Essen. Die neue „37 Grad“-Reportage berichtet von Generationswechseln in Familienbetrieben. Die Protagonisten sind dabei sehr gut ausgewählt.

Der Titel ist etwas irreführend, denn er klingt nach Konflikt. Tatsächlich ist die Reportage „Jetzt bestimme ich!“ dem Ausrufezeichen zum Trotz von Harmonie geprägt. Nick Golüke stellt in seinem „37 Grad“-Film drei Familienbetriebe vor, in denen Eltern die Leitung ihren Kindern anvertraut haben.

Der Übergang ist zwar nicht in allen Fällen freiwillig, aber doch offenbar reibungslos erfolgt. Zwei der Firmen werden zudem von Frauen geleitet. Gerade bei handwerklich ausgerichteten Betrieben ist das immer noch die Ausnahme; nur jedes sechste mittelständische Unternehmen hat eine Chefin.

„37 Grad“: Protagonisten sind sympathisch und bodenständig

Stilistisch orientiert sich Golüke inklusive des unvermeidlichen Interviews während einer Autofahrt an den üblichen Rahmenbedingungen der Reihe; der Versuch, durch den Kommentar eine gewisse Form von Dramaturgie herzustellen, lässt die Reportagen oft eher wie eine Doku-Soap wirken. Sehenswert ist der Film daher vor allem wegen der drei sehr gut ausgewählten Protagonisten.

Alle sind sympathisch und bodenständig: Bettina aus Oberbayern ist Mitte dreißig und leitet ein Unternehmen für Werkzeugbau, Manuela aus Niederbayern ist zehn Jahre älter und Gas/Wasser-Installateurin. Sie sprechen sehr offen darüber, wie sie in ihre Aufgaben hineingewachsen sind und was es heißt, als Frau in einer Männerdomäne das Sagen zu haben. Beide sind zudem nach familiären Schicksalsschlägen ins kalte Wasser geworfen worden.

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Wie aus dem Lehrbuch wirkt dagegen die Staffelübergabe bei einer Schreinerei im Spessart. Anderswo leiden Angehörige der jüngeren Generation darunter, dass die ältere nicht loslassen kann und sich ständig einmischt, aber hier arbeiten Vater und Sohn als Team auf Augenhöhe zusammen. Eher überflüssig ist dagegen Golükes Versuch, künstliche Spannung zu erzeugen: Die Schreinerei baut die komplette Holzausstattung eines Hotels und ist ein bisschen im Verzug, aber von der „Hektik“, die der Kommentar suggerieren will, ist in den Bildern nichts zu sehen.

„37 Grad“-Autor tappt selbst in die Rollenfalle

Bettinas Mutter wünscht sich „einen richtigen Meister“ als Schwiegersohn, doch die Tochter erhebt Einspruch: „Man braucht keinen Mann als Meister.“ Trotzdem wirkt es zunächst, als tappe auch der Autor in die Rollenfalle, selbst wenn es eingangs im Kommentar heißt, gerade das Handwerk sei von traditionellen Rollenbildern geprägt.

Manuelas Sohn macht ein Praktikum im mütterlichen Betrieb und kann sich vorstellen, das Unternehmen eines Tages zu übernehmen. Für die Tochter hat der Film dagegen typische Klischeebilder: Golüke zeigt sie, wie sie sich gemeinsam mit einer Freundin zurechtmacht. Zum Glück kriegen beide, die Tochter und die Reportage, noch die Kurve.

Interessante Dokumentationen:

Damit ein bisschen Stimmung aufkommt, hat Golüke noch Aufnahmen von Bettinas Bergabfahrt auf dem Mountain-Bike eingefügt; das hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, sieht aber spektakulär aus. Gegen Ende wird die filmische Idylle allerdings doch noch beeinträchtigt. Golüke hat die drei Betriebe ein Jahr lang mehrfach besucht. Die letzte Stippvisite bei Bettina erfolgte vor wenigen Wochen: Corona hat dazu geführt, dass die Werkshalle verwaist ist. Der Stillstand hat der Chefin schlaflose Nächte beschert. Aber Not macht erfinderisch, und so kann der Film halbwegs versöhnlich enden.

• Dienstag, 23. Juni, 22.15 bis 22.45 Uhr, ZDF: „Jetzt bestimme ich!“