Berlin. Die Corona-Zahlen steigen, Wie können die Ältesten nun geschützt werden? Diese Frage diskutierte Frank Plasberg mit seinen Gästen.

Im März, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, ist Alex Kienscherf zu seiner Frau ins Seniorenheim St. Markus gezogen. Freiwillig. Der Hamburger hatte erkannt, dass seine an Demenz-und Parkinson erkrankte Ehefrau die vom Heim verordnete Isolation nicht verstehen, und möglicherweise auch nicht überleben würde.

Nun war er, ziemlich zum Schluss von Plasbergs „Hart aber fair“, per Video zugeschaltet, und bezeugte als lebendes, äußerst berührendes Beispiel, wie wichtig Nähe und Zuwendung für die Stabilisierung von Schwerkranken war. Seiner Frau ginge es gut, berichtete er. An ihren Augen und einem leichten Lächeln um den Mund, könne er sehen, dass sie verstehe, was er zu ihr sage. Er werde bei ihr bleiben, als Gast im Seniorenheim, solange sie lebe.

Soweit soll es nicht noch einmal kommen, dass Menschen ohne Begleitung ihrer Angehörigen sterben müssten – weil Besucher wegen eines strikten Besuchsverbots das Pflegeheim oder die Intensivstation wochenlang nicht betreten durften. Dazu hatte sich kürzlich nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannt, auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

„Hart aber fair“ – Das waren die Gäste

  • Nikolaus Schneider (Evangelischer Theologe, ehemaliger Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland EKD)
  • Bernd Meurer (Präsident des bpa - Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste; Betreiber dreier Pflegeheime in Bayern und Rheinland-Pfalz)
  • Nina Böhmer (Krankenpflegerin, Autorin „Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken“)
  • Prof. Dr. Uwe Janssens (Intensivmediziner, Chefarzt Intensivmedizin des St. Antonius Hospitals Eschweiler, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin)
  • Andreas Westerfellhaus (Staatssekretär, Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege)
  • Im Einzelgespräch: Alex Kienscherf

Auch interessant: So funktioniert das Pflegeunterstützungsgeld für Angehörige

„Das ist richtig“, bekräftigte bei „Hart aber fair“ Nikolaus Schneider, ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD, und erinnerte an den 1. Artikel der Verfassung: „Zur Menschenwürde gehört auch, nicht mutterseelenalleine sterben zu müssen. Auch wenn viele Menschen ausgerechnet in dem Moment gehen, wenn die Angehörigen kurz das Zimmer verlassen.“

Corona im Pflegeheim: „Komplett andere Situation als im Frühjahr“

Es werde wohl auch nicht wieder passieren, dass Bewohner von Pflege- und Altenheimen durch einen harten Lockdown isoliert werden. Im Vergleich zum Frühjahr sei die Situation dort inzwischen „eine komplett andere“, beeilte sich Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und Herr über 12.000 Einrichtungen in Bayern und Rheinland-Pfalz zu beruhigen: „Wir haben jetzt ausreichend Masken, Schutzkittel und -brillen sowie Desinfektionsmittel für Mitarbeiter und Besucher“ erklärte er.

Wird das reichen? „Das Virus kommt mit Macht zurück – wer schützt jetzt die Alten?“ hieß das Thema an diesem Montag bei „Hart aber fair“, live aus dem „Risikogebiet Köln“ gesendet.

„Wenn Sie Pech haben, wachen Sie morgen aber auch in einem Risikogebiet auf“, startete Frank Plasberg ironisch seine Sendung, bevor der erste Einspieler wie „eine Wetterkarte das herannahende Unheil“ konkretisierte: Nahezu flächendeckend wuchsen die Corona-Zahlen, in nur einer Woche seien die Neuinfektionen in Deutschland um 63 Prozent gestiegen.

Dass das umstrittene Beherbergungsverbot vom Corona-Kabinett an diesem Mittwoch trotzdem gekippt werden würde, schien da unter den Talk-Gästen ausgemachte Sache. „Wenn wir alle die AHA-Regeln einhalten, kann man den steilen Anstieg noch in den Griff bekommen“, befand Uwe Janssens, Chefarzt der Intensivmedizin am St. Antonius Hospital in Eschweiler stattdessen. Man müsse die Disziplin nur leben.

„Das Virus kommt mit Macht zurück – wer schützt jetzt die Alten?“ Diese Frage diskutierten Frank Plasberg und seine Gäste mit Sicherheitsabstand.
„Das Virus kommt mit Macht zurück – wer schützt jetzt die Alten?“ Diese Frage diskutierten Frank Plasberg und seine Gäste mit Sicherheitsabstand. © WDR/Dirk Borm | WDR/Dirk Borm

Corona-Schnelltests in Pflege- und Altenheimen

„Was wir vor allem brauchen, ist Solidarität“, plädierte Andreas Westerfellhaus, der Pflege-Bevollmächtigte der Bundesregierung, und wünschte sich „gemeinsame Lösungen über Ländergrenzen hinweg“.

Erleichterung sollen da auch Corona-Schnelltests bringen, deren Einführung in allen Pflege- und Altenheimen Jens Spahn ab kommenden Donnerstag plane: In nur 15 Minuten könnten Besucher, Bewohner und Mitarbeiter dann feststellen, ob sie in infiziert wären, was die Ansteckungsgefahr erheblich reduzieren könnte. Vorgesehen sind 50 Tests pro Bewohner pro Monat. Lesen Sie hier: Corona im Altenheim: Wie werden Senioren geschützt?

Tatsächlich aber ging es im Verlauf des Plasberg-Talks nicht um die Situation der Alten- oder Pflegeheime allein, woher jedes dritte Corona-Opfer bisher stamme. Es ging vor allem um die Lage der Pflegenden.

Bald stellte sich in der insgesamt sehr informativen Sendung heraus, meist allerdings nur in Nebensätzen: Die Angelegenheit ist hochkomplex und nur mit neuen Verordnungen, „Ersatzvornahmen“ und einem verbesserten „Personalbemessungssystem“ zu lösen. Mit anderen Worten, politische Entscheidungen sind gefragt.

Situation des Pflegepersonals: Bonuszahlungen allein reichen nicht aus

Denn Material reiche nicht, um weiterhin gute Pflege zu gewährleisten. Auch anerkennende „Bonuszahlungen für alle“ seien nicht genug – zumal sie offenbar sowieso nicht jede Pflegekraft erhalten soll, z.B. jene nicht, die in Kurzarbeit geschickt wurden.

Entscheidend sei das Personal: Bisher zu wenig, zu schlecht bezahlt. Stets am Limit, überlastet durch extra lange Arbeitsschichten oder 12-Tage-am-Stück-Dienste. „Das muss sich dringend ändern“, mahnte Uwe Janssens, „denn ohne die Pflege können auch wir Ärzte nichts machen“.

Da konnte ihm Nina Böhmer nur zustimmen. Als Krankenpflegerin arbeite sie bewusst für eine Zeitarbeitsfirma, weil sie dann zeitlich flexibler sei. Und also auch den angemeldeten Urlaub nehmen könnte, ohne bei jedem Engpass wieder zurückgerufen zu werden.

Bekannt geworden durch den Ende März 100.000-fach geteilten Facebook-Post „Danke, aber Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken“, saß die 28-Jährige nun bei „Hart aber fair“ als einzige Frau und Praktikerin unter lauter Männern.

Corona im Pflegeheim: Nur eine Maske pro Schicht

Und ausschließlich unter Chefs, die sie hin und wieder über die Realitäten ihres Arbeitsalltags aufklären durfte: „Seit März hat sich so gut wie gar nichts geändert“. Sie müsse weiterhin an der Belastungsgrenze arbeiten und bekomme, egal, wo sie arbeite, nur eine Maske pro Schicht.

Vor allem aber durfte sich Nina Böhmer „rechts und links die Akustik abholen“ (Plasberg), während die benachbarten Herren Anzugträger auf hohem Niveau darum stritten, ob ein flächendeckender Tarifvertrag für Pflegekräfte sinnvoll wäre.

AWO und ASB verhandelten mit Verdi aktuell einen solchen Tarifvertrag, der ab 2023 mit einer Gehaltsuntergrenze von 18,50 Euro pro Stunde von Stralsund bis Freiburg für alle Altenpfleger gelten soll. Und den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil nach eigner Aussage im Bundestag auch sofort für allgemeinverbindlich erklären würde, wenn es ihn gäbe.

Der eine (Westerfellhaus) war dafür, weil dann endlich die Fachkräfte anständig bezahlt würden. Der andere (Meurer) war dagegen, weil ein Tarif nicht die Lösung sei: „Es muss mehr Geld ins System, dann kommt es automatisch zu höheren Vergütungen“.

Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte seit Jahren bekannt

Selbst Frank Plasberg konnte, wollte die juristischen Feinheiten bei dem Streit nicht verstehen. Ebenso wenig, warum eine so wichtige und große Berufsgruppe – mit 1,2 Millionen Mitarbeitern – eine so schwache Lobby hätte.

„Das Problem der Bezahlung ist seit Jahren bekannt“, stellte Nikolaus Schneider, als ehemaliger EKD-Vorsitzender auch Chef der Diakonie fest. Ebenso lange werde auch schon darum gerungen. „Aber die Pflegenden sind erpressbar, weil sie eben ein so hohes Verantwortungsbewusstsein haben, dass sie sagen, wir wollen unsere Alten oder Patienten nicht alleine lassen“.

„Ich finde es viel riskanter, auf Dauer zu wenig qualifizierte Pflege an die Menschen kommen zu lassen, als einen Tag die Arbeit niederzulegen und zu beweisen, was gute Pflege wert ist“, entgegnete kämpferisch der Pflege-Bevollmächtigte, von Beruf ursprünglich Pfleger, und klang dabei, als wollte er zum Warnstreik aufrufen: Nur wer solidarisch und gemeinsam auftrete, könnte etwas bewirken.

Mehr Diskussionen bei „Hart aber fair“

So wurde die Corona-Krise bisher bei „Hart aber fair“ diskutiert: