Berlin. Lanz diskutierte den Krieg in der Ukraine. Robert Habeck zeigte sich bedrückt – und beharrte doch auf einem umstrittenen Standpunkt.

Viele Jahren hatte Andrij Melnyk nicht mehr geweint. „Aber heute“, gab der Botschafter der Ukraine in Deutschland bei „Markus Lanz“ an. „Wegen der Kälte und Gleichgültigkeit, die mir in Berlin entgegenschlug“, erklärte der Diplomat, ohne seine Empörung zu verhehlen: „Jede Bitte, uns zu helfen, wurde abgeschmettert. Aber unser Kampfgeist bleibt stark“, erklärte er fast trotzig.

Verschiedene Bundesminister, berichtete er per Video, hatten ihn an diesem Tag – als Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begann – zwar empfangen. Aber auch mit der immer gleichen Erklärung abgespeist: „Ihnen bleiben nur noch wenige Stunden, maximal Tage. Da macht es keinen Sinn, noch etwas zu liefern“, zitierte er frei und verwunderte damit nicht nur Markus Lanz. Lesen Sie hier: Botschafter: „Die Gefahr eines Weltkriegs ist sehr real“

„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste:

  • Robert Habeck (Grüne), Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister
  • Norbert Röttgen (CDU), Außenpolitiker
  • Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland
  • Gerhart Baum (FDP), Ex-Bundesinnenminister
  • Eva Quadbeck, Journalistin ("Redaktionsnetzwerk Deutschland")
  • Alice Bota, "Zeit"-Redakteurin und Osteuropa-Expertin

Wie kann das sein? Hatte Bundeskanzler Olaf Scholz nicht immer wieder vor laufenden Kameras die „Solidarität Deutschlands mit der Ukraine“ beschworen? Und „härteste EU-Sanktionen gegen den Aggressor Putin“ angekündigt? Stattdessen, so beschwerte sich Andrij Melnyk weiter bei „Markus Lanz“, habe „Deutschland in Brüssel ein Embargo für russische Öl,- Gas-, Kohle-Importe blockiert.“ Und dagegen gestimmt, dass Russland aus dem SWIFT-Abkommen ausgeschlossen wird.

„Markus Lanz“: Deutschland soll SWIFT-Ausschluss Russlands verhindert haben

Auch Eva Quadbeck vom RND-Hauptstadtbüro hatte von Kollegen gehört, dass „nicht nur, aber vor allem Deutschland“ bei der Sitzung des Europäischen Rates am selben Abend verhindert hatte, dass Russland aus dem Finanztransaktions-System internationaler Banken (SWIFT) ausgesperrt wurde. Die 27 Staats- und Regierungschefs hatten sich „schon wieder mal auf die kleinste Lösung geeinigt“, kommentierte sie. Und wunderte sich, für welche Eskalationsstufe sie dieses „schärfste Schwert“ noch aufsparen wollten: „Wann, wenn nicht heute? Was muss denn noch passieren?“ Hintergrund: Warum greift Russland die Ukraine an?

Darin erkannte die Leiterin des RND-Hauptstadtbüros aber auch einen weiteren Hinweis, wie in der Politik „Wort und Tat auseinanderfiel“: „Wir tun uns schwer, aus unserer Komfortzone herauszukommen“, diagnostizierte sie, „und wollen Probleme, die wir nicht haben wollen, nicht sehen.“ Lesen Sie mehr: Ukraine-Krieg: Biden verstärkt Sanktionen gegen Russland

Osteuropa-Expertin bei „Markus Lanz“: EU sendet „fatales Signal“

Alice Bota, langjährige Korrespondentin der „Zeit“ in der Ukraine, beklagte ebenfalls ein „fatales Signal“, dass die EU mit ihrer zögerlichen Reaktion auf den russischen Völkerrechtsbruch aussandte. Währenddessen sah Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) in der Durchsetzung der angekündigten Sanktionen vor allem einen „Glaubwürdigkeitstest“. Die entscheidende Frage müsse noch offen debattiert werden, sagte er. „Was sind wir bereit zu bezahlen?“ Die Verteidigung des Friedens sei nicht umsonst zu haben: „Wir müssen lernen, es geht um uns.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Robert Habeck, der mehr Licht in das widersprüchliche Verhalten der Bundesregierung hätte bringen können, war zu dem Zeitpunkt schon wieder weg. Zugeschaltet per Video aus Berlin, hatte der Vize-Kanzler die ersten 50 Minuten des „Lanz-Talks“ sichtlich bedrückt eingeräumt, „dass wir naiv waren“: Der „massive Angriff auf das ganze Land“ sei von langer Hand und präzise vorbereitet gewesen, „sodass Diplomatie keine Chance hatte.“ Lesen Sie auch: Das sagt Altkanzler Gerhard SchröderDas sagt Altkanzler Gerhard Schröder zum Ukraine-Krieg

„Markus Lanz“: Habeck versteht, dass die Ukrainer sich im Stich gelassen fühlen

Dass sich die Ukraine allein und im Stich gelassen fühlte, konnte er verstehen. Die Linie der Bunderegierung, keine letalen Waffen in Krisengebiete zu liefern, habe sich aber „heute nicht geändert“, antwortete er. Ob das in den nächsten Tagen geschehen werde, fragte Markus Lanz hellhörig nach. „Es ist eine tiefe Zäsur“, bestätigte Robert Habeck lediglich, die die deutsche, europäische und transatlantische Politik „nach diesem Tag in vielerlei Hinsicht“ ändern werde. „Wir sind jetzt Nachbarn eines aggressiv kriegführenden Landes“, sagte er und sicherte den östlichen NATO-Partner volle Solidarität zu.

Als Konsequenz für die nationale Politik nannte er vor allem zwei Bereiche: Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr müsste nun überprüft und gestärkt werden. Und die Energiepolitik als sicherheitsrelevant erkannt werden. „Der Ausbau der Energieinfrastruktur, über die wir verfügen, hat absolute Priorität“, erklärte er. Nach Lage der Dinge seien das die erneuerbaren Energien, die den unschlagbaren Vorteil hätten, „dass Wind und Sonne niemanden gehörten“. Nur so bekomme das Land Spielraum, auch außenpolitisch in Zukunft souveräner aufzutreten.

„Markus Lanz“ – So liefen die vergangenen Sendungen