allem Anteil. Ich fühlte mich wahrgenommen wie lange nicht. Ich schrieb ihm: ,Erzähl doch mal mehr von dir.‘ Und dann sprachen wir doch wieder über mich.“

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Betrüger: Eine Woche vor dem ersten Treffen braucht er Geld

Sie verabreden sich in Düsseldorf. Eine Woche vor dem Termin dann die Nachricht: Er sei vom Baugerüst gefallen, liege schwer verletzt im Krankenhaus. Wenig später schreibt er dann, er habe ein Problem mit seiner Krankenversicherung und brauche dringend Geld. „Er schwor und schwor und schwor. Ich freute mich, dass ich helfen konnte.“

Ein angeblicher Freund von „Andrew“ ruft Renate von Deutschland aus an, erklärt die Not des Bauleiters, auch ein angeblicher Arzt meldet sich. Renate überweist „Andrew“ 25.000 Euro auf das deutsche Konto einer angeblichen Freundin. „Ich habe diese Frauen immer verurteilt“, schreibt S. „Ich kann es nicht fassen, dass ich selber hereingefallen bin.“

Romantik-Scammer: Opfer werden vom Umfeld stigmatisiert

Nicht nur, dass die Betroffenen mit sich selbst hart ins Gericht gehen. „Sie werden auch von ihrem Umfeld stigmatisiert. Aber sie sind nicht dumm. Sie waren verliebt. Und Liebe macht blind“, sagt Grotheer. Mit Senioren, die auf den Enkeltrick hereinfallen, habe man Mitgefühl. „Für eine mittelalte Frau, die Liebe sucht, gibt es nur Hohn.“

„Unter den Opfern sind Professoren, Ärztinnen, Anwältinnen“, sagt Kriminalrätin und Betrugsexpertin Ilona Wessner vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt. Zunehmend gerieten Männer in die Fänge der Betrüger. Wenn man glaubt, so etwas könnte einem niemals passieren, sollte man sich nur einmal an die drei leichfertigsten Dinge erinnern, die man je aus Liebe getan hat. Meist ist man danach nicht mehr so sicher.

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Die Gauner nutzen häufig Fotos unbekannter Schauspieler

In den USA zählte das FBI 2019 bereits 19.000 Anzeigen und einen Gesamtschaden von 475 Millionen Euro. Scham sei der Grund, dass in Deutschland noch relativ wenige Opfer eine Anzeige aufgeben, sagt Wessner. „Wir setzen daher auf Präventionsarbeit.“ Lediglich Strohmänner könnten gelegentlich dingfest gemacht werden. „An die Drahtzieher kommen wir nicht heran – die sitzen meist in Nigeria oder Ghana.“

Forum-Gründerin Grotheer wirkt am Telefon resolut und zupackend. Man sich kaum vorstellen kann, dass auch die ehemalige Kauffrau selbst schon einmal auf einen Romantik-Scammer hereingefallen ist. Vier Monate schrieb sie sich mit dem Engländer „Steve“, einem Ingenieur, der viel im Ausland arbeitet. Sie telefonierte sogar mit ihm. Dann brauchte er ganz dringend 7500 Euro, weil Baumaschinen am Zoll festhängen würden. Ein Zufall rüttelt sie dann wach.

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Liebesbetrug: „Googeln ist der beste Schutz“

„Ich wollte ihm schreiben und habe aus Versehen seine E-Mail-Adresse in das Google-Suchfeld eingegeben.“ Sie erfährt: In Foren berichteten Frauen von Helgas „Steve“. „Googeln ist der beste Schutz“, sagt Betrugsexpertin Wessner. „Viele Namen und Lebensgeschichten werden mehrfach verwendet.“ Durch die Google-Bildersuche ließe sich meist schnell die wahre Identität der Menschen auf den Fotos verfolgen. „Auch mittelprominente Schauspieler waren schon darunter.“

Mit ihrer Arbeit wolle sie ansetzen, bevor sich das Opfer verliebt, sagt sie. „Wenn es sich einmal verliebt hat, ist es zu spät.“

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