Berlin. Heinsberg in NRW ist das deutsche Epizentrum des Coronavirus. Wie die Lage dort wirklich ist, war Thema bei im Talk von Markus Lanz.

Markus Lanz gibt zu, dass er kurz überlegen musste, ob er seinem Gast die Hand geben soll. Getan hat er es dann wohl doch. Stephan Pusch (CDU) ist Landrat des Landkreis Heinsberg, in dem vor einigen Tagen die ersten Corona-Fälle in Deutschland diagnostiziert wurden. Und das direkt nach dem Karneval im Rheinland.

Nun ist Pusch zu Gast bei Lanz und berichtet aus der Quarantäne-Stadt. Das ist für den Zuschauer erhellend – und irgendwie therapeutisch beruhigend. Denn wenn Pusch vom Alltag in Heinsberg erzählt, wo derzeit rund 150 Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind, hört sich das gar nicht so schlimm an.

Der niederrheinische Kreis ist durch das Virus nicht zu einer Geisterstadt geworden. Zwar sind Schulen und andere öffentliche Einrichtungen geschlossen, an manchen Tagen muss sich Pusch auch den Kopf darüber zerbrechen, ob er ein ganzes Klinikum wegen der Infektionsgefahr schließen muss. Doch laut dem CDU-Politiker sind die Heinsberger eher zusammengerückt, als dass sie sich mit Desinfektionsmittel in ihren Häusern verschanzen.

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Dafür ist eine ehrliche und klare Kommunikation zwischen Politik und Bürgern nötig, findet der Landrat: „Ich bin wirklich kein Fan von Facebook. Aber wenn Sie dieses Medium vernünftig nutzen, um mit ihren Bürgern direkt in Kontakt zu treten, entsteht ein Gefühl von Vertrauen.“ Pusch erklärt seit acht Tagen in kurzen Videos auf der Facebookseite des Kreises die aktuelle Lage und beantwortet gemeinsam mit seinem Team alle Bürgeranfragen, die über das soziale Netzwerk und eine neu eingerichtete Telefon-Hotline eintrudeln: „Selbst wenn jemand sich einfach nur Sorgen macht und mal einen Ansprechpartner braucht“, kümmert sich die Kreisverwaltung.

Bei Markus Lanz berichtete Landrat Stephan Pusch vom Leben in der Coronavirus-Hochburg Heinsberg in NRW.
Bei Markus Lanz berichtete Landrat Stephan Pusch vom Leben in der Coronavirus-Hochburg Heinsberg in NRW. © ZDF | Screenshot

Unter dem Hashtag „#HSBeStrong“ versammelten sich mittlerweile die Heinsberger in den sozialen Netzwerken, erzählt der Kreispolitiker stolz. Wer hätte gedacht, dass es ein grassierendes Virus braucht, damit in einer Gemeinde ein neues Wir-Gefühl aufkeimt? Unter den etwa 150 Erkrankten in Heinsberg sind übrigens nur acht Fälle, in denen die Krankheit schwer verläuft, weiß Pusch zu berichten. Lebensbedrohlich sei die Infektion bei zwei Patienten.

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    „Man muss die Sache ernst nehmen, deshalb haben wir auch schnell reagiert und teilweise drastische Maßnahmen ergriffen“, erzählt der Kreispolitiker, „gleichzeitig darf man aber nicht in Irrationalität abgleiten.“ Für den Menschen sei das Unbekannte stets die schlimmste Gefahr, meint Pusch. Er fürchtet, dass die Hysterie die deutsche Bevölkerung viel mehr belastet als das Virus selbst.

    Von Hamsterkäufen hat er seinen Bürgern nicht nur abgeraten, sondern sie scharf verurteilt: „Wenn Sie versuchen, so einen Solidaritätsgedanken unter den Leuten, die dort wohnen, aufzubauen, dann muss man ja sagen: Jeder der jetzt über den Bedarf für ein paar Tage hinaus einkauft, der nimmt eigentlich in Kauf, dass er jemand anderen hungern lässt.“ Zwar sei ein solcher Mangel an Lebensmitteln in Deutschland zwar unwahrscheinlich, sagt Pusch. Ihm war es trotzdem wichtig, den Heinsbergern diese Dimension in Posts in den sozialen Netzwerken deutlich zu machen.

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    „Diese ganze Geschichte ist ein extrem schmaler Grad. Aber es geht trotzdem darum, sich zu fragen, was das sozialadäquate Verhalten ist“, meint der Landrat. Geht es nach Pusch, sind jetzt vor allem Solidarität und keine privaten Dosenlager angemessen. Einige Heinsberger fragten sich schon, ob sie beim nächsten BVB-Spiel angefeindet werden, wenn sie ins Stadion kommen, erzählt er. Schließlich hatte der Dortmunder Club angeboten, die Tickets der Bürger aus dem Kreis umzutauschen.

    Pusch nimmt seine Bürger, besonders das erst-infizierte Ehepaar, dagegen in Schutz: „Vor ein paar Wochen war das Thema Coronavirus doch unheimlich weit weg. Wer hätte im Karneval denn darauf verzichtet teilzunehmen, nur weil er einen Schnupfen hat?“ Zum damaligen Zeitpunkt hätte man mit einer solchen Ausbreitung ja nicht gerechnet. Und: „Wenn du Angst vor Ansteckung hast, dann dürftest du auf gar keine Massenveranstaltung gehen“, so Pusch.

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    Der Kreis Heinsberg, quasi das deutsche Epizentrum des Coronavirus, kämpft also weiter gegen das Virus an. Welche Ausmaße die Präventionsmaßnahmen zeitweise annehmen können, kann der Landrat ziemlich klar sagen: „Wir haben nach dem rheinischen Karneval erstmal 300 Teilnehmer einer Karnevalsveranstaltung samt ihrer Angehörigen in Quarantäne gesetzt. Das waren dann über 1000 Leute.“

    Mittlerweile geraten aber auch viele Kliniken und Arztpraxen in der Region an ihr Limit: Medizinisches Personal, das mit Infizierten unvorbereitet Kontakt hatte, darf samt Kontaktpersonen tagelang nicht arbeiten. Das könnte teilweise schwerere Folgen als das Virus selbst haben: „Kürzlich sagte ein Kinderarzt zu mir, ‚Wenn sie jetzt hier meine Praxis zumachen, dann sterben die Kinder an realen Krankheiten‘“, erzählt Pusch. Es wird nun an ihm und vielen anderen Kommunalpolitikern liegen, in solchen Fällen verhältnismäßige Entscheidungen zu treffen.

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