Berlin. Markus Lanz suchte am Donnerstag im Corona-Talk einige Male den Skandal. Doch die Runde blieb dieses Mal ungewöhnlich unaufgeregt.

  • „Das Virus ist da und bleibt uns lebenslang erhalten“, sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck bei „Markus Lanz“ am Donnerstagabend
  • Auffallend war: Keiner der Gäste der „hochkompetenten Runde“ wollte auf eine wiederkehrend offensive Frage des Moderatoren eingehen
  • Lanz wollte seine Gäste immer wieder aus der Reserve locken und scheiterte, was auch an Michel Friedman lag

Da waren zunächst die aktuellen Corona-Zahlen, über deren verwirrende Arithmetik Markus Lanz etwas mehr Klarheit haben wollte: „Wie viele akute Infektionsfälle haben wir gerade in Deutschland?“, fragte er den Talk-Stammgast Hendrik Streeck. Der hatte die Zahlen gerade nicht parat, wohl auch weil er sowieso davon abriet, andauernd darauf zu starren.

Streeck glaubt nicht an schnelles Ende der Pandemie

„Das Virus ist da und bleibt uns lebenslang erhalten“, widersprach der Bonner Virologe bei „Markus Lanz“ stattdessen allen Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Pandemie. Wir sollten uns auf einen „Marathon“ einstellen und für jeden Bereich „pragmatische Lösungen“ finden.

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    Markus Lanz – Das waren die Gäste:

    • Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD)
    • Prof. Hendrik Streeck, Virologe
    • Prof. Harald Welzer, Sozialpsychologe
    • Prof. Michel Friedman, Publizist

    Momentan sei die Lage nicht so dramatisch: „Von 100 Prozent aller Infizierten, müssen fünf Prozent stationär im Krankenhaus behandelt werden“, berichtete er weiter und blieb dabei relativ entspannt. „Ich will das Virus damit nicht kleinreden“, setzte er hinzu, „aber wir sollten klären: Wo wollen wir hin, was ist unser Kompass.“

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    „Lanz“: Michel Friedman rettet den Talk-Abend

    Schon sah man die Gedanken des Moderators rotieren: Echt, nur fünf Prozent? Und dann müssen 95 Prozent für immer …? „Der Ton ist aber ein anderer“, hakte Markus Lanz nach, Angela Merkel habe von 19.200 Fällen zu Weihnachten gesprochen, andere warnten vor einer zweiten oder sogar dritten Welle, wenn das so weiterginge …

    Nur gut, dass Michel Friedman da war. „Fünf Prozent, rechnen Sie das mal hoch auf zehn Millionen. Dann sind Sie bei einer halben Million Corona-Patienten, die stationär behandelt werden müssen“. Doch also nicht so wenige wie gedacht.

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      Eingeladen im Doppelpack mit Harald Welzer, um das gemeinsame, dennoch streitbare Interview-Buch „Zeitenwende – Der Angriff auf Demokratie und Menschenwürde“ zu promoten, entwickelte sich der Publizist zum Erklärer, wenn nicht gar zum Retter des Abends.

      Folgte Michel Friedman doch mit seinen Einsprüchen immer wieder seinem eigenen Kompass – einer grundtiefen Humanität, die den Nachfragen des Gastgebers an vielen Stellen abging.

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      Lanz kommt mit Frage nach Legitimität der Corona-Regeln nicht durch

      Das war womöglich die Überraschung dieses „Lanz“-Talks: Was allein durch die Auswahl der Gäste maximale Kontroverse versprach, mündete am Schluss in einem überraschenden Konsens – bei dem sich alle gegenseitig nur versichern wollten, wie nah beieinander sie doch waren. Bei der Einschätzung der Corona-Lage, selbstverständlich. Nicht physisch, denn da blieb jeder mit vorbildlichen 1,5 Meter Abstand in den hellen Schalensessel sitzen.

      „Wir sind bisher gut über die Runden gekommen“, hieß es allerseits. Und: „Am Ende geht es um Eigenverantwortlichkeit, das funktioniert besser als Verbote“. Da war der Moderator fast schon zufrieden. Obwohl er während der anregenden und aufklärenden Diskussion doch spürbar auf etwas ganz anderes hinausgewollt hatte.

      Keiner der Teilnehmer der „hochkompetenten Runde“, die Markus Lanz an diesem Donnerstag in sein Hamburger Studio geladen hatte, wollte jedoch auf seine wiederkehrend offensive Frage nach der „Verhältnismäßigkeit“ des staatlichen Handelns anspringen. Beziehungsweise. auf dessen impertinent implizierte Infragestellung: „Darf der Staat das überhaupt, uns so zu beschränken?“, wurde zum Leitthema des „Lanz“-Talks.

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      Manuel Schwesig nach sieben Jahren Talk-Pause wieder bei zu Gast bei Lanz

      Um es abzukürzen: Ja, er darf. „Wenn Gefahr in Verzug ist“, erklärte Michel Friedman wieder, kurz und knapp, und nahm dann zur Veranschaulichung eine etwas schiefe Analogie zur Hilfe: „Wenn eine Weltkriegsbombe geborgen werden muss, darf der Staat auch ein ganzes Viertel absperren“. Dann allerdings müssten die Menschen aus ihren Häusern evakuieren werden und nicht – wie beim befürchten Corona-Shutdown – zu Hause bleiben.

      Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.
      Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. © dpa | Jens Büttner

      „Wir wollen die Einschränkungen so kurz und gering wie möglich halten“, versicherte Manuela Schwesig, die erstmals wieder nach sieben Jahren in Persona zu Gast bei „Markus Lanz“ war. Ziel, und sozusagen der „Kompass der Politik“, sei eine ausgewogene Balance: erstens, die Gesundheit der Menschen schützen, zweitens Wirtschaft und Arbeitsplätze, drittens das soziale Leben, erklärte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD). „Eine Ausgangssperre ist das härteste überhaupt, das will ich nicht“, bekräftigte sie, und auch die meisten anderen Ministerpräsidenten seien dagegen.

      An sehr konkreten Beispielen aus ihrem Bundesland erläuterte sie dann, warum es sehr richtig sei, dass die die AHA-Regeln und nun auch die Corona-Ampel bundeseinheitlich gelten, aber die Entscheidungen über Beschränkungen Vorort jeweils auf lokaler Ebene geregelt würden. „Das wichtigste ist, das Virus nachzuverfolgen und durch Quarantäne zu stoppen“.

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        Lanz will Gäste aus Reserve locken – und scheitert

        Möglicherweise wollte Markus Lanz aber einfach nur immer wieder den „Advocatus Diabolo“ spielen, um seine Gäste etwas mehr aus der Reserve zu locken. Mit seiner Erregung, dass „eine ganze Branche den Bach runter geht, weil Leute nicht mehr reisen“, zum Beispiel. Denn wenn sie wiederkämen, müssten sie trotz eines negativen Tests in Quarantäne. Das roch nach Skandal.

        Auch da dämpfte Michel Friedman durch einfache Anschaulichkeit die Aufregung: „Ich muss wissen, ob ich gesund bin“, erklärte er. Und da hätten wir inzwischen gelernt, dass das ein paar Tage länger dauere, bis ein Test ein zuverlässiges Resultat liefere. „In dieser Zeit muss ich mich zurückhalten“, um andere nicht zu gefährden.

        Dann wieder ging es um Masken und den Sinn oder Unsinn, sie draußen zu tragen, wie es in München auf dem Marienplatz nun Pflicht sei. Als wollte er untermauern, dass er nicht der einzige Gegner davon sei und alle anderen nicht sämtlich „Covidioten“ , zeigte Markus Lanz einen Einspieler mit einer Kurz-Umfrage unter vier Teilnehmern einer Anti-Masken-Demo in Hannover von vor 14 Tagen.

        Michel Friedman lieferte bei Markus Lanz kluge Einordnungen und ließ keine Aufregung aufkommen.
        Michel Friedman lieferte bei Markus Lanz kluge Einordnungen und ließ keine Aufregung aufkommen. © imago/Sven Simon | Elmar Kremser/SVEN SIMON

        Harald Welzer lobt Verantwortungsbewusstsein vieler Deutscher

        Doch da erntete er nur Spott: Es sei der älteste Hut der Welt, kommentierte Harald Welzer polemisch, dass das, was Menschen vor der Kamera sagten, von sozialer Erwünschtheit geprägt sei. Und widersprach dann den zitierten Begründungen: „Eine Maske ist keine Einschränkung, die so substanziell ist, dass man dafür plötzlich auf die Straße gehen muss“.

        Er verstehe das „Runterspielen der politischen Codierung dieser Form der Demonstration überhaupt nicht“, führte der Soziologe weiter aus: „Wenn ich zusammen mit Reichsbürgern, Nazis, AfD-Leuten demonstriere, kann ich mich nicht permanent auf den Punkt zurückziehen, es ginge mir nur um ,die Maske‘“.

        Wesentlich interessanter fand Welzer, „dass wir seit vielen Monaten eine Situation haben, wo die Übernahme von Verantwortung bei wahnsinnig vielen Leuten funktioniert. Und Punkt zwei: Dass wir vielleicht lernen, dass eine Demokratie nur funktioniert, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger selber als verantwortlich dafür empfinden.“

        So liefen die jüngsten Talks bei „Markus Lanz“: