Berlin. 30 Jahre Einheit – ein Grund zum Feiern. Doch die Kluft zwischen Ost und West bleibt groß. Bei „Hart aber fair“ wurde Bilanz gezogen.

Eigentlich, sagt RTL-Politikchef Nikolaus Blome, war die deutsche Einheit doch eine Erfolgsgeschichte. Zumindest im Großen und Ganzen. Dieses Glück sollte man feiern. „Mich überrascht mancher Unmut, mancher Frust“, sagte der Journalist am Montagabend bei „Hart aber fair“ – und meinte damit das Befinden in den neuen Bundesländern.

Ein Westdeutscher versteht den Osten nicht. Irgendwie ist das symptomatisch. Auch 30 Jahre nach der Einheit. „Wir Ostdeutsche, wir Westdeutsche: Wie groß ist die Kluft wirklich?“, fragte Moderator Frank Plasberg seine Runde zu diesem Anlass. Die ARD läutete das Thema vorab mit einer Dokumentation ein. Ein Film, der die Seele der Ostdeutschen ergründete. Und der auch den vermeintlichen Widerspruch nicht aussparte. Lesen Sie hier: Tag der Deutschen Einheit: Alle Informationen zum Feiertag

„Hart aber fair“ – Das waren die Gäste

  • Hubertus Heil (SPD): Bundesminister für Arbeit und Soziales
  • René Springer (AfD): Bundestagsabgeordneter aus dem Land Brandenburg
  • Katja Kipping (Linke): Parteivorsitzende, Sozialpolitische Sprecherin, Bundestagsabgeordnete
  • Angela Brockmann: Unternehmerin, Geschäftsführerin eines Unternehmens für Blockheizkraftwerke in Magdeburg
  • Nikolaus Blome: Leiter des Ressort Politik und Gesellschaft RTL Deutschland

Denn auf dem Papier scheint die Sache klar: Die Vereinigung brachte den Ostdeutschen Demokratie, Rechtsstaat und Gleichberechtigung. Also das, was Ex-„Bild“-Mann Blome als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnete. Doch daneben gibt es eben auch eine andere Sicht. Verpasste Chancen, gebrochene Erwerbsbiografien und fehlende Identität. Natürlich nicht bei allen Ostdeutschen. Aber doch bei einem nicht unwesentlichen Teil.

Ostdeutscher Lebensweg: Unternehmerin sieht niedrige Löhne als Standortvorteil

Die Runde bei Frank Plasberg war insofern klug ausgewählt. Weil sie auch das umfasste. Auf einen solchen Zick-Zack-Lebensweg etwa blickt die Unternehmerin Angela Brockmann aus Magdeburg. Kurz nach der Einheit verlor sie ihren Job, weil ihr ein Mann aus dem Westen vorgesetzt wurde. Heute ist sie selbstständig.

Und in ihrer Brust schlagen zwei Herzen: Einerseits sagte Brockmann, dass niedrige Löhne im Osten ein Standortvorteil seien. Sie berichtete davon, wie sie für ein Projekt in Stuttgart ein Angebot machte – und die westdeutsche Konkurrenz mit günstigen Preisen ausbot. Andererseits würde sie als Unternehmerin darauf gerne verzichten. „Die Lebenshaltungskosten sind im Osten nicht mehr deutlich niedriger. Die Unterschiede in den Löhnen sind nicht mehr zu rechtfertigen“, sagte Brockmann.

Ostdeutschland: Mittleres Bruttoeinkommen rund 700 Euro niedriger als im Westen

In einem Einspieler fasste die Plasberg-Redaktion das Dilemma zusammen: Das Durchschnittsvermögen im Osten liegt bei 63.000 Euro. Im Westen sind es 142.000 Euro. Ein ostdeutscher Arbeitnehmer verdient beim mittleren Bruttoeinkommen 699 Euro weniger als ein Westdeutscher – pro Monat. Ein Skandal?

Der Tag der Deutschen Einheit

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    Für Politik-Reporter Blome ist es – zumindest bei den Vermögen – eher eine Folge des Sozialismus und eines „Wirtschaftssystems, das gegen die Wand gefahren ist“. Linken-Chefin Katja Kipping wetterte derweil gegen die Treuhand, die viele Betriebe nach der Einheit angeblich in den Ruin getrieben hätte. Für den Ausgleich war Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zuständig, der den Mindestlohn anpries und sich für eine stärkere Tarifbindung aussprach. Dann werde alles besser. Irgendwann.

    AfD weist im Osten spektakuläre Wahlergebnisse vor

    Durchgängig zufrieden jedenfalls war in Plasbergs Runde niemand mit den Ergebnissen nach 30 Jahren Einheit. Das mag sicherlich auch an der Doku gelegen haben, die einen pessimistischen Grundton gesetzt hat. Es dürfte aber auch damit zu tun haben, dass im Bundestag eine Partei sitzt, die das fremdenfeindliche Ressentiment zum Kern ihrer Politik gemacht hat. Und die besonders im Osten spektakuläre Wahlerfolge vorweisen kann.

    „Es ist ärgerlich, aber wir müssen über die AfD reden“, sagte Minister Heil. Mit René Springer saß einer ihrer Vertreter im TV-Studio. Der Brandenburger Bundestagsabgeordnete, früher übrigens SPD-Mitglied, mimte nicht den Hardliner. Springer wirkte freundlich, konziliant, ja geradezu sympathisch – was auch Minister Heil und Moderator Plasberg lobend erwähnten. Nur seine Partei ist es nicht.

    Das sagt AfD-Mann zu Christian Lüths Gewaltfantasien gegen Migranten

    Am Montag waren Äußerungen des inzwischen geschassten Pressesprechers der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, bekannt geworden, in denen er Gewaltfantasien über Migranten verbreitete. „Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal!“, soll Lüth demnach gesagt haben.

    „Ich halte diese Aussagen für absolut abscheulich“, sagte René Springer. Die fristlose Kündigung sei richtig gewesen. „Da fehlen einem die Worte.“ Für ihn sei aber das Programm der Partei entscheidend. „Idioten gibt es immer“, meinte der Bundestagsabgeordnete.

    RTL-Politikchef Nikolaus Blome fasste es so zusammen: „Als Neonazi fliegt man erst aus der AfD, wenn man von Vergasen spricht – nicht vorher“.

    Plasberg erbost über Ausweichmanöver von AfD-Mann Springer

    Und auch Moderator Plasberg legte für einen Moment die journalistische Neutralität ab. „Wie können Sie mit Leuten in einer Fraktion sitzen, die Antisemiten sind, die gegen Minderheiten hetzen? Was ist da bei Ihnen gelaufen, dass Sie das als Einzelfälle abtun?“, fragte er erbost.

    Springers schmallippige Antwort: Diese Leute gibt es nicht. Er wolle lieber über Probleme reden. Er beobachte in Talkshows, dass es dort nur um Politiker und Parteien gehe.

    Eine Distanzierung von Höcke, Gauland, Kalbitz? Die forderte Arbeitsminister Heil zwar lautstark ein. Nur: Springer ließ sich darauf nicht ein. 30 Jahre nach der Einheit hat seine Partei damit Erfolg.

    Im Osten. Und im Westen.

    So wurde die Corona-Krise bisher bei „hart aber fair“ diskutiert: