Hamburg. Seine Motivation ist seine Vergangenheit. Markus Lanz weiß, wo er hin will oder, besser gesagt, wo er nicht mehr hin will.

Franz Josef Wagner, der Postkarten-Verschicker von der "Bild"-Zeitung, hat einmal Markus Lanz adressiert. Lieber Markus Lanz", schreibt Wagner, "Ihre Karriere ist atemberaubend. Südtiroler Bauernjunge, Deutsch sprach man nur in der Familie, in der italienischen Armee wurden Sie als Funker ausgebildet. Heute sind Sie einer der besten Talkmaster Deutschlands. Wer in Ihrer Talkshow auftritt, gräbt sein eigenes Grab.

Beispiel Laschet. Sie haben diesen armen Mann gequält, wie alle Medien berichten. Sie haben ihn gequält mit Ihren Fragen, die wie Pfeile waren mitten ins Herz. Warum ist Markus Lanz so giftig, hartnäckig, nachfragend? Ich glaube, er fragt nach seinem eigenen Leben. Er war ein Niemand. Durch Zufälle bekam er Jobs. Seine größte Niederlage war "Wetten, dass..?". All seine Niederlagen haben Markus Lanz zu dem besten Frager unserer Republik gemacht. Er ist nicht zusammengebrochen."

Man kann von Franz Josef Wagner halten, was man will, aber nicht viele haben die Gabe, ein Leben in wenigen Worten so auf den Punkt zu bringen.

Der Satz stammt nicht von mir, er stammt von Markus Lanz, der in einem "GQ"-Interview zugegeben hat, dass ihn die Post von Wagner berührt hat. "Das Leben schuldet mir noch etwas", sagte Lanz. "Und als es dann bei 'Wetten, dass..?' knüppeldick kam, war dieses Gefühl auf einmal wieder da und ich dachte: Irgendwann ist Zahltag. (…) Und deshalb habe ich einfach weitergemacht."

Markus Lanz erlitt ein doppeltes Trauma

Jemand, der Markus Lanz weitaus besser kennt als Franz Josef Wagner, hat mir erzählt, dass die Demütigungen aus der "Wetten, dass..?"- und Sahra-Wagenknecht-Zeit für ihn so etwas wie die Wiederholung der Demütigungen aus seiner Kindheit waren, er sei quasi "doppelt traumatisiert", sagt ein anderer Weggefährte. Kindheit und Jugend in Südtirol waren für Markus Lanz hart und voller Entbehrungen. Man sieht es ihm heute nicht mehr an, man hat es ihm nie angesehen, dass er ein "Niemand" war, wie Wagner schreibt, aber so war es. "Wir sehen so aus, als könnten wir aus gutbürgerlichen Familien kommen", hat Lanz einmal zu Michelle Hunziker gesagt, die als junges Mädchen stark unter der Alkoholkrankheit ihres Vaters litt.

Markus Lanz musste miterleben, wie sein Vater starb, als er gerade 14 Jahre alt war. "Das war die Zäsur, damit war die Kindheit zu Ende. Er hatte Leukämie. Wir haben ihn täglich im Krankenhaus besucht, das zog sich lange hin. Da liegt dein Vater, abgemagert, und er wird immer weniger. Entgegen aller Beteuerungen war mir klar – Kinder haben ja einen untrüglichen, unbestechlichen Instinkt –, dass das kein gutes Ende nehmen wird. Am Ende lag er auf der Intensivstation, der schlimmste aller schlimmen Fälle. Dennoch war die Hoffnung da, dass es noch dieses Wunder gibt. Eines Tages wurde ich ins Internat zurückgeschickt, sie meinten es gut, aber ich werfe es denen noch heute vor, denn so erfuhr ich vom Tod meines Vaters durch das Telefon. Es war bitter, dass ich nicht Abschied nehmen konnte, dass ich im entscheidenden Moment nicht dabei war", sagte Lanz in einem Gespräch mit dem Reporter Arno Luik, von dem später in diesem Buch noch die Rede sein soll.

Lanz: Harte Kindheit und Jugend in Südtirol

Er spricht sehr offen über diese Zeit, seit Jahren schon. So sehr er sein heutiges Privatleben mit Ehefrau Angela und den zwei Töchtern unter Verschluss hält, so konsequent er seine Familie in der neuen Heimat Hamburg vor neugierigen Blicken abschirmt, so selbstverständlich erzählt er von der harten Phase in der alten Heimat Südtirol, insbesondere von den Monaten und Jahren nach dem Tod des Vaters, der mit 13 Geschwistern in einer Bergbauernfamilie aufwuchs und später als Lastwagenfahrer arbeitete.

Vielleicht ist das seine Methode, sich vor einer Entblößung zu schützen, vor dem, was andere über ihn sagen könnten. Markus Lanz macht es lieber selbst und behält so die Kontrolle über das, was über seine Sozialisation verbreitet wird. Das ist ihm wichtig, alles, was er erst als Kind und dann als junger Mann und Moderator erlebt hat, hat ihn empfindlich und misstrauisch werden lassen, es gibt, außerhalb seiner Familie, wenige Menschen, denen er bedingungslos vertraut.

"Das größte Privileg meines Lebens ist die Selbstbestimmtheit", sagt Lanz, der inzwischen eine Unabhängigkeit erreicht hat, die ihm in seiner Rolle als unbequemer Journalist und Fragesteller hilft. Wenn man so will, ist das Unglück seiner Kindheit das Fundament, auf dem das Glück gebaut wurde, das er heute genießen kann und genießt. Er sei jetzt da, wo er hingewollt habe, hat er 2020 gesagt, und dass es seinetwegen immer so weitergehen könne.

Markus Lanz: Das Leben ist ein "brutales Gemetzel"

Die Angst, dass all das wieder weg sein könnte, dass irgendwann einer um die Ecke kommt und den Südtiroler Bauernjungen enttarnt, der ernsthaft glaubt, er könne im deutschen Fernsehen die wichtigsten Politikerinnen und Politiker des Landes in die Enge treiben, diese Angst ist geblieben. Genauso wie die Existenzangst, auch wenn man sich das angesichts der Erfolge und des vielen, vielen Geldes, das Markus Lanz verdient hat, nicht vorstellen kann. Wer nie dort gewesen ist, wo er gewesen ist, wer nie erlebt hat, wie es ist, wenn man sich wirklich Sorgen machen muss, wovon man morgen die Lebensmittel bezahlt, kann das nicht nachvollziehen.

Das Gefühl von ultimativer Existenzangst sei grauenvoll, sagt Markus Lanz: "Ich habe es so unendlich gehasst, wirklich gehasst, in prekären Verhältnissen aufzuwachsen, in denen man von anderen abhängig war. Meine Mutter musste mich und meine Geschwister allein aufziehen, wir hatten nach dem Tod meines Vaters hohe Schulden und hätten schnell zum Sozialfall werden können, wenn uns sehr großzügige Menschen aus meiner Verwandtschaft nicht geholfen hätten. Das hat mich sehr geprägt und das ist bis heute auch etwas, was mich antreibt. Ich wollte da raus."

Lanz hat zu seinem älteren Sohn Laurin, der aus der Beziehung mit Birgit Schrowange stammt, einmal gesagt, dass er das Leben als ein "brutales Gemetzel" empfinde. Auch das hat sicher mit dieser doppelten Demütigung zu tun, von der schon die Rede war, wobei die zweite, die mit den vielen vernichtenden Kritiken und Urteilen über ihn rund um das Jahr 2014, so schlimm war, weil es die erste gab.

Lanz: Wie ihn die Armut geprägt hat

Nun lässt sich nicht alles, was im Leben mit einem Menschen passiert, auf dessen Kindheit zurückführen oder von dort ableiten. Aber die Karriere von Markus Lanz ist ohne diese Kindheit und seine Herkunft nicht zu verstehen. Seine Mutter, die heute Ende 80 ist und von ihrem ältesten Sohn hoch verehrt wird, musste nach dem Tod des Vaters ihre drei Kinder allein durchbringen. Es war eine harte Zeit, die Anna Lanz bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus brachte, und das will etwas heißen bei einer Südtirolerin.

Markus Lanz und seine Geschwister hatten kein Geld, um sich "coole Klamotten" zu kaufen, sie trugen die alte Kleidung von deutschen Touristen auf, fragten Reisende am Ende ihres Urlaubs in den Bergen, ob sie diese Hose oder jenes T-Shirt vielleicht entbehren könnten. Das sei ein Scheißgefühl gewesen, hat Lanz später erzählt, und wenn man sich fragt, woher die Minderwertigkeitskomplexe kommen, die tief in ihm stecken, dann findet man genau hier eine Antwort. Es ist wie die alte Geschichte von dem Boxer, den man zwar aus dem Ghetto holen kann, aber eben nicht das Ghetto aus dem Boxer. Die Erfahrung, unter Armut zu leiden und vom Willen beziehungsweise der Großzügigkeit anderer Menschen abhängig zu sein, ist existenziell, die kann man nicht abschütteln, wahrscheinlich wird man sie nie ganz los.

Dass das Lanz' Lebensthema ist, merkt man, wenn man mit ihm spricht oder sich durch die Interviews hört und liest, die er in den vergangenen Jahren gegeben hat. Es sind gar nicht so viele, aber ab einem bestimmten Punkt geht es fast immer um diese Zeit. Etwa, wenn er sagt, dass er sein erstes Rad, ein BMXRad, von einem Jungen aus Aschaffenburg geschenkt bekommen hat, der mit seiner Familie in Südtirol Urlaub gemacht hatte. Oder wenn er vom ersten Mercedes berichtet, den er gesehen hat, "das war für uns wie Disneyland". Und natürlich, wenn er erzählt, wie er mit 13 Jahren Tellerwäscher in einem Lokal war ("das war knallharte Kinderarbeit") oder mit seinem Bruder in Hotels "bunte Abende" gegeben hat. Die beiden spielten Songs von den Pet Shop Boys bis zu den Flippers, um sich Geld zu verdienen. Dreimal in der Woche, Markus am Keyboard, sein Bruder sang, das sei harte Arbeit gewesen, aber es musste sein. Lanz war 27, als er zum ersten Mal Silvester feiern konnte, ohne irgendwo Musik machen zu müssen. Wenn er auftrat, saßen im Publikum, damals wie heute, übrigens die Deutschen.

