Berlin. Ist “Zero Covid“ möglich? Bei „Anne Will“ wurde um Corona-Strategien gerungen. Dabei ging es auch um die Angst vor einer dritten Welle.

  • Einmal mehr war die Corona-Pandemie am Sonntag das Thema bei "Anne Will"
  • Der Intensivmediziner Uwe Janssens brachte dabei seine Sorge vor einer "furchtbaren" dritten Corona-Welle zum Ausdruck
  • Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) übte dagegen Kritik an einigen Ministerpräsidentinnen und -präsidenten

Viele Menschen sind corona-müde, gleichzeitig machen es nicht zuletzt die Mutationen des Coronavirus nötig, Maßnahmen aufrechtzuerhalten - und zu verschärfen. Dieser Entwicklung ging am Sonntagabend auch Anne Will nach: „Gefahr durch neue Corona-Mutanten: Wie viel ,Zumutung' braucht es jetzt?“, lautete die Leitfrage der Talkshow am Sonntagabend.

Corona-Talk bei "Anne Will": Das waren die Gäste

  • Helge Braun (CDU): Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts
  • Malu Dreyer (SPD): Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
  • Michael Hüther: Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln
  • Uwe Janssens: Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler
  • Vanessa Vu: Redakteurin bei "Zeit Online"

"Anne Will": Zero Covid für eine Perspektive?

„Wie viel Zumutung braucht es?“ wurde von der Runde in „wie viel Inzidenz ist erlaubt“? übersetzt. Im Kern wurde dabei um das sogenannte "Zero Covid" gestritten. Den Ansatz hatte eine Forschergruppe präsentiert: Die Inzidenz dauerhaft unter 10 senken, um dann „grüne Inseln“ öffnen zu können, lautet der Plan.

Journalistin Vanessa Vu plädierte bei
Journalistin Vanessa Vu plädierte bei "Anne Will" für die "Zero Covid"-Strategie. © NDR/Wolfgang Borrs | NDR/Wolfgang Borrs

Die Idee wurde von der Runde eifrig diskutiert, was interessant war, weil so drei unterschiedliche Ansätze deutlich wurden. "Zero Covid" vertrat Vanessa Vu: „Die Menschen sind völlig zermürbt“, stellte die Journalistin von "Zeit Online" fest. Besser, als sich von Lockdown zu Lockdown zu hangeln sei, klare Ziele zu definieren. Wenn die Menschen wüssten, dass bei sehr niedrigen Zahlen gelockert wird, sei das motivierend und eine Perspektive, befand Vu, und verwies auf Erfolge in Neuseeland, Australien und Asien.

Corona-Inzidenz: Geht 100? Oder muss es 50 sein?

Michael Hüther hielt dagegen: Die etwa in China machbare Strategie sei in Europa nicht praktikabel, kritisierte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Zu eng verflochten sei der Kontinent. „Das hält eine freiheitliche Gesellschaft nicht durch.“ Stattdessen empfahl Hüther, sich bei einer Inzidenz um 100 einzurichten und dazu etwa die Gesundheitsämter endlich digital zu ertüchtigen. Lesen Sie hier: Moderne Software Sormas nur in jedem dritten Gesundheitsamt

Das klang auf die gegenteilige Weise radikal. Doch warum nicht einen Mittelweg gehen? Den hatte Malu Dreyer parat. Ziel müsse sein, die Inzidenz jetzt möglichst weit – und in jedem Fall unter 50 – zu senken. Dann gebe es ab Mitte Februar die Möglichkeit, über Lockerungen nachzudenken, stellte die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz in Aussicht.

Intensivmediziner warnt vor brasilianischer Corona-Mutation

Doch so charmant Dreyers Ansatz, also der von Deutschland gewählte Weg, zwischen den radikaleren Ansätzen wirkte, so gefährdet ist er auch. Schließlich wird die Aussicht, ab Februar lockern zu können, durch die Virusmutanten getrübt.

Der Intensivmediziner Uwe Janssens warnte in diesem Zusammenhang insbesondere vor der hierzulande bislang kaum erfassten brasilianischen Variante. Wenn diese und andere sich bei uns merklich ausbreiteten, werde es schnell wieder eng, sagte Janssens: „Dann haben wir eine furchtbare dritte Welle.“

Corona-Beschränkungen: Was zuerst lockern?

Das sprach wieder für "Zero Covid", schließlich halten die Maßnahmen auch die Mutanten in Schach. Zugleich wurde deutlich, wie heikel mögliche Öffnungen ab Mitte Februar sind: „Das darf nicht schiefgehen“, sagte Kanzleramtschef Helge Braun, auch mit Blick auf die neuen Varianten.

Braun glaubt, dass die vor allem im Vereinigten Königreich verbreitete Mutation des Coronavirus, B.1.1.7. auch in Deutschland die dominante Form werden wird: „Wir sehen ja momentan, dass wir jetzt in mehreren Krankenhäusern auch schon mit der Mutante zu tun haben. Das heißt, das ist bei uns im Land angekommen und deshalb wird sie irgendwann so wie in anderen Ländern auch dann die Führung übernehmen und wird Probleme machen“, da sei er sicher. Deshalb sei es jetzt so wichtig, die Zahlen stark zu senken. Lesen Sie hier: So gefährlich ist die neue Corona-Mutation für Kinder

Doch wie also lockern? Der Ökonom Hüther warb dafür, in jedem Fall die Grundschulen vorzuziehen. „Die Kosten im Bildungssystem sind fast nicht mehr einzuholen“, sagte er. Daher müsse schon jetzt darüber nachgedacht werden, wie man die verpasste Zeit mit zusätzlichen Bildungsmaßnahmen kompensieren könnte.

Der Satz des Abends…

… kam von Helge Braun. „Ein Lockdown wie jetzt im Oktober hätte viele Todesfälle verhindert“, sagte der Kanzlersamtsminister. Eine vernichtende, aber leider berechtigter Vorwurf an jenen Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, die damals den "Lockdown light" durchsetzten.

Kanzleramtschef Helge Braun erhob bei
Kanzleramtschef Helge Braun erhob bei "Anne Will" einen schweren Vorwurf gegen einige Ministerpräsidenten. © NDR/Wolfgang Borrs | NDR/Wolfgang Borrs

Das Fazit

Kein Covid, ein bisschen Covid, etwas mehr Covid: Diese Ausgabe von „Anne Will“ machte deutlich, dass die Diskussion um die Corona-Strategie längst nicht vorbei ist. Schon allein das ist eigentlich beachtlich: Auch gut ein Jahr nach Pandemiebeginn ist eine perfekt austarierte Strategie nicht erkennbar.

Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek

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