Erfurt. Der Ex-Anarcho-Punker Penny Rimbaud lotet Mitte der 80er-Jahre auf Albumlänge Möglichkeiten der Kunst aus. Christian Werner über „Acts of Love“.

Es geht um Wut. Und um Liebe. Schließt sich das nicht aus? Nicht für Penny Rimbaud, einen Erforscher der menschlichen Natur mit den unorthodoxen und unbegrenzten Mitteln der Kunst. 1985 veröffentlicht Rimbaud das Album „Acts of Love“ – 50 vertonte Gedichte, die der Künstler zwischen 1968 und 1973 an sich selbst geschrieben hatte.

“Diese Gedichte sind ein Ausdruck meiner ‚revolutionären‘ Absicht, eine Beschreibung dessen, von dem ich weiß, dass es möglich ist und aufgrund dieses Wissens der Grund für die Wut, die ich immer empfunden habe“, gibt Rimbaud über seinen künstlerischen Ansatz verklausuliert zu Protokoll.

Rimbaud war Mitglied der Anarcho-Punkband Crass

Mit Wut kennt er sich aus: Rimbaud war Mitglied bei Crass, Künstlerkollektiv und Anarcho-Punkband gleichermaßen, die von 1978 bis 1984 agierten und selbst Punk-Heroen wie die Sex Pistols oder The Clash ablehnten. Ihre Musik erweiterten sie um politisch motivierte Aktionen.

Die Cover der Alben „Acts of Love“ von Penny Rimbaud (vorn) und „Songs to our other Selfs“ von Mikado Koko.
Die Cover der Alben „Acts of Love“ von Penny Rimbaud (vorn) und „Songs to our other Selfs“ von Mikado Koko. © One Little Independent/Bertus

Auch Steve Ignorant und Eve Libertine gehörten zu Crass. Für „Acts of Love“ holt sich Rimbaud nach dem Aus der Band die beiden Weggefährten erneut als Sänger ins Studio; oder sagen wir als Stimmenkünstler. Die Gedichte werden mal als Spoken-Word-Tracks umgesetzt, im Stil expressionistischer Theateraufführungen oder gesungen, nicht immer allerdings im herkömmlichen Sinn.

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Viele der Stücke rücken trotzdem stark in die Nähe von sakralem Chorgesang oder altenglischer Madrigale. Zu all dem spielen vor allem Synthesizer, aber auch andere Instrumente, Klänge, die in Kombination mit dem unkonventionellen Vokaleinlassungen für ungeübte Ohren zuweilen an Kakophonie erinnern könnten.

Teile des Albums klingen wie Strömungen der Neuen Musik

Was mit den üblichen Hörgewohnheiten bricht, erinnert an Strömungen der Neuen Musik, etwa der Zwölftonmusik mit Vertretern wie Arnold Schönberg oder der seriellen Musik, wie von Olivier Messiaen praktiziert. Deren Opulenz ahmen Rimbaud und sein kleines Kollektiv allerdings weniger nach. Bei der Länge stehen sie dem Auf-den-Punkt-Konzept des Punks und, ja, auch des Pops deutlich näher und treiben dies auf die Spitze. Denn die Länge der Musik folgt der Länge der Gedichte, die auch mal ein Einzeiler sein können. Der kürzeste Track ist zehn Sekunden lang, 38 der 50 Stücke dauern keine Minute.

Oberflächlich klingt „Acts of Love“ wie eine Aneinanderreihung von Worten, Krach und Klang mit gelegentlichen Ausflügen in die Klassik. Doch wer sich darauf einlassen kann, erlebt ein Klanggemälde, das sich den

Neuauflage mit weiterem Album erschienen

Das Album ist jüngst in einer auf 1000 Exemplare limitierten Neuauflage samt Booklet mit allen Gedichten und dem Artwork der Künstlerin Gee Vaucher als Doppel-Vinyl erschienen. Mit einer Neuerung: Die zweite LP ist eine Erweiterung der Platte von Mikado Koko. Die japanische Avantgarde-Künstlerin ist ein Fan der Stimme Eve Libertines und hat mit der Erlaubnis Rimbauds aus den 50 Stücken ein Schwesteralbum collagiert, eine Hommage an „Acts of Love“.

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Unter dem Titel „Songs to our other Selfs“ hat Koko die 50 Originaltracks filetiert, zerbröselt, auf den Kopf gestellt, Loops eingebaut, Stimmen verfremdet und zu 20 namenlosen Stücken neu zusammengesetzt. Die abstrakten Coverversionen ergeben ein faszinierendes neues Werk der Kunst der Klangcollage. Koko entreißt durch ihre wiederholenden Samplingmethoden die Originale ihrer gewollten Kurzatmigkeit, was allerdings mit einem deutlich Mehr an Konzentration zu konsumieren ist.

Wir stellen in #langenichtgehört vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor.