Berlin. Mit dubiosen Mitteln versuchen PR-Agenturen im Netz Stimmung für Parteien zu machen - für satte Honorare. Eine ARD-Doku legt das offen.

  • Mit gezielten Botschaften im Netz könnten Wählerinnen und Wähler beeinflusst werden
  • Eine ARD-Doku zeigt, wie die Manipulation funktioniert
  • Diese Gefahren gibt es für die Bundestagswahl 2021

30.000 Migranten sitzen als Häftlinge in deutschen Gefängnissen. Wollen wir jährlich Millionen Steuergelder dafür ausgeben? Oder wollen wir sie lieber in ihre Heimat abschieben?“ Die Frage kommt von Thomas Borwick, Chef der Londoner PR-Agentur Kanto Systems, die auf globale Polit-Kampagnen spezialisiert ist. Und sie fällt rein rhetorisch – als ein eben erst ausgedachtes Beispiel für eine zugkräftige Kampagne, die die Stimmung zur Bundestagswahl im Sinne eines einzelnen Akteurs beeinflussen soll.

„Angst ist definitiv ein Mittel, verbunden mit konkreter Politik“, erläutert der erfahrene PR-Mann, der schon bei der „Vote Leave“-Kampagne zum Brexit kräftig mitgemischt hat und in der Branche als „Meister der Manipulation“ gilt. Die Vorgehensweise, das Versenden einfacher Botschaften, die bei den Leuten ankommen und ihre Gefühle und Gedanken verändern, funktioniere immer.

Sonneborn-Partei beteiligte sich bei ARD-Dokumentation

Was der überaus höfliche SEO-Stratege in seinem schicken Büro im Londoner Westminster-Bezirk nicht ahnt, ist allerdings, dass er während des Gesprächs mit versteckter Handykamera gefilmt wird: Hans-Peter Schwarz, der ihm als Wahlkampfstratege einer deutschen Partei und potenzieller Kunde gegenübersitzt, heißt in Wirklichkeit Peter Kreysler und ist Investigativ-Journalist, gerade undercover für den NDR unterwegs.

Zu sehen ist das entlarvende Gespräch – neben vielen anderen beunruhigenden Recherche-Ergebnissen – in seiner Dokumentation „Wahlkampf undercover“, die als „Story im Ersten“ am Montag, 30. August 21 um 23:50 Uhr läuft (und jetzt schon in der Mediathek).

Wahlkampf-Beratung für „Die Partei“

Unter seinem richtigen Namen hatte der Dokumentarfilmer im Herbst letzten Jahres mehrmals mit einer offiziellen Interviewanfrage versucht, Kanto Systems zu kontaktieren. Ohne Erfolg. So entstand die Idee, durch einen gefakten Auftritt offen zu legen, welche Strategien die PR-Agentur entwickeln würde, um im Bundestagswahlkampf einzugreifen: Ein Freund lieferte eine unbelastete, „authentische“ Identität, Martin Sonneborns „Die Partei“, für jede Art von Satire zu haben, die Legende zu Beruf und Auftrag, und eine Berliner Agentur den entsprechenden digitalen Fußabdruck.

Los ging’s im Mai. Bis zuletzt war allerdings nicht sicher, ob der Fake überhaupt funktionieren würde. Die NDR-Produktion blieb lange unkalkulierbar. Auch mochte sich Peter Kreysler nicht vorstellen, was passieren konnte, wenn er inmitten seines Undercover-Gesprächs womöglich aufflog. Ließen sich ausgerechnet PR-Profis so einfach täuschen? Offenbar.

Weltweit mischen 500 Firmen mit

Dabei ist Kanto Systems, über die im Internet so gut wie gar nichts bekannt ist, nur eine von drei Londoner PR-Agenturen, die auf sein Cover hereinfiel. Dort sitzen ohnehin acht von zehn der „best of the best“ – von insgesamt etwa 500 Firmen weltweit, die digital bei politischen Abstimmungen mitmischen, egal ob es darum geht, einen Diktator – wie Robert Mugabe – zu stürzen, oder eine gewählte Premierministerin – wie Theresa May – aus dem Amt zu kippen.

Die entscheidende Frage der NDR-Undercover-Recherche war: Wie hoch war das Risiko, dass die Bundestagswahl am 26. September in ähnlicher Weise manipuliert werden könnte wie die US-Präsidentschaftswahl von Donald Trump 2016?

Das Ergebnis ist ernüchternd. „Das ist kein Risiko, sondern Realität“, behauptet gar Ben Scott, ehemaliger Koordinator im Wahlkampfteam von Hillary Clinton und Berater der EU-Kommission zur Internet-Sicherheit: „Ich garantiere Ihnen, dass in Deutschland gerade das passiert.“

Dabei seien den PR-Profis „ethische Fragen komplett egal“, analysiert er die gängigen Manipulationspraktiken. Egal ob rechts oder links, egal ob von Russen oder Chinesen gesponsert: Den Manipulations-Profis ginge es allein um das Ziel, die Gesellschaft zu spalten, und am Ende die Europäische Union zu zerschlagen, insbesondere deren Freizügigkeit. „Sie glauben fest daran, dass sie es mit diesen Mitteln schaffen, dass die Grenzen wieder geschlossen werden.“

In nur 3 Schritten zum Ziel

„Wahlkampf undercover“ zeigt zumindest, wie einfach es ist, digitale Wahlmanipulatoren zu beauftragen: Schon ab 25.000 Pfund (noch nicht einmal 30.000 Euro) ist eine Internet-Schmutzkampagne zu haben, die den politischen Gegner wirksam diffamiert, bestätigte Peter Kreysler bei der digitalen Pressevorführung seines Films vor Journalistinnen und Journalisten.

Dabei gingen alle befragten PR-Agenturen mustergültig in drei Schritten vor – ganz so wie es Cambridge Analytica mit fragwürdigen Praktiken beim Trump-Wahlkampf 2016 vorgemacht hat: 1. Nutzerdaten besorgen, 2. Nutzer mit passenden Merkmalen durch Micro-Tracking ausspähen und 3. mit passgenauen Botschaften bombardieren. „Cambridge Analytica gibt es nicht mehr, aber deren Methoden werden weiterverwendet“, heißt es im Film. Sie seien inzwischen sogar legal.

Für eine Bundestagswahl-Kampagne verlangte Kanto Systems übrigens 800.000 Euro – versprach bei einem zweiten Meeting zu Austern, Wein und Whiskey im Hotel „Savoy“ aber auch, das Ergebnis an der Wahlurne um mindestens 9 oder 10 Prozent anzuheben. Pech nur für den Chef von „Die Partei“ Martin Sonnenborn, der – ganz im Sinne der Transparenz – vor laufender Kamera am Anfang der Dokumention schon eingestand, Peter Kreysler mit höchstens 480 Euro unterstützen zu können.

Ob aber andere Kunden in diesem Bundestagswahlkampf auf solche Dienste zurückgriffen? Nichts scheint unmöglich. Auf ein gemeinsame Fairness-Vereinbarung konnten sich die Parteien bisher jedenfalls nicht einigen: Jede hat ihre eigene Selbstverpflichtung, nur die AfD hat keine. Schon deshalb liefert „Wahlkampf undercover“ ein gutes Stück Aufklärung über die Wild-West-Manieren im Social-Media-Wahlkampf.

Eine Woche später nach der Ausstrahlung der ARD-Dokumentation geht’s zudem weiter. Dann bringt das Erste auf dem gleichen Sendeplatz mit „Die geheimen Meinungsmacher: Wie wir im Wahlkampf manipuliert werden“ eine Aufklärungsdoku über rechtsextreme Gruppen und ausländische Akteure, die mit Verschwörungsnarrativen in den Bundestagswahlkampf eingreifen.

Noch schöner wäre es natürlich, wenn das Erste – gemäß seinem selbst erklärten Auftrag – diese für das Superwahljahr 2021 so wichtigen wie beunruhigenden Recherche-Erkenntnisse in der Primetime senden würde, und nicht erst montags kurz vor Mitternacht. Wenigstens aber gibt es noch die gebührenfinanzierte ARD-Mediathek, wo die NDR-Doku schon jetzt jederzeit (und noch das ganze Jahr über) zu sehen ist.