Berlin. Meinung und Fakten: Boris Palmer erneuerte bei „Maybrit Illner“ seine Ansichten zur Corona-Krise. Ein Wissenschaftler bot ihm Paroli.

Genau richtig? Zu viel? Zu wenig? Der Umgang mit der Corona-Krise polarisiert die Gesellschaft. Das Phänomen beschäftigte am Donnerstagabend auch die Runde bei Maybrit Illner: „Kann Corona das Land spalten?“, lautete die Leitfrage.

Diskutiert wurde das Thema von:

  • Ethikerin Christiane Woopen
  • Systemimmunologe Michael Meyer-Hermann
  • Tobias Hans (CDU)
  • Boris Palmer (Grüne)
  • Journalist Nikolaus Blome

Zunächst versuchte sich die Runde an einer Analyse der Proteste. „Man kann das sehr gut nachvollziehen“, befand Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates. Zu spät sei damit begonnen worden, die Lockerungen auszudifferenzieren. Das nun Fußball gespielt werde, während die Kitas zu bleiben, habe zu einem Glaubwürdigkeitsverlust geführt.

Das war plausibel, und ließ doch außer Acht, dass Deutschland mit seiner Strategie bisher sehr gut durch die Krise gekommen ist und mittlerweile weitreichend gelockert hat.

Diesen Punkt machte Michael Meyer-Hermann: Proteste seien natürlich legitim, doch könne man insgesamt stolz sein, sagte der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Zugleich schilderte Meyer-Hermann noch einmal die Krux des Prävantionsparadox‘: Dass nun wegen eines glimpflichen Verlaufs jene Maßnahmen kritisiert werden, die diesen glimpflichen Verlauf bedingt haben.

Boris Palmer entschuldigt sich – und macht weiter

Nikolaus Blome, Tobias Hans, Boris Palmer (zugeschaltet), Maybrit Illner, Christiane Woopen, Michael Meyer-Hermann (v.l.).
Nikolaus Blome, Tobias Hans, Boris Palmer (zugeschaltet), Maybrit Illner, Christiane Woopen, Michael Meyer-Hermann (v.l.). © ZDF/Svea Pietschmann | ZDF/Svea Pietschmann

Das deckte den Stand der gesellschaftlichen Debatte schon ganz gut ab. Interessant wurde es, als die Thesen von Boris Palmer diskutiert wurden. Der umstrittene Grüne Oberbürgermeister von Tübingen entschuldigte sich zunächst für seinen „dummen Satz“ über den Schutz von alten Menschen.

So hatte Palmer Anfang Mai im Sat.1-Frühstücksfernsehen gesagt: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Seine Partei legte ihm daraufhin den Parteiaustritt nahe.

Zugleich erneuerte er aber seine These: In den Pflegeheimen lebten die Menschen im Durchschnitt noch elf Monate, sagte Palmer. Eine Behauptung, die erneut die Lockdown-Bemühungen zum Schutz der Gefährdeten infrage stellt und die Palmer mit der Forderung verbannt, die Betroffenen abzuschotten – und das Leben für die anderen weitgehend normal weiterlaufen zu lassen.

Das erzeugte in der Runde deutlichen Widerspruch. Meyer-Hermann etwa stellte fest, dass es neun Jahre und nicht elf Monate seien, die die Menschen im Durchschnitt noch in Pflegeheimen lebten. „Das glaube ich nicht“, sagte Palmer darauf. „Hier geht es nicht um Meinung, sondern um Wissenschaft“, erwiderte Meyer-Hermann. Ein klarer Punktesieg.

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Medizinethikerin: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Christiane Woopen warnte, man dürfe nicht über die Länge des Lebens reden.
Christiane Woopen warnte, man dürfe nicht über die Länge des Lebens reden. © ZDF/Svea Pietschmann | ZDF/Svea Pietschmann

Einen wichtigen Aspekt brachte darüber hinaus Woopen ein. „Es verbietet sich, über die Lebenslänge zu reden“, warnte die Medizinethikerin. Das passe nicht damit zusammen, dass die Würde des Menschen unantastbar sei.

Soweit so klar. Aber warum gibt es eigentlich trotz des milden Verlaufs in Deutschland eine wachsende Skepsis? „Die Wissenschaft hat nicht mit einer Stimme gesprochen“, stellte der Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome fest. Das sei durchaus normal, verwirre aber viele.

Das stimmt und ist zugleich ebenfalls paradox: Kann man die Wissenschaft dafür kritisieren, dass sie in einer bisher unbekannten Lage nicht absolut eindeutig ist? „Politiker müssen auch lernen“, sagte dazu der saarländischer Ministerpräsident Tobias Hans. So habe man die R-Kennzahl zu stark nach vorne gestellt. Eine wichtige Selbstkritik, schließlich muss vor allem die Politik entscheiden – und dies dann vermitteln.

Das Fazit

Diese Ausgabe von „Maybrit Illner“ war in mancher Hinsicht erhellend. Besonders bezeichnend, wie schnell sich Kritik am bisherigen Kurs auflösen kann: Elf Monate oder neun Jahre – Boris Palmers Argumentationsgrundlage sackte in wenigen Sekunden zusammen.

Vielleicht ist die gesamte Debatte am Ende müßig und überzogen: In einem teilweise dramatischen Umfeld ist die Lage in Deutschland glimpflich geblieben. „Möglicherweise war die ein oder andere Maßnahme rückblickend übertrieben“, sagte Tobias Hans. Doch damit könne er angesichts der Gesamtlage leben.

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