Hamburg. Ein politisch brisanter Tatort mit Maria Furtwängler erzählt von einer Bundeswehr-Panne – und Experimenten in der Neuro-Forschung.

Mit einem außerordentlichen Schreckensmoment beginnt die neue „Tatort“-Episode aus Göttingen. Denn das Leben der beliebten langjährigen Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, „Gift“) steht buchstäblich auf Messers Schneide.

Hautnah zeigt die Kamera, wie ein offensichtlich verwirrter Mann, der immer wieder Sätze wie „Ich bin nicht schuld“ und „Die müsst ihr kriegen“ stammelt und der Kommissarin eine Klinge an den Hals hält. Da wird auch ihre Begleiterin Anais Schmitz (Florence Kasumba, „Deutschland 86“) von Panik gepackt. Die neue Kollegin hält ihre Waffe hoch, drückt ab – und tötet den Attentäter.

„Gut gezielt“, sagt Lindholm wenig später zu ihr. Man könnte meinen, das Verhältnis der beiden Kommissarinnen sei damit im zweiten gemeinsamen Fall „Krieg im Kopf“ – am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten – auf einer menschlich positiven Ebene angelangt.

Tatort: Mit dem tödlichen Schuss werden beide nur schwer fertig

Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) wird von Benno Vegener (Matthias Lier) bedroht.
Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) wird von Benno Vegener (Matthias Lier) bedroht. © dpa | Marion von der Mehden

Schließlich hat Kollegin Anais Schmitz, mit der sie sich im Februar 2019 in der Geschichte „Das verschwundene Kind“ (knapp zehn Millionen Zuschauer) noch massiv zusammenraufen musste, Lindholm das Leben gerettet. Doch die Probleme der Frauen miteinander hören nicht auf.

Mit dem tödlichen Schuss, der leicht daneben hätte gehen können, werden beide nur schwer fertig. Überhaupt sollten die Kommissarinnen besser eine Erholungspause einlegen. Doch beide wollen den Vorfall aufklären – schließlich ist zielgerichtete Aktivität eine Art, ein schreckliches Erlebnis zu verarbeiten.

Grimme-Preisträger schrieb das Drehbuch

Und so geht es hochdramatisch und sogar politisch brisant weiter. Denn in dem Fall, den der erfahrene „Tatort“-Regisseur Jobst Christian Oetzmann nach dem Drehbuch des Grimme-Preisträgers Christian Jeltsch („Die verlorene Tochter“) glaubhaft in Szene setzt, stoßen die angeschlagenen Kommissarinnen nicht nur alsbald auf eine weitere Leiche. Die Frau des Attentäters, Mutter seines kleinen Sohns, liegt erdrosselt in ihrer Badewanne.

Vor allem bekommen sie es mit einem schief gelaufenen Einsatz der Bundeswehr im Krisengebiet im afrikanischen Mali zu tun. Von der Patrouille waren nur vier der zehn Soldaten zurückgekehrt. Zwei von ihnen haben sich inzwischen das Leben genommen, eine Soldatin sitzt querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Vierter war der Lindholm-Angreifer Hauptfeldwebel Benno Vegener (Matthias Lier, „Bonusfamilie“), der das Kommando geführt hatte.

High-Tech-Ausrüstungen, in denen Chips die Motivation und Reaktion von Menschen beeinflussen, Ergebnisse der Hirnforschung und eine zweifelhafte Rolle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) bilden das undurchsichtige Feld, bei dessen Durchdringung die Ermittlerinnen um Leib und Seele zu bangen haben. So meint Schmitz, Stimmen in ihrem Kopf zu hören – und die oft so coole Kommissarin fürchtet, wie einst ihre Mutter schizophren zu werden.

Gesellschaftspolitisch wagt sich die Produktion der Filmpool Fiction im Auftrag des NDR für Das Erste weit aus dem Fenster. Suggeriert sie doch Machenschaften und Vertuschungen eines Netzwerks aus Bundeswehr, Industrie sowie einer Forschung, die auf Anfänge in der Nazi-Zeit zurückblicken kann.

Dramatische Entwicklungen in der Neuro-Forschung

„Mindcontrol“ lautet das Schlagwort, mit dem sonst gern Science-Fiction-Filme spielen. Doch das ARD-Projekt bekommt sachliche Schützenhilfe seitens der Wissenschaft. So erklärt der Politologe Christopher Coenen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Presseheft: „Der ,Tatort’ ist ziemlich nah an der Realität. Was dort erzählt wird, ist alles zumindest in Ansätzen bereits möglich. In der Neuro-Forschung gibt es dramatische Entwicklungen, aber ich bin immer wieder überrascht, wie wenig die meisten Menschen wirklich darüber wissen.“

So äußert sich denn auch die Darstellerin Kasumba im dpa-Interview. „Ich bin überhaupt kein technischer Mensch oder jemand, der Ahnung davon hat“, sagt die 43-Jährige. Sie fügt jedoch hinzu: „Als ich das Drehbuch las, war ich nicht erschreckt. Denn ich bin mir bewusst, dass die Technik sehr weit ist. Dass es viele Dinge gibt, von denen wir Normalsterblichen keine Ahnung haben. Es tat gut, sich als Schauspielerin damit zu beschäftigen.“

Tatort – mehr zur Krimi-Reihe im Ersten:

Ballauf und Schenk ermittelten in der vergangenen Woche in Köln im Umfeld des Jugendamtes. Beim Berliner Tatort eine Woche davor war vor dem Abschied von Meret Becker schon die Luft raus.

Sehenswert war zuletzt der Odenthal-Tatort. Tatort-Schauspieler Wotan Wilke Möhring ist wieder Single. Er uns seine Freundin Cosima Lohse sind kein Paar mehr.