So, wie er davon immer und immer wieder erzählt, müssen die Erinnerungen an diese Zeit sehr präsent sein. "Sein persönliches Leben prägt Markus Lanz sehr", sagt die FDP-Politikerin Marie- Agnes Strack-Zimmermann. "Er weiß, was ein bescheidenes Leben bedeutet und was es bedeutet, da rausgekommen zu sein und es geschafft zu haben, das hat er total im Kopf."

Lanz wollte Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit

Der Wunsch von Lanz war früh, all das hinter sich zu lassen, nicht nur die Armut, auf die er natürlich "keinen Bock" hatte, sondern vor allem das Gefühl, fremdbestimmt zu sein: "Ich hatte ein großes Ziel: Selbstbestimmung und damit Freiheit und Unabhängigkeit. Ich hasse es, mir von Leuten sagen lassen zu müssen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich will die Freiheit haben zu entscheiden, was ich wann mache – dafür ist Geld gut." Und: "Ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist das Beste, was du als Mensch erreichen kannst. Mehr geht nicht."

Markus Lanz ist das gelungen, aber er hat lange gebraucht, um wirklich daran zu glauben, dass er es "immer irgendwie schaffen wird, für meine Familie die Miete zu zahlen und Essen auf den Tisch zu bringen". Das zu wissen sei für einen wie ihn etwas anderes, als es wirklich zu fühlen, hat er in seinem Podcast mit Richard David Precht gesagt, aber auch, dass es großartig sei, es aus eigener Kraft geschafft zu haben.

Markus Lanz kennt keine Ausreden

Der Weg dorthin war hart und das ist Markus Lanz auch. So wenig er den Gästen in seiner Talkshow, insbesondere Politikerinnen und Politikern, Schwächen durchgehen lässt, so wenig gesteht er sie sich selbst zu. Als er sich beim Skifahren im kurzen Urlaub zwischen den Jahren 2021/22 einen Kreuzbandriss zuzog und operiert werden musste, sollte das in der Öffentlichkeit niemand wissen. Lanz macht seine Talkshow weiter, als wäre nichts geschehen, Bilder eines humpelnden Moderators und entsprechende Schlagzeilen gab es nicht, sie passen nicht zu seinem Selbstverständnis.

Für Markus Lanz gibt es keine Ausreden, es fällt ihm auch nicht leicht, sie bei anderen zu akzeptieren, etwa bei denen, mit denen er zusammenarbeitet. Er würde viel, sehr viel von ihnen verlangen, erzählen Mitarbeiterinnen, die Dossiers über Gäste müssten lang und perfekt sein und dürften keine Fragen offenlassen, Lanz lege sehr viel Wert auf eine gute Vorbereitung.

Er selbst sei extrem diszipliniert, "wenn er überhaupt mal ein halbes Glas Wein mit uns getrunken hat, sagte er gleich dazu, dass er dafür am nächsten Tag noch ein Stück weiter um die Alster laufen muss", erzählt eine ehemalige Kollegin. Lanz läuft gern, er macht jede Menge Sport, er arbeitet viel. Im Winter 2021 flog er an mehreren verlängerten Wochenenden, also an den Tagen, an denen er keine Talkshow aufnehmen musste, in die USA, um dort für eine Reportagereihe zu drehen. "Der Wunsch zu leben, wie er sich das immer gewünscht hat, treibt ihn an", sagt ein Wegbegleiter. "Da ist ein Drang in Markus, in diesem Punkt ist er unersättlich."

Moderator Markus Lanz.
Moderator Markus Lanz.

Lanz hat deshalb auch ein Problem mit Menschen, die versuchen, sich rauszureden. Das funktioniert bei einem mit seiner Geschichte nicht, weil er sich selbst nie über sein Leben und dessen Härten beschwert hat. Für Markus Lanz ist Markus Lanz das beste Beispiel dafür, was alles möglich ist, wenn man es nur stark genug will und bereit ist, etwas dafür zu tun, von ganz unten nach oben zu kommen.

Wenn man nach Niederlagen und Demütigungen weitermacht und hart an sich arbeitet, jeden Tag, ehrgeizig, perfektionistisch. Insofern hat Franz Josef Wagner recht, dass ihn gerade die Niederlagen zum besten Frager der Republik gemacht haben und dass er so fragt, wie er fragt, giftig, hartnäckig, von Angst befreit, hängt damit zusammen, dass sein Leben so war, wie es war. Und dass er früh wusste, wo er hinwollte: nach Deutschland nämlich. (fmg)

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.